Diese Ausstellung gibt anhand neuer oder weiterge-führter Werkserien einen Einblick in das aktuelle Schaf-fen von Karen Holländer. „Die 1964 in Tübingen gebore-ne und in Wien lebende Künstlerin ist eine der prägnan-testen Malerinnen der österreichischen Kunstszene.“ (Silvie Aigner) In ihrer charakteristischen Bildsprache führt sie uns in ihr „Traumland“, das weder „Fluchtwelt“ noch Utopie ist. Vielmehr wendet sich Karen Holländer alltäglichen Themen zu, lässt sich von realen Situa- tionen inspirieren. Sie ergänzt sie um weitere Realitäts- ebenen, die ein bloßer Tagtraum sein könnten, und öff-net so einen schier unendlichen Assoziationsraum.Ein Mädchen in der Straße etwa ist vertieft in sein selbst-vergessenes Spiel; es experimentiert mit der Beobach-tung von Schatten und Rinnsalen auf dem Boden. Die-se werden zu Wesen, wie der Asphalt und die Markie-rungen oder Flecken darauf zu Landschaften werden. In diesen „Street Views“ geht es der Künstlerin um Weg-findungen und Aussichten. Mit subtilen Mitteln erweitert sie unsere Wahrnehmung, macht ihre Leinwände zu Versuchsanordnungen für Veränderungen der Blickwin-kel. Das Mädchen tritt aus der vorgegebenen Ordnung heraus in ein Muster, dessen eigene Koordinaten es zu erkennen sucht.
uch die Serie der Mohnblumen-Bilder weist in eine solche Richtung. Am Straßenrand als überraschendes Produkt verirrter Samen gefunden, werden diese fas-zinierenden Blumen mit den strahlend rot leuchtenden Blüten zu Sinnbildern des Lebens. Holländer baut auf unser Wissen über die jahrhundertelange Verwendung von Mohn, wie im Bild „Schlafmohn, rot“, in dem der Pflanzenstiel sich verschlängelnd in einen Ariadnefaden verwandelt. Zeitgemäße Themen reflektiert die Künst-lerin so in metaphorischer Weise mit wachem, teils auch ironischem Intellekt. Sie spielt mit Begriffen, die sie mit phantasievoller und anmutiger Leichtigkeit aus dem Korsett ihrer Bedeutung löst. So bietet sich ein von „Vorurteilen“ befreiter Blick auf die Welt, und wir erken-nen, dass unsere Beschreibung von Realität auch im-mer unsere Rezeption derselben prägt.
Karen Holländer gelingt die Synthese aus Sprachwitz und existentiellen Themen ebenso wie jene aus kri-tischer Betrachtung und Ästhetik. Ihre Bilder machen Mut, Bewertungsmuster und Regelsysteme zu hinter-fragen. Sobald wir unseren Standpunkt verschieben, eröffnen sich kreative neue Möglichkeiten!
Nicht zufällig sind in vielen Werken der Künstlerin Kin-der das zentrale Bildmotiv. Ihr Weltbild ist noch nicht eindeutig festgeschrieben, lässt Ambivalenz zu. Das unbeschwerte Springen eines Buben in einer Hüpf-burg könnte als Aufforderung gelesen werden, eben-falls „einen Sprung zu wagen“. Holländers Bildmotive entstehen durch individuelles Erleben und einer damit verbundenen reflexiven Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Die Landschaften der „Traumland“-Serie sind dabei ganz bewusst nahe der Abstraktion angesiedelt. So schaffen sie Raum für unendliche Variationen des Denkbaren.
Karen Holländer arbeitet nicht mit der Theatralik einer dramatischen Geste. Im Gegenteil. Ihre Bilder sind sanft und zurückhaltend, nicht aufdringlich, aber zutiefst ein-dringlich. Sie ist eine Meisterin der leisen Töne, eine kluge Geschichtenerzählerin: Poesie statt Pathos – so könnte man ihre Arbeiten beschreiben. Ihre Werke sind zeitgenössisch und zeitlos zugleich, sie sind von unwi-derstehlicher visueller Überzeugungskraft, die uns über-rascht und verzaubert. Und doch: Es wäre schade, sie auf Beschreibungen festlegen zu wollen, wo doch die Gemälde selbst dazu auffordern, diese zu überwinden.
Mag. Gerlinde Szaal