Der intensive Blick einer Tänzerin fixiert frontal die Kamera. Ihre dunklen Haare sind unter einem…
Der intensive Blick einer Tänzerin fixiert frontal die Kamera. Ihre dunklen Haare sind unter einem…
Der intensive Blick einer Tänzerin fixiert frontal die Kamera. Ihre dunklen Haare sind unter einem Haarnetz verborgen. Ein übergroßer, schwarzer Wintermantel liegt schwer auf ihren Schultern. Darunter blitzt neben der eben abgenommenen blonden Perücke ein schwarz-weißes Kostüm mit psychedelischem Muster hervor.
Im Oktober 2019 hat Sven Marquardt die Mitglieder des internationalen Ensembles des Palasts unmittelbar nach einem Auftritt porträtiert. Während in einigen der Gesichter und Posen noch der Adrenalinschub sichtbar ist, gelingen Marquardt in anderen Bildern intime Momentaufnahmen seiner Modelle. Ungeschönt zeigt er den Übergang von den dramatisch-maskenhaften Bühnenrollen zu den angestrengten und müden Gesichtern der Tänzer*innen nach der Show. Die Bilder oszillieren zwischen Schein und Sein, spiegeln Anspannung und Erschöpfung, Stolz und Enttäuschung. Hier und da sind Requisiten zu sehen, Schuhe für die Aufführung am Trapez oder Kostüme, die den Körper nicht mehr glamourös kleiden. Für einen kurzen Augenblick erlauben sie einen Blick hinter die Fassade der größten Theaterbühne der Welt, die jährlich 500.000 Gäste mit ihrem Rausch der Farben begeistert. Entstanden sind so fluide Porträts von Darsteller*innen, die gerade im Begriff sind, das geübte Repertoire an professionellen Gesichtsausdrücken abzulegen, um zu ihrem eigenen, authentischen Ich zurückzukehren. Kein halbes Jahr nach dem Shooting fehlt den porträtierten Künstler*innen plötzlich die Bühne, denn aufgrund der Corona-Pandemie mussten alle Vorstellungen im Palast bis Dezember abgesagt werden. Die Zusammenarbeit des Palastes mit C/O Berlin beweist jedoch, dass ein Haus, das aufgrund der Coronakrise aktuell kein eigenes Programm hat, sehr wohl zu einem außergewöhnlichen Gastspiel einladen kann, indem es sich in einen Ausstellungsort verwandelt, um seinen Besucher*innen einen fotografischen Blick hinter die Kulissen zu schenken.
"Trotz der unterschiedlichen Programme vom Friedrichstadt-Palast Berlin und C/O Berlin haben wir uns zusammengeschlossen, vereint in dem Wunsch, ein Zeichen der Solidarität zu setzen und Berlin als Kulturhauptstadt endlich wieder leuchten zu lassen", so Dr. Berndt Schmidt, Intendant Friedrichstadt-Palast und Stephan Erfurt, Vorstandsvorsitzender C/O Berlin, in einem gemeinsamen Statement: „Dabei verbindet uns der Glaube, dass in einer Krise keine Kunst auch keine Antwort ist, sondern vielmehr neue kreative Wege eingeschlagen werden können.“
Sven Marquardt (*1962) ist international als fotografischer Chronist von Identitäten und Tanzpublikum-Kurator der Berliner Techno-Szene bekannt geworden. Die Arbeiten erinnern an die Modefotografien von Sibylle Bergemann und Ute Mahler für die ostdeutsche Zeitschrift Sibylle bis hin zu den berühmten Aufnahmen von Peter Lindbergh und entwickeln doch ihre ganz eigene Bildsprache. Die Serie entstand in Zusammenarbeit mit Klaus Stockhausen, Fashion Director beim ZEITmagazin, und wurde von Felix Hoffmann von C/O Berlin kuratiert. Die Ausstellung umfasst ca. 68 Porträts auf großformatigen Leinwänden und Projektionen. Begleitend zur Ausstellung erscheint eine Publikation.
Statement Sven Marquardt über die Entstehungsgeschichte seiner Porträtserie: „Bedenke am Anfang das Ende ... Nach dem Besuch der VIVID Grand Show stand ich mit meinem Team noch eine ganze Weile vor dem Palast und schaute hoch, zu dieser riesigen Leuchtreklame des Hauses. Und wie sich jetzt wohl die Tänzer*innen fühlen, voller Adrenalin, dennoch erschöpft und damit beschäftigt, die letzten Spuren des makellosen Makeup wegzuwischen. Metamorphosen! Zu Hause angekommen, schaute ich gefühlt 100mal die wunderbare Annie Lennox, in ihrem Musikvideo WHY, die sich darin Backstage, melancholisch auf ihren großen Auftritt vorbereitet und mit jedem Pinselstrich zu einer Diva erstrahlt. Die Idee zu STAGELESS war geboren.“
C/O Berlin Foundation . Amerika HausHardenbergstr. 22–24 . 10623 BerlinTäglich 11:00–20:00 . www.co-berlin.org
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