Foto: Mathias Schormann Foto: Mathias Schormann - Mit freundlicher Genehmigung von: dbartmag

Was: Ausstellung

Wann: 28.04.2021 - 23.08.2021

„Hirnsturm“, das könnte eine Flut innerer Bilder sein, die in extremen Zuständen, wie im Rausch oder bei einem Schock, durch den Kopf schießt. Hirnsturm II, die Ausstellung des Berliner Künstlers Marc Brandenburg, übersetzt diese Überflutung in eine räumliche Erfahrung. In der in Schwarzlicht getauchten Haupthalle der Schau laufen die Betrachter*innen durch einen Wirbel von…
„Hirnsturm“, das könnte eine Flut innerer Bilder sein, die in extremen Zuständen, wie im Rausch oder bei einem Schock, durch den Kopf schießt. Hirnsturm II, die Ausstellung des Berliner Künstlers Marc Brandenburg, übersetzt diese Überflutung in eine räumliche Erfahrung. In der in Schwarzlicht getauchten Haupthalle der Schau laufen die Betrachter*innen durch einen Wirbel von ins Negativ verkehrten Zeichnungen, die wie zersplitterte Wahrnehmungen oder filmische Sequenzen in einem schwarzen Nichts schweben.

Seit über 25 Jahren hält der 1965 geborene Künstler auf seinen Streifzügen durch Berlin, London oder Barcelona alltägliche, ephemere Motive fest: kostümierte Demonstrant*innen, Müll, Graffiti, Plastikspielzeug, Werbung, Schlafplätze von Obdachlosen. Häufig zeigen die Bilder, die Brandenburg erst fotografiert, dann am Computer bearbeitet und anschließend freihändig abzeichnet, Freund*innen und Bekannte aus der Berliner Szene, die er seit Jahrzehnten immer wieder porträtiert. Ganz bewusst versucht er, den Prozess des Zeichnens so maschinell und kühl wie möglich zu halten, expressive Gesten, so etwas wie eine offensichtliche Handschrift zu vermeiden. Dabei entdeckt er Schönheit in sozialen Zuständen, die in unserer Gesellschaft immer mehr zum Gegenstand von Ausgrenzung werden: dem Sensiblen, Gefährdeten, Traumatisierten, Prekären.

Brandenburg, der Autodidakt ist und in den frühen 1990er-Jahren als Quereinsteiger aus der Mode- und Clubszene in die professionelle Kunstwelt kam, nimmt in seiner Arbeit die Perspektive einer deutschen, schwulen „Person of Color“ ein, die in ihre unmittelbare Umgebung blickt. Fast tagebuchartig dokumentiert die Bilderflut ein Leben, das sich vor allem in einem weißen, deutschen Kontext abspielt. Hirnsturm II reflektiert dabei die Bilderflut der Popkultur und den Zwang, den Overload dieser Bilder innerlich zu verarbeiten.

Den zweiten Teil der Ausstellung bildet die Videoinstallation Camouflage Pullover (2018). Sie ist die Weiterführung einer bereits 1992 entstandenen Strickarbeit, Tarnpullover für Ausländer, die damals unter dem Eindruck der rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen und der Polizeigewalt gegen den Afroamerikaner Rodney King und den anschließenden Unruhen in Los Angeles entstand. Für Camouflage Pullover entwickelte Brandenburg tragbare Modelle, für die Wollköpfe und -hände in den unterschiedlichsten „Hauttönen“ an gefundene Pullover gestrickt und von Performer*innen in Berliner Parks und Straßen getragen wurden. Brandenburg inszenierte mit den ausschließlich männlichen Figuren, die stereotypisch „weiße Männer“ und „People of Color“ andeuten, kleine Situationen ohne Handlung: ein Picknick, Herumschlendern, das Warten auf einer Parkbank. Sein Video zeigt die Irritation der Passant*innen. In anderen Segmenten setzt sich die „weiße“ Schauspielerin Nicolette Krebitz eine „schwarze“ Maske auf und der dunkelhäutige Direktor des Kunstraums Potsdam, Mike Gessner, zieht sich eine „weiße“ Maskierung über, um zu demonstrieren, dass unter den Masken Menschen unterschiedlichsten Alters, Geschlechts, mit den verschiedensten Hautfarben, kulturellen Hintergründen oder sexuellen Orientierungen stecken.

Mit Camouflage Pullover schlägt Brandenburg einen ambivalenteren, fließenden Begriff von Identität vor. In ihrer irritierenden Sprachlosigkeit vermitteln die maskierten Akteur*innen nicht nur surreale Stimmungen und bloße Fremdheit. Sie verkörpern auch den Schwebezustand, in dem sich unsere Gesellschaft befindet, die gerade erst damit anfängt, sich mit systemischem Rassismus und kolonialer Vergangenheit zu beschäftigen. Die Unsicherheit, die sie ausstrahlen, ist auf gewisse Weise auch eine Projektion – die Frage, wie es für uns wohl wäre, nur für einen Augenblick in dieser Wollhaut zu stecken und unseren eigenen Blicken und Urteilen ausgeliefert zu sein.

Tags: Bildende Kunst, Installationen, Marc Brandenburg, Videokunst

Öffnungszeiten und EintrittTäglich außer Dienstag, 11 – 18 UhrDonnerstag 11 – 21 Uhr

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