Bronzen von Emil Cimiotti im Dialog – Skulptur zwischen Form, Material und ErinnerungEmil Cimiotti (1927–2019) gehört zu den prägenden Stimmen der deutschen Nachkriegsskulptur. Mit seinen kraftvollen und zugleich fragilen Bronzeplastiken, die unter anderem in Hannover, Braunschweig und Berlin-Westend den öffentlichen Raum prägen, schuf er Werke, die bis heute ihre sinnliche wie intellektuelle Wirkung entfalten. In einer aktuellen Ausstellung treten seine Skulpturen in einen spannungsreichen Dialog mit Arbeiten von Willi Baumeister, Chun Kwang Young, Gotthard Graubner, Gerhard Hoehme und Joan Miró.
Cimiotti wurde 1927 in Göttingen geboren, in eine einfache Arbeiterfamilie. 1944, im Alter von nur 17 Jahren, wurde er noch an die Ostfront eingezogen. Nach dem Krieg begann er eine Steinmetzlehre in seiner Heimatstadt und wagte 1949 den Schritt an die Akademie in Stuttgart, obwohl er mittellos war. Dort fiel er dem Maler Willi Baumeister auf, der zu einem wichtigen Mentor wurde. Kurzzeitig wechselte Cimiotti an die Berliner Akademie zu Karl Hartung, der ihn jedoch wegen seiner unangepassten Haltung aus der Klasse warf.
Ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes führte ihn nach Paris, wo er bei Ossip Zadkine studierte und Persönlichkeiten wie Brâncuși, Le Corbusier und Léger begegnete. Trotz aller Rückschläge gelang Cimiotti 1957 mit dem Preis „junger westen“ der Durchbruch – ein bedeutender Schritt, denn es war damals der einzige Preis für avantgardistische Kunst.
Es folgten Einladungen zur Biennale von Venedig (1958 und 1960) und zur documenta in Kassel (1959 und 1964), sowie das renommierte Villa Massimo-Stipendium 1959. 1963 wurde Cimiotti Gründungsprofessor an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, wo er bis 1992 lehrte und das moderne Verständnis von Skulptur entscheidend mitprägte.
Bis zu seinem Tod im Oktober 2019 lebte er in Wolfenbüttel und arbeitete in Hedwigsburg. Mit ungebrochener Energie schuf er auch im Alter ein starkes Spätwerk – stets in Treue zu Bronze und dem Wachsausschmelzverfahren, das er zu seinem künstlerischen Prinzip machte.
Im Gegensatz zu klassischen Modellierverfahren arbeitete Cimiotti direkt mit heißem Wachs. Er formte, schnitt, strukturierte das Material intuitiv – in einem Prozess, in dem Hand, Schwerkraft und Materialität gleichermaßen wirken. So entstanden hohle, durchbrochene Skulpturen, die sich jeder festen Lesart entziehen.
Diese Plastiken schweben im Zwischenraum von Werden und Vergehen, oft mit organischer Metaphorik: Wucherungen, Verästelungen, Faltungen. Die Materialität bleibt sichtbar, in Oberflächen, Spuren, Unregelmäßigkeiten – eine poetische Ikonografie des Entstehens.
Cimiotti bewegt sich zwischen den gestischen Impulsen des Informel und einer Raumerweiterung, wie sie Chillida oder später Serra prägten – allerdings ohne deren Monumentalität. Vielmehr kultiviert er das Fragile, das Prozesshafte, das „Noch-nicht-Fertige“ als ästhetisches Prinzip.
Die Ausstellung setzt seine Bronzen in Verbindung mit einer Komposition auf Dachpappe von Joan Miró (1935), einem Werk aus der ‚Montaru‘-Serie von Willi Baumeister, einer zarten Informel-Arbeit von Gerhard Hoehme, einem Monoprint von Gotthard Graubner sowie den filigranen Reliefs von Kwang Young Chun.
Ein vielschichtiger Dialog entsteht – über Zeit, Material, Form und künstlerisches Denken hinweg. Es ist eine Einladung, das Werk Emil Cimiottis nicht nur neu zu entdecken, sondern in der Begegnung mit anderen künstlerischen Positionen weiterzudenken.
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