Constanze Ruhm widmet sich im Belvedere 21 der Zerschlagung patriarchaler Blick- und Bildregime sowie der Suche nach einer anderen Art von Bildern und Erzählungen, die sie im gemeinschaftlichen weiblichen Kunstschaffen findet.Seit den frühen 1990er-Jahren nutzt Constanze Ruhm unterschiedliche Medien, um filmische Erzählungen feministisch zu re-formulieren. Mit der Geschichte des italienischen Feminismus und den sogenannten „Preziösen“, jener protofeministischen Pionierinnen der Salonkultur, denen sich die italienische Feministin Carla Lonzi gewidmet hatte, beschäftigt sich die international anerkannte Künstlerin schon seit vielen Jahren. Mit ihrem Konzept einer zerbrochenen, fragmentierten Zeitlichkeit, um zu einer anderen Art von Bildern, von Filmen und letztendlich von Bewusstsein zu gelangen, ist Carla Lonzi eine der Leitfiguren in Ruhms Ausstellung. Von ihr stammt auch das Titel gebende Zitat „come una pupilla al variare della luve“.
In Ruhms Ausstellung dient der zerbrochene Spiegel als Figur und visuelle Metapher, um die Geister feministischer Geschichte zu beschwören. Dieser Spiegel steht hier für vieles: die Zerstörung eines Schönheitsideals, das sich im Spiegelbild und in dessen permanenter Überprüfung ausdrückt; die Fragmentierung einer linearen Zeitlichkeit; die schmerzhafte Zerschlagung eines weiblichen Selbstbildnisses durch Gewalteinwirkung, verbunden mit der Suche nach einer erst neu zu findenden Konstellation, die immer offen und fragmentarisch bleiben muss. Nicht zuletzt reist er durch die Zeiten („uno specchio che viaggia nel tempo“): In ihm erscheinen Bilder des Kinos, der Fotografie, aus der Geschichte der Malerei.
In neu konzipierten Videoinstallationen, einer Fotoserie, der Anordnung von Archivmaterial sowie der Präsentation von Arbeiten weiterer feministischer Künstlerinnen aus den Anfängen der italienischen Frauenbewegung der 1970er-Jahre – wie etwa Suzanne Santoro und Maria Grazia Chinese – macht Constanze Ruhm feministische Kunst- und Filmgeschichte im Spiegel einer zeitgenössischen künstlerischen Praxis sichtbar. Dabei hinterfragt sie, welche Verbindungslinien zu historischen Momenten und Figuren der feministischen Bewegungen wiederaufgenommen und in die Zukunft projiziert werden können. Gemeinsam mit jungen Feministinnen tauchen all deren Vorläuferinnen auf, Frauen, die sich schon vor Hunderten von Jahren versammelt, politische Diskussionen geführt und sich organisiert haben. Der Grenzverlauf zwischen Vergangenheit und Gegenwart bleibt durch die Ränder der Spiegelscherben unscharf, so wie die Beziehungen und Bezüge zwischen den Generationen.
Das Thema des Spiegels strukturiert als zentrales Motiv der Schau auch die Ausstellungsarchitektur und die visuelle Gestaltung, die in den Farben Grün und Silber gehalten ist. Der Spiegel ist in Constanze Ruhms Arbeit imstande, unterschiedliche Orte und Zeiten, nicht zuletzt das Reale und das Imaginäre, zu verbinden. Doch er dient nicht nur als optisches Instrument, das Vergangenheit und Gegenwart zusammenfügt. Die Spiegelscherben fangen auch das Sonnenlicht ein und senden Lichtsignale aus – in Richtung Zukunft. Nach der Zertrümmerung des patriarchalen Blick- und Bildregimes geht es in Ruhms künstlerischen Arbeiten darum, mit performativen Ritualen, theatralen Beschwörungen und vieldeutigen Signalen die Fragmente zu einem anderen Körper zusammenzusetzen und so zu einer feministischen Geschichtsschreibung beizutragen.
KURZBIOGRAFIEConstanze Ruhm wurde 1965 in Wien geboren. Sie studierte visuellen Mediengestaltung an der Hochschule für angewandte Kunst Wien bei Peter Weibel. Von 2004 bis2006 war sie Professorin für Film und Video an der Merz Akademie Stuttgart, seit 2006 ist sie Professorin für Kunst und digitale Medien an der Akademie der bildenden Künste Wien. Die Künstlerin, Filmemacherin, Autorin und Kuratorin lebt und arbeitet in Wien und Berlin. Ihre Fotografien, Filme und Installationen wurden in internationalen Ausstellungen sowie auf Filmfestivals gezeigt, etwa am ZKM Karlsruhe, bei der Berlinale, bei der Biennale di Venezia und beim International Film Festival Marseille (FID).
KATALOG Constanze Ruhm. Come una pupilla al variare della luce Herausgeberinnen: Stella Rollig, Claudia SlanarAutorinnen: Annamaria Licciardello, Stella Rollig, Constanze Ruhm, Suzanne Santoro, Claudia SlanarGrafikdesign und Satz: Dorothea BrunialtiVerlag der Buchhandlung Walther & Franz KönigSeitenanzahl: ca. 128Deutsch und Englisch in einem BandVerkaufspreis: EUR 24,90 ISBN 978-3-903327-47-4