„Alle meine Künste“ war exakt der passende Titel für die Ausstellung von Arik Brauer, die wir 2019 im Jüdischen Museum gezeigt haben. Dargestellt hat er alle seine Künste in einem Bild an der Fassade des Wohnhauses in Wien, in dem er seit Jahrzehnten mit seiner Frau und Muse Naomi lebte. Man kann Arik Brauer zu Recht als künstlerisches Universalgenie bezeichnen: Er war Maler, Grafiker, Keramiker, Architekt, Musiker, Sänger, Tänzer, Komponist, Texter, Bühnenbildner und vieles andere mehr.
Aufgewachsen ist er in den 1930er-Jahren in einem bescheidenen Elternhaus, in einer „Zimmer-Küche-Wohnung mit Klo am Gang“, wie Brauer es selbst beschrieb. Arik Brauers jüdischer Vater wurde von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager ermordet. Arik blieb mit seiner Mutter und seiner Schwester in Wien und arbeitete als Tischlerlehrling für den „Ältestenrat“ der Kultusgemeinde. In einem Schrebergarten versteckt, erlebte er das Ende der Nazi-Diktatur und die Ankunft der sowjetischen Armee in Wien als Befreiung. Keine Frage also, dass Brauer, der von klein auf sozialdemokratisch sozialisiert wurde, sich unmittelbar der Freien Österreichischen Jugend anschloss, der Jugendorganisation der kommunistischen Partei. Dort trafen sich mein Vater, Kurt Spera, und Arik, die beide als jüdische Ottakringer Arbeiterbuben ein ähnliches Schicksal zu meistern hatten. Während mein Vater sich als ideologischer Parteitheoretiker im Vordenken bewährte, war Arik unter dem Spitznamen Singerl für Kunst, Kultur und Sozialleben aktiv. Er war im Chor führend, zeichnete für die Parteizeitung der Jugend und organisierte sportliche Unternehmungen. Bald erkannte er aber, dass das nicht sein Weg ist und wandte sich vom Kommunismus ab.
Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann Arik Brauer sein Studium an der Akademie der bildenden Künste. Gemeinsam mit Rudolf Hausner, Ernst Fuchs, Wolfgang Hutter und Anton Lehmden gründete er die Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Seine Passion unter all seinen Künsten war das Malen. Er sah es als Beruf, vor allem als seine Berufung. In die Wiege wurde ihm das nicht gelegt, denn in seiner Familie hatte niemand ein Faible dafür, sondern für Musik. Schon als Kind hatte Arik Brauer außergewöhnlich gezeichnet und wurde als besonderes Talent gehandelt. Er zeichnete, was er sah, auf der Straße, im Wienerwald, im Schrebergarten, oder Figuren aus Büchern, die er las. Dann kam bald die Tora, das Alte Testament, ins Spiel – Geschichten, die ihn beflügelten, in seinen Bildern eigene Geschichten zu erzählen. Sein Freund Ernst Fuchs bezeichnete Brauer als Mystiker, als Romantiker, dessen Erfahrungsbereich durch Annäherung an Naturerlebnisse entstanden sei. Arik Brauer zauberte Bilder aus seiner Weltschau – entstanden auch aus seinem Hunger nach Naturerlebnissen. Tatsächlich war der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur und Atmosphäre ein wesentlicher Bestandteil seiner Reflexionen. Damit beschäftigte sich Brauer intensiv und setzte dies auch in seinen Architekturprojekten, wie auch in seinen eigenen Wohnräumen, nach seinen Vorstellungen um.
Israel entdeckte er als junger Mann und fand dort auch die Liebe seines Lebens, Naomi Dahabani, die aus einer jemenitisch-jüdischen Familie stammt. Naomis Vater war indirekt mit Österreich verbunden. Er kutschierte 1898 niemand geringeren als Theodor Herzl bei dessen Besuch in Palästina durch das Land. Die Tradition, aus der seine Frau stammt, die farblichen Eindrücke, die sinnlichen Erfahrungen der Natur finden sich unmittelbar in Arik Brauers Malerei wieder. Der Transfer des Lebensmittelpunkts nach Paris bescherte nicht nur neue Impressionen, sondern auch den künstlerischen Durchbruch und eine wesentliche Veränderung: zwei Töchter, Timna und Talia, wurden geboren, später in Wien die dritte Tochter Ruth, eine Familie entstand. Und all diese Erlebnisse flossen in Arik Brauers Bilder ein.
Seine Bilder erzählen Geschichten, die sich im Betrachten und durch den Betrachter verändern. Besuchte man Arik Brauer, stand ständig ein neu geschaffenes Bild auf seiner Staffelei. Bewundernde Worte tat er mit der Bemerkung ab, dass das Bild ja noch längst nicht fertig sei. Während der Besucher bereits völlig im Bann der Geschichte stand, die er auf dem Bild sieht, kamen im Lauf weniger Stunden noch viele weitere Geschichten hinzu. Brauer könne ewig voranmalen, meinte Ernst Fuchs, immerwährend könnten in einem Bild neue Bilder entstehen, die neue Geschichten hervorbringen und die Fantasie des Betrachters beflügeln.
Wie seine Bilder sind auch Arik Brauers Gesang und Musik voll von Geschichten, von Erlebtem, das ihn geprägt hat. Als Sänger im Wiener Dialekt und Schöpfer des Austropop erklomm er in den 1970er-Jahren die Spitze der Hitparade. Der ungeahnte Erfolg wurde ihm jedoch unheimlich. Er drehte diese Karriere mit Gewalt ab, wie er selbst sagte, und das, obwohl seine Platten in jedem österreichischen Haushalt zu finden sind.
Das Malen blieb zentrales Element seines Lebens. Er gestaltete Bühnenbilder für die Wiener Staatsoper oder die Opéra Garnier in Paris und pendelte zwischen Wien und Israel, wo er in Ein-Hod bei Haifa aus einer Ruine ein paradiesisches Haus zauberte.
Im Jüdischen Museum Wien wurde Arik Brauer bisher zweimal ausgestellt: 2006 in einer Ausstellung gemeinsam mit dem Frühwerk von Ernst Fuchs und Friedensreich Hundertwasser.
2014 zeigte das Jüdische Museum Wien unter dem Titel Le dor va dor die neuen Brauer-Illustrationen der Haggada. Es entstanden 24 Bilder, die die Geschichte des Auszugs der Juden aus Ägypten darstellen. Zu diesem neuen Zyklus an Kunstwerken (Arik Brauers zweite Haggada-Illustration) hatte ihn unser gemeinsamer Freund Erwin Javor überredet.
Ich persönlich bin unendlich dankbar für die vielen wunderbaren Begegnungen mit Arik über Jahrzehnte hinweg. Ich habe einen Freund, einen Lebensmenschen verloren, der in seiner Familie immer weiterleben wird und dessen Erinnerung wir immer aufrechterhalten werden.
Danielle Spera , 25.01.2021 http://www.jmw.at/de/blog/arik-brauer-1929-2021
Das Jüdische Museum Wien, Dorotheergasse 11, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Freitag 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der zweite Standort, Museum Judenplatz, Judenplatz 8, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Donnerstag von 10 bis 18 Uhr, Freitag 10 bis 14 Uhr (Winterzeit) bzw. 17 Uhr (Sommerzeit) geöffnet.
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