In seiner Ausstellung im Hauptraum der Secession zeigt der Schweizer Künstler Jean-Frédéric Schnyder einen Querschnitt seiner Malerei aus fast vierzig Jahren (1983–2021). In der für ihn typischen Weise sind die 102 Bilder unterschiedlicher Formate (alle: Öl auf Leinwand) in gleichmäßigem Abstand gehängt und bilden, von vorne nach hinten in der Größe an-und dann wieder absteigend, eine horizontale Linie. Das sich stets ändernde Live-Bild des Außenraums, das die Glastüre an der Stirnwand freigibt, ist dabei konzeptuell mitgedacht.Seit Ende der 1960er-Jahre hat Schnyder ein breites Oeuvre geschaffen, das Malereien, Fotografien, Skulpturen, Objekte und Installationen umfasst. In seiner künstlerischen Praxis ist er stets radikal offengeblieben. Ein Resultat dieser radikalen Offenheit ist ein äußerst abwechslungsreiches Werk. Betrachtet man Schnyders malerisches Werk seit dem Beginn der 1970er-Jahre, so entdeckt man gleichermaßen eine überraschende Beständigkeit und Brüche.
In jeder neuen Werkserie, die zugleich eine Versuchsanordnung darstellt, konzentriert sich der Künstler akribisch auf das gewählte Thema. Sein Interesse für den Prozess der Malerei selbst hat ihn etwa motiviert, sich mit der Vedutenmalerei auseinanderzusetzen und in mehrteiligen Serien von Plein-Air-Bildern umzusetzen: beispielsweise die aus 128 kleinformatigen Bildern bestehende Serie derBernerVeduten(Anfang der 1980er-Jahre) oder die Mitte der 1990er-Jahre realisierte Serie AmThunersee, die 38 kleinformatige Gemälde umfasst.
Schnyder orientiert sich bei der Wahl seiner Themen und Motive an bestehenden und gängigen Praktiken, spielt diese konsequent und gekonnt durch –Stillleben, Akt, und Landschaft, die drei häufigsten Motive der Kunstgeschichte etwa –, während die Malereien stilistisch höchst unterschiedlich gearbeitet sind. Anstatt den romantisierten Inbegriff Schweizer Alpenbilder zu bewahren und zu verfestigen, zeigt er vielmehr Bilder menschlich kultivierter, sich zu eigen gemachter Landschaft, etwa, wenn er Autobahnen in den Vordergrundrückt. Im Atelier arbeitet der Künstler mit figurativen wie abstrakten Motiven und Stilen. Für eine Reihe von Blumenbildern –ein weiteres klassisches Motiv –wendet er ein geometrisch abstraktes Pixelsystem an, das an frühe digitale Ästhetiken ebenso erinnert wie an die Farbfeldmalerei des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Skulpturale Objekte hat der Künstler häufig aus Alltagsgegenständen und Restmaterialien geschaffen. Die Arbeit Empire State Buildingvon 1971 etwa besteht aus Legobausteinen, Kaugummi und einer innen versteckten Lichtquelle. Auch zuvor als Umzugskartons benutzte (Bananen)Schachteln werden wiederverwertet, vor allem die Teile mit standardisiert ausgestanzten Tragegriffen. Diese klebt der Künstler mit braunem Papierband sorgfältig zusammen und formt damit neue Objekte –so zum Beispiel das in der Ausstellung präsentierte Objekt Durchbrochen(2015). Das zweite Objekt in der Ausstellung, Käfig(2008) –ein aus Ästen einer Haselnussstaude gebildeter Hohlraum –bildet quasi ein Gegenobjekt desselben bildhauerischen Motivs.
Seit Ende der 1960er-Jahre zeigt Schnyder seine Arbeiten international in Ausstellungen, u. a. in der legendären, von Harald Szeemann kuratierten AusstellungWhenAttitudeBecomesFormin der Kunsthalle Bern (1969), bei der documenta 5 (1972) und documenta 7 (1982); 1993 repräsentierte er die Schweiz auf der Venedig Biennale. 2022 waren dem Künstler gleich zwei Ausstellungen in Bern gewidmet, im Kunstmuseum und der dortigen Kunsthalle.
Jean-Frédéric Schnyder, geboren 1945 in Basel, lebt und arbeitet in Zug, Schweiz.
Programmiert vom Vorstand der SecessionKuratiert von Jeanette Pacher