PAULA MODERSOHN-BECKER, Sitzendes Mädchen mit Schafen am Weiher II, um 1903 © Renate und Friedrich Johenning Stiftung, Düsseldorf, Foto: Linda Inconi-Jansen PAULA MODERSOHN-BECKER, Sitzendes Mädchen mit Schafen am Weiher II, um 1903 © Renate und Friedrich Johenning Stiftung, Düsseldorf, Foto: Linda Inconi-Jansen - Mit freundlicher Genehmigung von: leopoldmuseum

Was: Ausstellung

Wann: 19.06.2024 - 02.09.2024

Jawlensky, Kandinsky, Kirchner, Modersohn-Becker, Münter u. a. treten in imaginären Dialog mit österreichischen Expressionist*innen

Von der Brücke bis zum Blauen Reiter: Anhand von 17 Meisterwerken aus bedeutenden Privatsammlungen und der Sammlung Leopold, u.a. von Paula Modersohn-Becker, Gabriele Münter, Lovis Corinth, Wassily Kandinsky oder Ernst Ludwig Kirchner, zeigt…

Jawlensky, Kandinsky, Kirchner, Modersohn-Becker, Münter u. a. treten in imaginären Dialog mit österreichischen Expressionist*innen

Von der Brücke bis zum Blauen Reiter: Anhand von 17 Meisterwerken aus bedeutenden Privatsammlungen und der Sammlung Leopold, u.a. von Paula Modersohn-Becker, Gabriele Münter, Lovis Corinth, Wassily Kandinsky oder Ernst Ludwig Kirchner, zeigt das Leopold Museum eine erlesene Auswahl an Gemälden des Deutschen Expressionismus.

Die aktuelle Fokuspräsentation Deutscher Expressionismus im Rahmen der permanenten Ausstellung Wien 1900. Aufbruch in die Moderne ermöglicht – dank wertvoller Dauerleihgaben aus Privatbesitz, ergänzt durch ausgewählte Werke aus der Sammlung des Leopold Museum – einen abwechslungsreichen Einblick in die unterschiedlichen Ausprägungen expressionistischen deutschen Kunstschaffens der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. 17 hochkarätige Werke von Lovis Corinth, Marianne von Werefkin, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Paula Modersohn-Becker, Gabriele Münter, Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein, Erich Heckel und August Macke begegnen einander in der permanenten Präsentation des Leopold Museum zum ersten Mal in dieser fokussierten Form.

„Der Deutsche Expressionismus zeichnet sich durch die expressive Reduktion der Malmittel und eine radikale Vereinfachung von Form und Farbe aus. Impulse aus dem Formenrepertoire außereuropäischer, indigener Kunst und der regionalen Volkskunst, Anleihen bei der französischen Avantgarde wie den Nabis und den Fauvisten sowie eigenständige Positionen wie diejenige Paula Modersohn-Beckers vervollständigen das Bild einer überaus facettenreichen Kunstrichtung. Deutsche wie österreichische Expressionist*innen hinterfragten und erweiterten den Schönheitsbegriff radikal. Vereint unter einem Dach treten beide Strömungen in dieser Fokus-Schau in einen imaginären Dialog, der erst durch die großzügige Unterstützung internationaler Privatsammler*innen möglich wurde.“

Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museum Expressionismus

Der Begriff Expressionismus wurde in Deutschland erstmals 1911 im Vorwort des Kataloges zur 22. Ausstellung der Berliner Secession in Zusammenhang mit den Werken junger französischer Künstler verwendet. Der Deutsche Expressionismus wurzelt u.a. in den negativen Begleiterscheinungen des rasanten wirtschaftlichen Fortschritts der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Die Schattenseiten der Industrialisierung führten unweigerlich zu sozialen Konflikten. Mit der zunehmenden Entfremdung von Natur und Spiritualität entstand eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, Innerlichkeit und freiem Ausdruck. Diese bildete im wilhelminischen Kaiserreich den Nährboden für den Expressionismus. Die expressionistische Kunst umfasste radikale künstlerische Reaktionen auf den Impressionismus und auf konservative akademische Traditionen. Die Expressionist*innen nahmen hinsichtlich eines freien Umgangs mit Farbe und Form Anleihen beim Schaffen der französischen Künstlergruppe Nabis („Propheten“), bei den Fauves („Wilde“) um Henri Matisse sowie beim Norweger Edvard Munch. Ebenso bezogen sie Impulse aus dem Formenrepertoire außereuropäischer, indigener Kunst und aus der regionalen Volkskunst, etwa der Hinterglasmalerei.

Schwerpunkte der FokusausstellungDie Präsentation Deutscher Expressionismus zeigt ausgewählte Beispiele aus dem Schaffen der Dresdner Künstlergemeinschaft Brücke, die sich ab 1905 um Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Fritz Bleyl und Karl Schmidt-Rottluff formierte. Die Künstler rebellierten gegen den Impressionismus und die Wiedergabe der Außenwelt nach tradierten Regeln. Als Teil einer naturbezogenen Lebensreform sollte Kunst „Freiheit verschaffen“, die „unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was […] zum Schaffen drängt“ (Kirchner, 1906). Die Maler*innen im Umkreis des Münchner Almanachs Der Blaue Reiter – unter ihnen Wassily Kandinsky, Franz Marc, August Macke, Gabriele Münter, Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky – begaben sich auf die Suche nach einer neuen Innerlichkeit in der Kunst. Ihre Werke zeichnen sich durch klare Konturen aus, die bisweilen intensive Farbigkeit löste sich zunehmend vom Gegenstand. Eine singuläre Position nimmt Paula Modersohn-Becker ein, welche mit fünf Werken in der Fokuspräsentation vertreten ist. Die Walchenseelandschaft von Lovis Corinth, ein Spätwerk des Malers, macht seine Hinwendung vom Impressionismus zum Expressionismus nachvollziehbar.

Expressionismus in Deutschland und ÖsterreichDurch die im Leopold Museum gegebene räumliche Nähe zu den Werken österreichischer Ausdruckskunst – von Richard Gerstl, Oskar Kokoschka, Egon Schiele und Max Oppenheimer bis zu Anton Kolig, Anton Faistauer und Herbert Boeckl – ermöglicht die Fokusausstellung zum Deutschen Expressionismus nun einen besonders guten Vergleich der länderspezifischen Ausprägungen expressionistischer Strömungen. Zu den Höhepunkten der permanenten Ausstellung Wien 1900. Aufbruch in die Moderne zählt neben der secessionistischen Kunstproduktion in Wien um 1900 insbesondere die Kunst des österreichischen Expressionismus. Das Museum beherbergt die weltgrößten Sammlungen von Werken des Expressionismus-Vorreiters Richard Gerstl und von Egon Schiele – einem der wichtigsten österreichischen Protagonisten der Kunstrichtung. Darüber hinaus besitzt das Leopold Museum einige bedeutende Werke des deutschen Impressionismus und Expressionismus, unter anderem von Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Beckmann oder Ernst Ludwig Kirchner.

Die Wiener Künstler*innenvereinigungen, allen voran die Secession und der Hagenbund, betrieben eine aktive, netzwerkorientierte Einladungspolitik, befassten sich intensiv mit dem Schaffen der europäischen Kunstszene und zeigten Präsentationen wegweisender Künstler*innen. So waren etwa im Künstlerhaus Franz von Stuck (1899) und in der Secession Auguste Rodin (1901), Max Klinger (1899, 1902) oder Ferdinand Hodler (1904) zu Gast. Nicht zuletzt deshalb ist es ein Anliegen des Leopold Museum, die österreichische Kunst des späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einem internationalen Kontext zu zeigen. Ausgewählte Werke von Stuck, Rodin, Klinger, Hodler u.a. – aus dem Sammlungsbestand und Dauerleihgaben – sind permanent im Leopold Museum zu sehen. Die Werke im Detail

Ein Schlüsselwerk der Präsentation ist das Gemälde Akte im Atelier von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Jahr 1912. Es zählt zu den herausragenden Werken der Sammlung des Leopold Museum. In seinem Berliner Atelier setzte der Künstler die spärlich bekleideten oder nackten weiblichen Modelle in verschiedenen Körperhaltungen in Szene. Mit kräftigen Farbkontrasten stellt er die Figuren kantig und eckig dar, zersplittert das Gesehene. Ebenfalls in der Kabinettausstellung zu sehen ist die im selben Jahr entstandene Darstellung der Fehmarnküste. Der Maler verbrachte mehrere Sommer auf diesem der Ostseeküste vorgelagerten Eiland, der nach Rügen und Usedom drittgrößten deutschen Insel. Die Aufenthalte regten ihn zu großer Produktivität an. Das Bild Sitzender weiblicher Akt schuf Erich Heckel um 1910, wohl in Zusammenhang mit einem seiner Sommeraufenthalte an den Moritzburger Teichen in der Nähe von Dresden. Die Komposition wird vom kräftigen Gelb des rot konturierten Körpers dominiert, dem das Grün der Wiese und das helle unter der Dargestellten ausgebreitete Tuch gegenüberstehen. Max Pechsteins Junge Dame mit Federhut (1910) entstand im Berliner Atelier des Künstlers. Die orangeroten Farbtöne des Interieurs ziehen den Blick auf sich und treten in optischen Wettstreit mit der beeindruckenden Kopfbedeckung der Abgebildeten.

Um 1912 entstand der in der Schau präsentierte rötliche Kirchturm von Marianne Werefkin, der gleichsam im Wettstreit mit den drei schneebedeckten alpinen Bergspitzen in die Höhe ragt. Alles gerät hier aus dem Lot. Ähnlich komponierte Lovis Corinth seine Walchenseelandschaft, ein Spätwerk des Malers, entstanden 1923 in seinem Refugium im bayrischen Kochel am See. In Werken wie diesem vollzog sich die Hinwendung des Künstlers vom Impressionismus zum Expressionismus. Das schief angelegte Bildgefüge versetzt die Komposition durch die diagonal aufgetragenen Pinselstriche in Schwingung. Das Hotel Fischer am See, die Wasseroberfläche, die Berge – alles vibriert und schwankt. Auch Corinths Bildnis Alfred Kuhn (1923) orientiert sich an der Bilddiagonale. Das mit hastig-expressivem Pinselstrich gemalte Porträt des Kunsthistorikers besticht durch seine Unmittelbarkeit, erreicht durch die Nuancierung der Erdfarben und die Hell-Dunkel-Kontraste. Alexej von Jawlensky ist mit zwei Frauenbildnissen in der Fokusausstellung vertreten. Die Physiognomie des Mädchens mit grüner Stola (1909/10) ist maskenhaft reduziert. Das dunkelblaue Kleid und das hellgrüne Tuch bilden einen deutlichen Kontrast. Jawlensky beschäftigte sich längere Zeit mit Bildnissen von Frauen aus verschiedenen Kulturkreisen. Der Große Frauenkopf (Manola) von 1913 zeigt eine spanisch anmutende Frau mit Schleiertuch und Blumen im Haar. Der Blick aus dunklen, mandelförmigen Augen zieht die Betrachter*innen in seinen Bann. Ein weiteres Highlight ist die idyllische Impression Kallmünz von Wassily Kandinsky. Diese entstand im Frühjahr 1903 unweit des kleinen bayrischen Ortes bei Regensburg im Rahmen eines Studienaufenthaltes mit seiner Phalanx-Malklasse. Im Sommer desselben Jahres war bereits Gabriele Münter, die spätere Lebensgefährtin des Künstlers, unter seinen Schüler*innen. Münters 1909 entstandenes Bildnis Junge Dame mit großem Hut (Polin) ist ein weiterer Höhepunkt der Präsentation. Im selben Jahr entdeckten sie und Kandinsky ein Haus im malerischen bayrischen Murnau, welches Münter schließlich erwarb. Es sollte für viele Jahre zu ihrem Lebensmittelpunkt werden. Das Damenbildnis weist die großen Stärken von Münters Malerei auf – klare Konturen, die Betonung der Fläche und leuchtende Farben in ausgewogenem Zusammenspiel. August Macke besuchte 1907 in Berlin einen Malkurs beim deutschen Impressionisten Lovis Corinth. Beflügelt von einem Parisaufenthalt auf den Spuren des französischen Impressionismus hielt er im Sommer seine Cousine im Porträt Mathilde Macke fest. Die summarische Flächenbehandlung und die klaren Konturen kündigen jedoch bereits die Überwindung der Lichtmalerei an. Später beteiligte er sich an den Ausstellungen des Blauen Reiters.

Paula Modersohn-Becker hatte sich 1898 der Künstlerkolonie Worpswede angeschlossen. In diesem kleinen Ort bei Bremen schuf sie zahlreiche Kinderdarstellungen, u.a. 1901 das Brustbild Elsbeth mit Blume in den Händen vor Landschaft – es zeigt ihr Stiefkind, die Tochter ihres Mannes, des Malers Otto Modersohn – und Drei Sitzende Mädchen mit Strohhüten und Blumenkränzen. Im Jahr 1903 entstand Sitzendes Mädchen mit Schafen am Weiher. Das Porträt eines italienischen Mädchens schuf Modersohn-Becker 1906, während ihres letzten Aufenthaltes in Paris. In diesem Jahr besuchte sie Maurice Denis, einen Hauptvertreter der Künstlergruppe Nabis. Die Künstlerin war wie dieser auf der Suche nach Vereinfachung und Klarheit in der Kunst.

MAX PECHSTEIN, Junge Dame mit Federhut, 1910 © Renate und Friedrich Johenning Stiftung, Foto: Leopold Museum, Wien © Pechstein–Hamburg/Tökendorf/Bildrecht Wien, 2024 MAX PECHSTEIN, Junge Dame mit Federhut, 1910 © Renate und Friedrich Johenning Stiftung, Foto: Leopold Museum, Wien © Pechstein–Hamburg/Tökendorf/Bildrecht Wien, 2024 - Mit freundlicher Genehmigung von: leopoldmuseum / LEOPOLD MUSEUM LOVIS CORINTH, Walchenseelandschaft, 1923 © Leopold Museum, Wien, Foto: Leopold Museum, Wien LOVIS CORINTH, Walchenseelandschaft, 1923 © Leopold Museum, Wien, Foto: Leopold Museum, Wien - Mit freundlicher Genehmigung von: leopoldmuseum / LEOPOLD MUSEUM GABRIELE MÜNTER, Bildnis einer jungen Dame mit großem Hut (Polin), 1909 © Eine Leihgabe aus einer bedeutenden europäischen Sammlung, Foto: Leopold Museum, Wien © Bildrecht, Wien 2024 GABRIELE MÜNTER, Bildnis einer jungen Dame mit großem Hut (Polin), 1909 © Eine Leihgabe aus einer bedeutenden europäischen Sammlung, Foto: Leopold Museum, Wien © Bildrecht, Wien 2024 - Mit freundlicher Genehmigung von: leopoldmuseum / LEOPOLD MUSEUM
Tags: Alexej von Jawlensky, August Macke, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Expressionismus, Franz Marc, Gabriele Münter, Gemälde, Grafik, Lovis Corinth, Malerei, Paula Modersohn-Becker, Schwarzweißfotografie‎, Skulpturen, Wassily Kandinsk, Zeitgenössische Kunst

Täglich außer Dienstag: 10–18 Uhr*Donnerstag: 10–21 Uhr**Dienstag geschlossen
Juni, Juli, August täglich geöffnet
VOLLPREISTICKET € 14,00
 
 

Das könnte Sie auch interessieren.
Wien, Ausstellung, 30.01.2025 - 26.05.2025
Ivan Grohar, Das Feld von Rafolče, 1903  Foto: Belvedere, Wien
Wien, Ausstellung, 15.02.2025 - 29.06.2025
Anton Corbijn Nina Hagen und Ari Up, Malibu 1980 © Anton Corbijn
© Anna Stöcher
Wien, Ausstellung, 02.10.2025 - 18.01.2026
Marina Abramović  Freeing the Voice, 1975  Courtesy of the Marina Abramović Archives © Marina Abramović. Image courtesy of Marina Abramović Archives