Berlinde De Bruyckere im Dialog mit Cranach und PasoliniDie 1964 geborene belgische Künstlerin Berlinde De Bruyckere wäre aufgrund ihrer Karriere im internationalen Kunstbetrieb unbedingt als „shooting star“ zu bezeichnen, sie selbst legt aber keinen Wert auf solche Klassifizierungen. Wichtiger sind ihr ausgewählte Einzelausstellungen, die sie selbst mitkuratieren kann. So ist auch die Ausstellungsreihe „Mysterium Leib …“ entstanden, die zuerst (2011) in der Stiftung Moritzburg in Halle a. d. Saale gezeigt wurde und dann in veränderter Form an das Kunstmuseum Bern ging. Für die Ausstellung im project space der Kunsthalle Wien hat die Künstlerin in Berücksichtigung des Ausstellungsraums und des hierfür entlehnten Gemäldes von Lucas Cranach d.Ä. (Herkules und Antäus) eigens zwei neue Werke geschaffen, die somit hier erstmals zu sehen sind.
Berlinde De Bruyckeres Werk berührt zunächst durch seine emotionale Intensität. Ihre expressiv deformierten und zugleich realistisch wirkenden Körper-Plastiken reflektieren existenzielle Fragen wie Leid, Schmerz, Angst, Tod. „Diese Themen lassen sich in allen künstlerischen Formen zu allen Zeiten finden, Malerei, Bildhauerei, Architektur, Musik, Literatur und auch im Film. Neben den ganzen visuellen Eindrücken bin ich vom alltäglichen Leben inspiriert; Bilder in Zeitungen und im Fernsehen. Diese sind für meine Arbeit ebenso wichtig wie die Werke alter Meister“, sagt die Künstlerin – und schafft eine auf den Raum bezogene Gegenüberstellungen eigener Skulpturen mit je einem Originalgemälde von Lucas Cranach d. Ä. sowie mit ausgewählten Filmwerken Pier Paolo Pasolinis. Die „Körpersprachen“ Cranachs und Pasolinis treten somit in Dialog mit De Bruyckeres fragmentarischen Körperbildern aus Wachs, denen jedes äußere „sprechende“ Element – Blick, Kopf, Gestik, Attribut – fehlt. Dafür tritt aus diesen Plastiken das Kreatürliche besonders stark hervor und ordnet sie einer Natur zu, der das Mysterium, das Geheimnis von Leben und Tod, innezuwohnen scheint.
„Schön ist nicht der Tod bei De Bruyckere, schön ist die Malerei, mit der sie ihre Epoxit-Abformung überzieht: rote und blaue Pigmente werden in einer hauchdünnen Wachsschicht aufgetragen, so dass die künstliche Oberfläche einerseits wie ein abstraktes Gemälde wirkt und andererseits wie menschliche Haut. Durch das Wechselspiel von weißen, rötlichen und bläulichen Flecken wirkt die Skulptur täuschend echt.“ (Susanne Schreiber) Angesichts der Verschärfung von Gewalthandlungen und Katastrophen, des Fortschreitens der medizinischen Möglichkeiten, der zunehmenden Dominanz mediengenerierter Prozesse erlangen De Bruyckeres Werke eine ethische Relevanz, die herausfordert. Wurde einst dem Leiden, den Wunden und dem Tod durch die Religion eine Sinngebung beigemessen, so hat sich mit dem Verlust ihrer Verbindlichkeit das Verständnis des Menschen in seine eigene Verantwortung verlagert. Berlinde De Bruyckere lässt durch die Präsenz ihrer Skulpturen die Körper des Leidens zu einer aktuellen Frage an unsere Zeit, an ihr Bild vom Menschen und ihre Auffassung von Menschlichkeit werden.
Der Film tritt als Kunstwerk ihren und dem Werk Lucas Cranachs gegenüber und entfaltet in einem ganz anderen Kontext als sonst üblich seine Bildkraft: eine Reihe mit ausgewählten Filmen von Pier Paolo Pasolini, die das Körperliche als eine bis in archaische Tiefen reichende menschliche Gegebenheit befragen, vertieft diese Position.
Bruyckere, Berlinde De Bruyckere geboren 1964, lebt und arbeitet in Gent. Sie studierte von 1982 bis 1986 am Sint-Lucas Instituut in Gent. 1990 erhielt sie den Preis für «Jeune Peinture belge». Seit Ende der 1980er Jahre wird sie zu zahlreichen internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen eingeladen, darunter eine Einzelpräsentation im italienischen Pavillon der Biennale von Venedig 2003 sowie eine Einladung an die 4. Berlin Biennale. Es folgten Personalen u.a. bei Hauser & Wirth, Zürich, London und New York, in der Kunsthalle Düsseldorf, an der Royal Academy of Fine Arts, Gent, in der Galleria Continua, San Gimignano, in der Stiftung Moritzburg, Halle, und im Kunstmuseum Bern.
KuratorInnen: Cornelia Wieg (Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt), Lucas Gehrmann (Kunsthalle Wien)
Eine Kooperation mit der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt. Mit besonderem Dank an die Gemäldegalerie der bildenden Künste Wien und die Galerie Hauser & Wirth, London.
Im Slideshow-Raum des project space ist während der Ausstellungsdauer die Installation „Pasolinicode 02212011“ des Filmemachers Ludwig Wüst zu sehen, die den bis heute rätselhaften Tod Pier Paolo Pasolinis thematisiert.