Aufbau zur fotografischen Dokumentation mithilfe des 3D-Digitalmikroskops © KHM-Museumsverband Aufbau zur fotografischen Dokumentation mithilfe des 3D-Digitalmikroskops © KHM-Museumsverband - Mit freundlicher Genehmigung von: khm

Was: Presse

Wann: 27.06.2022 - 23.12.2024

CROWN.Untersuchungen zu Materialität, Technologieund Erhaltungszustand der Wiener Reichskrone

Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt des Kunsthistorischen Museums Wien

Die Wiener Reichskrone zählt zu den ideell und materiell wertvollsten Objekten derKaiserlichen Schatzkammer. In ihrer rund tausendjährigen Existenz schrieb sie sich demkollektiven Gedächtnis als…

CROWN.Untersuchungen zu Materialität, Technologieund Erhaltungszustand der Wiener Reichskrone

Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt des Kunsthistorischen Museums Wien

Die Wiener Reichskrone zählt zu den ideell und materiell wertvollsten Objekten derKaiserlichen Schatzkammer. In ihrer rund tausendjährigen Existenz schrieb sie sich demkollektiven Gedächtnis als eines der bedeutendsten Symbole europäischer Geschichte ein.

Trotz einer beinahe 250-jährigen Forschungsgeschichte gibt es zahlreiche offene Fragen. Siebetreffen die Materialien und die Herstellungstechnik ebenso wie die Datierung und früheGeschichte der Krone, die zwischen Kunstgeschichte, Archäologie undGeschichtswissenschaft in jüngster Zeit wieder sehr kontrovers diskutiert wird. Vor diesemHintergrund wird die Krone erstmals von einem interdisziplinären Forschungsteam desKunsthistorischen Museums in Kooperation mit internationalen Institutionen und mithilfeneuester Technologien umfassend erforscht. Die Untersuchungen sollen neue Erkenntnisse zuGeschichte, Materialität, Technologie und Erhaltungszustand liefern.

Die einzig erhaltene Krone des Heiligen Römischen Reichs Lange Zeit – irrtümlich – mit Karl dem Großen (reg. 768–814) in Verbindung gebracht,wurde die Reichskrone bei den Krönungen der Könige und Kaiser des Heiligen RömischenReichs bis zu dessen Ende im Jahr 1806 verwendet. Ihre konkrete Nutzung bewahrte sie zwarvor der Zerstörung, führte aber auch zu zahlreichen Beschädigungen und Reparaturen,Verlusten und Umarbeitungen.

Diese Veränderungen und ihr Einfluss auf den Erhaltungszustand der Krone stehen zusammenmit Fragen zu den verwendeten Materialien und den angewandten Herstellungstechniken imFokus dieses Forschungsprojekts. Die Untersuchungen werden von einem Team ausForscher*innen der Geschichts- und Kunstwissenschaft, Konservierungs- undNaturwissenschaften gemeinsam durchgeführt.

Technologische, natur- und geschichtswissenschaftliche UntersuchungenBisher gab es weder zu den Goldlegierungen noch zu allen 172 Steinen auf der Kronenaturwissenschaftliche Bestimmungen. Die gemmologische Analyse des gesamten Besatzeswurde ebenso auf den Weg gebracht wie eine systematische bildliche Dokumentation allerForm- und Zierelemente mithilfe eines 3D-Digitalmikroskops neuester Generation, dasAufbau und Technik der Goldschmiedearbeit auf ganz neue Weise sichtbar macht. Im Zugedieser Arbeiten wurden zwei bisher noch nie beschriebene antike Gemmen auf der Kronefotografiert und erstmals verzerrungsfreie Ansichten sämtlicher Innenseiten der Krone erstellt.

Die naturwissenschaftlichen

Untersuchungen richten ihren Fokus vor allem auf dieCharakterisierung der Metalllegierungen, des Niellos, der Emails, der Edelsteine und Perlen.Vorbereitung und Umsetzung dieser Untersuchungen erfolgen in enger Abstimmung undKooperation mit international führenden Expert*innen, unter anderen am Rathgen-Forschungslabor in Berlin, an der Bayerischen Staatsbibliothek in München und dem Centrede recherche et de restauration des musées de France in Paris. Dies soll die Vergleichbarkeitbei der Auswertung und Interpretation von Daten auch in Hinblick auf Messungen anVergleichsobjekten gewährleisten. Letzteres betrifft weitere kostbare Werke derGoldschmiedekunst des 10. und 11. Jahrhunderts, die von Institutionen wie der EssenerDomschatzkammer, dem Bayerischen Nationalmuseum in München und dem Pariser Louvrefür Vergleichsmessungen zugänglich gemacht werden.

Parallel zu den technologischen Untersuchungen werden Bild- und Textquellenzusammengestellt, die das bisherige Wissen um das Schicksal der Krone besonders für dieZeit nach 1500 deutlich erweitern sollen. Zudem werden sämtliche Inschriften auf der Kroneerstmals gemeinsam untersucht, da einzelne Buchstabenformen in jüngster Zeit alsArgumente geltend gemacht wurden, die kunsthistorisch bislang überwiegend in die zweiteHälfte des 10. Jahrhunderts datierte Krone erst um 1150 anzusetzen.

Die Ergebnisse all dieser Untersuchungen sollen nicht nur neue Grundlagen für Erkenntnissezum historisch gewachsenen Zustand der Krone, sondern auch für weiterführendeForschungen auf dem Gebiet der mittelalterlichen Goldschmiedekunst generell bereitstellen.

Erste Ergebnisse zur Untersuchung des SteinbesatzesZur Vorbereitung naturwissenschaftlicher Untersuchungen des Steinbesatzes wurden3D-Digitalmikroskopaufnahmen von den Steinen und von charakteristischen Einschlüssenangefertigt. Im Anschluss konnten dank einer Kooperation mit Prof. Lutz Nasdala und seinemTeam vom Institut für Mineralogie und Kristallographie der Universität Wien sowie derFirma WITec GmbH (Ulm) im Mai 2022 erstmals sämtliche 172 Steine auf Kronreif,Stirnkreuz und Bügel mittels eines eigens adaptierten Spektrometersystems, das sowohl dieAufnahme von Raman- als auch von Photolumineszenzspektren ermöglicht, bestimmtwerden. Demnach befinden sich heute 71 Saphire, 50 Granate, 20 Smaragde, 13 Amethyste,4 Chalcedone, 3 Spinelle und 11 verschieden gefärbte Gläser auf Kronreif, Stirnkreuz undBügel.

Eine für die Edelsteinforschung spektakuläre Entdeckung betrifft den großen roten Spinell inder mittleren Reihe der Stirnplatte. Die Messungen belegen hier, dass der Stein hohenTemperaturen von nahezu 1000 °C ausgesetzt war, bevor er in die Krone eingesetzt wurde.Ob es sich dabei tatsächlich um eine – heute völlig übliche – zielgerichtete Wärmebehandlungzur Verbesserung der Farbigkeit des Steins handelte, ist vorläufig noch offen. In diesem Fallwürde es sich hier nicht nur um den ersten großen Spinell an einem historischenSchmuckobjekt handeln, sondern auch um den ältesten Spinell, an dem ein solcheBehandlung bisher nachgewiesen werden konnte. Diese sowie weitere Erkenntnisse, etwa zurVielfalt der verwendeten Granattypen durch Prof. H. Albert Gilg vom Lehrstuhl fürIngenieurgeologie an der Technischen Universität München, werden im Rahmen einesdemnächst erscheinenden Artikels im britischenJournal of Gemmology publiziert und zurDiskussion gestellt.

Im Zuge dieser Untersuchungskampagne gelang es überdies erstmals zwei antike Amethyst-Intaglien als Teil des Steinbesatzes im Bild zu dokumentieren. Deren Darstellungen liegenungewöhnlicherweise nach Innen gedreht und sind daher in der Außenansicht nichtwahrnehmbar, weshalb sie bislang noch nie wissenschaftlich bearbeitet wurden. Sie zeigeneine halbfigurige Mänade mit Theatermaske sowie eine Hafenszene mit Schiffen. DieBearbeitung erfolgt derzeit durch Prof. Erika Zwierlein-Diehl von der Universität Bonn, diebereits mehrfach zu antiken Gemmen und Kameen des Kunsthistorischen Museums publizierthat. Nach derzeitigem Kenntnisstand handelt es sich bei dem Intaglio mit der Mänade um dasfrüheste und schönste Beispiel eines in nur wenigen Beispielen bekannten Typus. Geschaffenwurde er von einem griechischen Meister im Übergang vom späthellenistischen Stil zumaugusteischen Klassizismus in der Zeit von 50 bis 25 v. Chr. Die Gemme mit der Hafenszeneim sogenannten Miniaturstil entstand Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. – 1. Jahrhundert n.Chr. Unter den zwölf bekannten Hafenbildern auf Gemmen gehört diese Darstellung zu dendetailreichsten ihrer Art.

Aktuell laufen die Vorbereitungen zu weiterführenden Untersuchungen mithilfe der Röntgenfluoreszenzanalyse, einer ebenfalls zerstörungsfreien Methode, die zusätzlicheErkenntnisse etwa zur Klassifizierung verschiedener Arten von Granaten oder besondererEinschlussphasen, die Hinweise auf die Provenienz einzelner Steine geben könnten, erbringen sollen. Im Fokus stehen dabei ebenso die zahlreichen Perlen auf der Krone, deren Spezifikamit Unterstützung von Stefanos Karampelas vom Laboratoire Français de Gemmologie inParis, einem ebenfalls führenden internationalen Experten auf seinem Gebiet, analysiert undausgewertet werden können.

Die Website zum ProjektBegleitet wird das Forschungsprojekt von der Websiteprojekt-reichskrone.at. Sie bietet einerinteressierten Öffentlichkeit umfassende Informationen zu Geschichte und Symbolik derReichskrone, erklärt die einzelnen Untersuchungsmethoden und wird laufend durch neueErkenntnisse ergänzt.

Intaglio mit Darstellung einer halbfigurigen Mänade mit Theatermaske (50–25 v. Chr.) an der Nackenplatte des Kronreifs © KHM-Museumsverband Intaglio mit Darstellung einer halbfigurigen Mänade mit Theatermaske (50–25 v. Chr.) an der Nackenplatte des Kronreifs © KHM-Museumsverband - Mit freundlicher Genehmigung von: khm / Kunsthistorisches Museum Besonders qualitätsvoller Saphir an der linken Schläfenplatte Scan mithilfe des 3D-Digitalmikroskops 30fache Vergrößerung © KHM-Museumsverband Besonders qualitätsvoller Saphir an der linken Schläfenplatte Scan mithilfe des 3D-Digitalmikroskops 30fache Vergrößerung © KHM-Museumsverband - Mit freundlicher Genehmigung von: khm / Kunsthistorisches Museum Untersuchungen mit dem 3D-Digitalmikroskop Teresa Lamers und Herbert Reitschuler bei der Positionierung des Kronreifs im Rahmen der Untersuchung mithilfe des 3D-Digitalmikroskops © KHM-Museumsverband Untersuchungen mit dem 3D-Digitalmikroskop Teresa Lamers und Herbert Reitschuler bei der Positionierung des Kronreifs im Rahmen der Untersuchung mithilfe des 3D-Digitalmikroskops © KHM-Museumsverband - Mit freundlicher Genehmigung von: khm / Kunsthistorisches Museum
Tags: Edelsteine, Goldarbeiten, Krone, Münzen, Saphir, Schatzkammer

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