Gerhard Richter, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler, hat sich im Laufe seiner Karriere mit einer Vielzahl künstlerischer Techniken auseinandergesetzt. Eine besonders faszinierende Werkgruppe innerhalb seines Œuvres ist die Hinterglasmalerei, mit der er sich seit den 2000er-Jahren intensiv beschäftigt hat. Diese Technik, die ihren Ursprung in der Volkskunst hat, erfährt bei Richter eine radikale Neubewertung und Modernisierung.In Richters Hinterglasarbeiten wird Farbe nicht wie gewohnt auf eine Leinwand oder eine Oberfläche aufgetragen, sondern auf die Rückseite von Glas. Das Glas selbst wirkt als glatte, undurchdringliche Trennschicht zwischen Bild und Betrachter, wodurch eine ungewöhnliche Distanz und zugleich eine besondere Klarheit entsteht. Die spiegelnde Oberfläche des Glases spielt dabei eine zentrale Rolle – sie fängt Licht ein, reflektiert die Umgebung und integriert den Betrachter auf subtile Weise in das Werk.
Technisch gesehen sind Richters Hinterglasbilder äußerst komplex. Die Farbe wird zunächst auf eine glatte Trägerfläche aufgetragen, dann durch verschiedene Verfahren manipuliert – etwa durch das Abziehen mit Rakeln oder das gezielte Verwischen. Erst danach wird das Glas aufgelegt oder mit dem Farbfilm verbunden. Diese Umkehrung des üblichen Malprozesses führt zu überraschenden visuellen Effekten: Tiefe, Transparenz und Bewegung verschmelzen in einer einzigen Bildfläche. Gleichzeitig kehrt er den Malprozess förmlich auf den Kopf indem er den Moment der Bildwerdung mit einem beinahe fotografischen Prozess fixiert.
Richters Werk ist stets geprägt von einer stetigen Suche nach neuen Formen der Bildfindung – eine Suche, in der der Zufall eine zentrale Rolle spielt. Anders als in der klassischen Vorstellung vom Künstler als Schöpfer, der ein Werk vollständig beherrscht, sieht Richter im Zufall ein produktives Prinzip, das kreative Prozesse erweitert und neue ästhetische Möglichkeiten eröffnet. Dabei steht sein Umgang mit dem Zufall jedoch nie im Widerspruch zu seiner malerischen Autorität. Vielmehr fungiert der Zufall als Dialogpartner – als ein Moment, das der künstlerischen Entscheidung gegenübertritt, sie ergänzt, herausfordert und erweitert.
Die Serie „Aladin“, aus der diese Arbeit stammt, ist Teil eines größeren Werkzyklus, der 2008 bis 2010 entstand. Richter öffnet darin einen Assoziationnsraum in den Orient, insbesondere zu den Geschichten aus „Tausendundeine Nacht“. So tragen andere Serien die Titel „Sindbad“, „Bagdad“, „Ifrit“ und „Abdallah“. Dabei geht es Richter sicher weniger um die Entwicklung eines Narrativs, was er in seinem abstrakten Werk grundsätzlich ablehnt. Eher lenkt er die Assosziationen in einen bestimmten Raum von Farbe, Licht, Poesie und Mystik.
Das hier vorgestellte Werk stammt aus einer deutschen Privatsammlung und wurde von dieser direkt beim Gerhard Richter Archiv in Dresden erworben. Zuvor wurde es in der Ausstellung zur Neueröffnung des Albertinum gezeigt.