Mit Heidi Bucher (* 1923 Winterthur † 1993 Brunnen, Schweiz) präsentiert das Haus der Kunst eine wiederzuentdeckende Vertreterin der internationalen Neo-Avantgarden, die mit ihren Latex-Werken die Zwänge und Befreiungsprozesse menschlicher Existenzformen erkundet. Metamorphosen zeigt das vielgestaltige, zuweilen poetische Wechselspiel von Verhüllung und Enthüllung von Körpern und Architektur mittels ritueller Latexhäutungen, die eine Einbettung in gesellschaftliche wie private Machtstrukturen entlarven und einer Wandelbarkeit unterziehen.Aus Buchers anfänglicher Faszination für ein Zusammenspiel von Kunst und Mode gingen bereits im Kalifornien der frühen 1970er-Jahre tragbare geschlechterlose Körperskulpturen hervor, die ihren bedeutsamen Skulpturenbegriff zwischen Performance und Objekt zelebrierten. Jeher hat sie sich einer kritischen Unterwanderung von normierten Geschlechterrollen gewidmet, wobei sich ihre prozessualen Materialtransformationen gleichermaßen traditionellen medialen Kategorien entziehen.
Nach der Rückkehr aus den USA Mitte der 1970er-Jahre beginnt Buchers Hauptwerk mit der emanzipatorischen Geste des Latex-Abzugs ihres eigenen Künstler-Studios Borg (1974-78) –dem morbiden Kühlraum einer ehemaligen Metzgerei. Auch in ihrem Elternhaus trug sie flüssiges Kautschuk auf die Oberflächen des sogenannten Herrenzimmers (1978/79) auf, um sich mit der Häutung von der patriarchalen Familienstruktur metaphorisch zu lösen.
In der Münchner Ausstellung werden erstmalig alle Orte ihres künstlerischen Wirkens vorgestellt, vielfach private und gleichermaßen bedeutende öffentliche Schauplätze, wie die psychiatrische Klinik Bellevue von Ludwig Binswanger am Bodensee. Sie häutete dort das Audienzzimmer des Doktor Binswanger (1988), wo Sigmund Freud seine erste Probandin der Fallstudie zur Hysterie aufsuchte. Anhand von Werken wie Schlüpfakt der Parkettlibelle (1983) oder Libellenlust (Kostüm; 1976) versinnbildlicht sich die Metamorphose durch die zusammengefächerten und mit Perlmutt einbalsamierten Wandhäutungen als ein Akt der Selbstermächtigung über soziale Normen, Rollenzuschreibungen und repressive Klischees von „Weiblichkeit“.
Die Retrospektive zeigt über 150 Exponate und bisher unbekanntes Film- und Archivmaterial, das die starke performative Qualität ihres Schaffens verdeutlicht. Im Ausstellungskatalog soll Bucher anhand von wissenschaftlichen Textbeiträgen, Quellenmaterial zu historischen Ausstellungsteilnahmen und Künstlerbeziehungen wie zu Anna Oppermann, Louise Bourgeois oder Maria Lassnig, eigenen Gedichten und weiteren bisher unveröffentlichten Schriftstücken, im Kontext einer feministischen und medial entgrenzten künstlerischen Praxis in der internationalen Kunstgeschichtsschreibung befragt werden.
Kuratiert von Jana BaumannKuratorische Assistenz: Luisa SeippIn Medienpartnerschaft mit Monopol