Die impulsiven abstrakten Zeichnungen treffen auf mit Farben und Flächen experimentierende Werke. Einen Schwerpunkt bilden die Übermalungen beziehungsweise Zumalungen, die der Künstler ab Mitte der 1950er-Jahre gestaltet und mit denen er international identifiziert wird. Arnulf Rainer wollte damit zunächst eine tief empfundene Leere füllen. Die Kreuzform, die das Vertikale und das Horizontale vereint, wird die für ihn typische und kennzeichnende Malfläche. Diese Form transportiert zahlreiche inhaltliche Bedeutungen wie Tod, Mysterium und Transitorik.
Einen weiteren Schwerpunkt der Präsentation bilden Arbeiten ab den Jahren 1968/69, in denen Rainer seine Gesichtsmimik ins Zentrum seines künstlerischen Interesses stellt. In öffentlich zugänglichen Fotoautomatenkabinen verzerrt er sein Gesicht zu Grimassen. Diese Fotos werden zum Ausgangspunkt genommen und in einem nächsten Schritt vergrößert, über- und bearbeitet. Es entstehen die Face Farces und Body Poses, die mit einem Fotografen im Atelier inszeniert werden. Sie stellen Rainers performativen Beitrag zur Aktionskunst dar und zeigen seinen völlig eigenständigen Umgang mit dem Medium Fotografie.
Als dialektische Antwort auf die Zumalungen entstehen ab Ende der 1990er-Jahre die farbigen, transparent irisierenden Schleierbilder. Frei auf den leeren jeweiligen Malgrund aufgetragen, entwickeln sich komplexe Licht- und Farbräume.
Wie kaum ein anderer hat Arnulf Rainer in seiner kompromisslosen Suche nach Ausdrucksmitteln von Anfang an radikal neue Verfahrensweisen entwickelt. Rainer zählt damit seit den 1960er-Jahren mit Gerhard Richter, Sigmar Polke und Georg Baselitz, Maria Lassnig und Bruce Nauman oder Yves Klein international zu den einflussreichsten Künstlern der Gegenwart. Sie alle sind Einzelgänger, die sich keiner Bewegung wie Pop-Art, Minimal Art oder Konzeptkunst zuordnen.
Die Ausstellung spannt einen Bogen von bedeutenden Werken aus Rainers Frühzeit über die Fotoarbeiten und -überarbeitungen der 1960er- und 1970er-Jahre sowie die Kreuze und Schleierbilder der 1980er- und 1990er-Jahre bis hin zu jüngsten Werken der Gegenwart. Die gut 40 Werke umfassende Präsentation in der ALBERTINA unterstreicht einmal mehr die überragende Bedeutung Arnulf Rainers für die Kunstgeschichte nach 1945 weit über die Landesgrenzen Österreichs hinaus.
SaaltexteZur Farbe SchwarzIm malerischen und grafischen Werk Arnulf Rainers ist die Farbe Schwarz Programm. Von den surrealistischen Zeichnungen des Frühwerks über die gestischen Serien der Zentralkompositionen und Vertikalgestaltungen bis hin zum großen Zyklus der Übermalungen kommt dem Einsatz der Farbe Schwarz grundlegende Bedeutung zu. Schwarz ist dazu prädestiniert, starke Akzente auf hellem Grund zu setzen und durch seine Symbolik zu wirken. Durch die Beschränkung auf Schwarz, das als Nullpunkt aller Buntfarbigkeit gilt, legt Rainer fest, was ihm in seiner Kunst wichtig ist: das expressive Potenzial. Schwarz signalisiert für Rainer Reduktion, Konzentration und gestische Expression.
ÜbermalungenArnulf Rainers Werk konfrontiert den Betrachter immer wieder mit dem Gegensatz von Bild und Abbildlosigkeit, ohne dass sich darin ein Widerspruch oder unauflöslicher Gegensatz verbergen würde. In Rainers frühen, Ende der 1950er-Jahre entstandenen Bildern ist die weiße Leinwand mit vielen dünnen Malschichten überzogen. Erst später entstehen Übermalungen von Vorlagen, die dem Künstler als Inspiration dienen. „Am liebsten arbeite ich an der Übermalung einer Übermalung. Obwohl nicht ausschließlich, so betreibe ich die künstlerische Arbeit doch in erster Linie als Selbstgespräch. Wie sich etwa der Traum im Tiefschlaf fortsetzt, so ist die Übermalung die Entwicklung dieses Selbstgesprächs in ein Schweigen“, erklärt der Künstler.
FotoüberarbeitungenAm Beginn der Entdeckung des Selbstbildnisses präsentiert Arnulf Rainer 1967 der Öffentlichkeit sein Gesicht mit kräftigen schwarzen Linien bemalt. Zunächst als Erweiterung der Leinwand werden in den Jahren 1968 und 1969 Automatenfotos zu einem weiteren großen Thema seines Schaffens. Face Farces betitelt er diese „Selbstgespräche vor der Kamera“, die bald nicht nur in Fotokabinen, sondern vor allem von dem Fotografen Alexander Prinzjakowitsch aufgenommen werden. Das Bedürfnis, einen bestimmten Ausdruck, eine bestimmte innere Spannung nach außen zu tragen, führt Rainer in seinen performativen Selbstentäußerungen zu Bildern, die einerseits für sich stehen, andererseits aber über die Auseinandersetzung mit ihren Inhalten zum Ausgangspunkt für neue Bilder werden. Gerade am Höhepunkt seiner Übermalungen gelingt es ihm, seine Malerei in Selbstbildnissen und Body Poses wieder zu erfinden. Sein Reagieren auf das Bild wird an diesen auf Fotovorlagen basierenden Darstellungen nun anders wahrnehmbar, bleibt doch bei aller Überstrichelung, Zerkratzung, Fingermalerei und Zuschüttung ein mehr oder minder deutbares „Vorbild“ erhalten. Die Malerei misst sich nun am fotografischen Abbild und am Ausdruck der Bildvorlage.
Hand- und FingermalereienRainer findet in den frühen 1970er-Jahren mit den Hand- und Fingermalereien zu einer dem vielfältigen körpersprachlichen Ausdruck gewidmeten Technik. Die Hand- und Fingermalereien entstehen durch Schlagen mit oft in Rot, die Farbe des Blutes, getauchten Händen auf die Leinwand und Verwischen der aufgebrachten Farbe. Die Malerei ist direkt und führt je nach Intensität und Farbmenge zu dichteren oder lockereren Spuren. Die daraus resultierenden Linienstrukturen greifen symmetrisch ins Unendliche aus, umfassen eine leere Mitte und strahlen wie ein Gewächs aus einem Zentrum aus. Das Wühlen und Formen mit bloßen Händen ist ebenso eine Metapher für konstruktives Gestalten wie für Zerstörung. Kein Schlag gleicht dem anderen, keine Wischung oder Berührung der anderen.
KreuzeKreuze und Kruzifikationen nehmen in Arnulf Rainers gesamtem Schaffen eine zentrale Position ein. Die Kreuzform, die Vertikale und Horizontale verbindet, ist eine für den Künstler charakteristische Malfläche und findet sich seit den 1950er-Jahren in seinem Werk. Religiösen Dimensionen und theologischen Erwägungen weicht Rainer aus. Trotz der Verwendung des mit vielfältigen Bedeutungen besetzten Symbols geht es ihm nicht um sakrale Malerei. Das Kreuz ist nie nur Fläche, sondern öffnet Räume für sinnliche Wahrnehmungen und löst Gedankenimpulse aus.
SchleierbilderDie in den letzten 20 Jahren entstandenen zarten Schleierbilder erweitern die dichten, vielschichtigen Bildräume Arnulf Rainers mittels transparenter und lichtdurchfluteter Farbnebel um die Dimension der Unendlichkeit. Damit werden auch die früheren Werke, die Kreuze und Übermalungen, neu lesbar: Da Zeit, laut Rainer, nicht linear ist, erscheinen jene frühen Bilder ebenso als Fenster, als Übergänge zwischen dem Hier und dem Dort, zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, als Ikonen, die einen Ausblick auf die geistige Welt des Immateriellen bieten. Der Gegensatz von Bild und Abbildlosigkeit, der das Werk des Künstlers durchzieht, stellt sich keineswegs als unauflöslicher Widerspruch dar.
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