Künstlerin Anna Jermolaewa gestaltet den österreichischen Beitrag auf der Biennale Arte 2024 in Venedig. Kuratorin des Österreichischen Pavillons ist Gabriele Spindler. In ihrer Arbeit erweist sich die in Leningrad (UdSSR) geborene und seit 1989 in Wien lebende Anna Jermolaewa immer wieder als genaue Beobachterin des menschlichen Zusammenlebens, seiner gesellschaftlichen Bedingungen und politischen Voraussetzungen. Oft sind es scheinbar unbedeutende, alltägliche Manifestationen der Conditio humana, die sie in kritischer, gleichzeitig aber humorvoller Art und Weise hinterfragt. Dabei entstehen neben Videos, Fotografien und Zeichnungen auch raumgreifende Inszenierungen. Humorvoll-anekdotisch ist die Kunst von Anna Jermolaewa jedoch nur auf den ersten Blick, dahinter steckt eine klar erkennbare Kritik an politischen Machtstrukturen, Ideologien und gesellschaftlichen Missständen.Für den österreichischen Beitrag auf der Biennale Arte 2024 spannt Jermolaewa einen Bogen von ihrer persönlichen Migrationserfahrung bis hin zu Formen des gewaltlosen Widerstands gegen autoritäre Regime. Die Präsentation im Pavillon wird Videos, Installationen, Leuchtobjekte, Sound und performative Elemente in einer Kombination aus neu entwickelten Arbeiten sowie Erweiterungen bereits bestehender Werke der Künstlerin umfassen.
Eine der neuen Arbeiten für den österreichischen Pavillon mitdem Titel Rehearsal for Swan Lake (2024) bezieht sich auf Jermolaewas Kindheitserinnerungen an die sowjetische Zensur: In Zeiten politischer oder sozialer Unruhen (zum Beispiel beim Tod eines Staatsoberhaupts) strahlte das sowjetische Fernsehen, manchmal tagelang ununterbrochen im Loop, Tschaikowskis Schwanensee aus. In Rehearsal for Swan Lakeprobt nun eine Gruppe von Balletttänzerinnen ausgewählte Szenen aus Schwanensee. Auf diese Weise verwandelt Anna Jermolaewa das berühmte Ballett von einem Instrument der Ablenkung und Zensur in ein Instrument, das einen politischen Wandel und einen Regimewechsel fordert.
Rehearsal for Swan Lake entsteht in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Balletttänzerin und Choreografin Oksana Serheieva, die in Tscherkassy eine Ballettschule leitete und nach der Invasion Russlands im Jahr 2022 mit ihrer Familie nach Österreich flüchtete.
Anna Jermolaewas Beitrag für den Österreich-Pavillon fügt sich hervorragend in das von Kurator Adriano Pedrosa formulierte Generalthema der Kunstbiennale 2024 ein, das mit „Stranieri Ovunque –Foreigners Everywhere“ das Thema der Fremde, der Migration sowie Fragen nationaler Identität und kultureller Diversität in den Mittelpunkt stellt und Künstler:innen fokussiert, die Flucht und Migration aus eigener Erfahrung kennen.
„Im Jahr 1989 kam ich als politischer Flüchtling aus der Sowjetunion nach Österreich, das zu meiner Heimat wurde. In den letzten Jahren in Leningrad habe ich mich stark politisch engagiert. Da hatten wir klare Methoden: Texte verfassen, Demonstration organisieren, Flugblätter verteilen, die regimekritische Samizdatzeitung herausgeben. Als Künstlerin habe ich andere Werkzeuge und ein anderes Wirkungsfeld. Als Russland in die Ukraine einmarschierte, fiel es mir schwer, einen Sinn darin zu sehen, Kunst zu machen. Also kehrte ich, so wie viele von uns, zu direkten Aktionen zurück, zum Beispiel, um geflüchteten Ukrainer:innen zu helfen. Jetzt hat es sich so eingependelt, dass ich beides gut verbinden kann, Kunst und direktes Handeln, und ich glaube, ich sehe einen Weg, wo sich die beiden Felder produktiv ergänzen.“ –Anna Jermolaewa
„Die Biennale Arte in Venedig ist eine der umfassendsten Ausstellungen bildender Kunst weltweit, wenn nicht die wichtigste schlechthin. Darum freue ich mich umso mehr, dass im Jahr 2024 die Künstlerin Anna Jermolaewa den österreichischen Pavillon bespielenwird. Dafür möchte ich ihr meinen Dank aussprechen, ebenso wie Kuratorin Gabriele Spindler für ihre umsichtige Auswahl und das große Engagement bei der Realisierung des heimischen Beitrags. Jermolaewa waren in den letzten Jahren einige wichtige Ausstellungen in renommierten Institutionen gewidmet, ihr nunmehriger Beitrag für die Biennale krönt einen bewegten Lebenslauf. Die Arbeiten der Künstlerin kennzeichnet ein besonderes wachsames Gespür für menschliche und gesellschaftliche Zwischentöne wie auch für Absurditäten und Manipulationen, die mit humorvoller und feiner Klinge seziert werden. Ausgehend von ihren Erlebnissen, Beobachtungen und Ideen reformuliert sie diese in Videos, Fotos, Malerei, Aktionen und Performances.
Ihre Kunst ist zutiefst politisch, ja gesellschaftspolitisch, in der Umsetzung jedoch spielerisch und leicht. Als Betrachter:in erkennt man ihre einprägsame kritische Haltung und verspürt ihren deutlichen Appell im Sinne eines politischen Wandels und des Hinterfragens von Machtstrukturen. Ich wünsche der Künstlerin viel Erfolg und den Besucher:innen einen inspirierenden Ausstellungsrundgang,“ so Kunst-und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer.
Über die KünstlerinAnna Jermolaewa (geb. 1970 als АннаЕрмолаева) ist eine Konzeptkünstlerin aus Leningrad (UdSSR). Nachdem sie als eines der ursprünglichen Mitglieder der ersten Oppositionspartei, der Demokratischen Union, und Mitherausgeberin einer ihrer Zeitungen der antisowjetischen Agitation und Propaganda beschuldigt worden war, floh sie 1989 nach Österreich und bekam hier politisches Asyl. Ihre künstlerische Praxis umfasst ein breites Spektrum von Medien: Video, Installation, Malerei, Performance, Fotografie und Skulptur. Seit 2019 ist Anna Jermolaewa Professorin für Experimentelle Gestaltung an der Linzer Kunstuniversität. Neben zahlreichen Einzelausstellungen nahm sie bereits seit 1999 an unterschiedlichen Biennalen teil. Sie ist mit ihren Arbeiten in zahlreichen Sammlungen vertreten und wurde neben vielen anderen Preisen jüngst mit dem Dr.-Karl-Renner-Preis der Stadt Wien für ihr soziales Engagement als Mitglied des Vereins „Ariadne − Wir Flüchtlinge für Österreich“ ausgezeichnet.