Sibylle Bergemann, Nina und Eva Maria Hagen, Berlin 1976 © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin Sibylle Bergemann, Nina und Eva Maria Hagen, Berlin 1976 © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin - Mit freundlicher Genehmigung von: berlinischegalerie

Was: Ausstellung

Wann: 24.06.2022 - 10.10.2022

Sibylle Bergemann (1941–2010) gehört zu den bekann- testen deutschen Fotograf*innen. Über mehr als vier Jahrzehnte schuf die Berlinerin ein außergewöhnli- ches Werk aus Stadt-, Mode- und Porträtaufnahmen sowie essayistischen Reportagen. Wiederkehrende Motive sind die Stadt, Frauen und immer wieder auch Hunde. Fernweh ist dabei wichtiger Antrieb für die fotografische Praxis…
Sibylle Bergemann (1941–2010) gehört zu den bekann- testen deutschen Fotograf*innen. Über mehr als vier Jahrzehnte schuf die Berlinerin ein außergewöhnli- ches Werk aus Stadt-, Mode- und Porträtaufnahmen sowie essayistischen Reportagen. Wiederkehrende Motive sind die Stadt, Frauen und immer wieder auch Hunde. Fernweh ist dabei wichtiger Antrieb für die fotografische Praxis weltweit: Dakar, Moskau, New York und Paris gehörten zu ihren Zielen.

Mit einer Auswahl von über 200 Fotogra- fien, davon 30 bisher unveröffentlicht, richtet die Aus- stellung einen retrospektiven und persönlichen Blick auf das Werk von Sibylle Bergemann. Sechs Kapi- tel – „Unsichtbare Beobachterin“, „Berlin“, „Frauen“, „Leningrad, Moskau, Paris, New York “, „Die Welt in Farbe“ und „Zurück in Berlin“ – führen thematisch und weitestgehend chronologisch durch das zwi- schen 1966 und 2010 entstandene Œuvre. Ein wei- teres Kapitel, „Lebensorte“, präsentiert neben ihren Fotografien auch Bilder von Arno Fischer, Ute Mahler, Roger Melis und Michael Weidt, die Einblick in Berge- manns private und soziale Räume geben. Hier zeigt sich die Verbundenheit zu befreundeten Fotograf*in- nen in Ost-Berlin und zu internationalen Kolleg*innen.

Unsichtbare BeobachterinSchon mit fünfzehn Jahren möchte Sibylle Berge- mann Fotografin werden. Zunächst beginnt sie 1958 jedoch eine kaufmännische Ausbildung und arbeitet in verschiedenen Betrieben als Sekretärin. Ab 1965 ist sie für die illustrierte Monatszeitschrift „Das Magazin“ in Berlin tätig. Hier lernt sie den Fotografen und ihren späteren Lebenspartner Arno Fischer (1927–2011) kennen, der damals an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Weißensee unterrichtete. Sie wird Teil eines inspirierenden Freund*innenkrei- ses aus Künstler*innen, Mode- und Architekturstu- dent*innen. Durch ihre berufliche Routine und den intensiven Austausch mit befreundeten Fotograf*in- nen wie Brigitte Voigt, Arno Fischer und Roger Melis stärkt sich in den 1970er Jahren ihre Position im Be- reich der freien Fotografie.

BerlinDie Stadt ist und bleibt über Jahrzehnte hinweg ihr Thema: Sie überführt scheinbar Gegensätzliches subtil in poetische Schönheit. In der DDR setzt sie das abgerissene historische Amtsgericht in den Kon- trast zur modernen Glasfassade des „Haus des Leh- rers“. Im wiedervereinten Deutschland hält sie den Rückbau des Palasts der Republik, einst kulturpoliti- sches Symbol der DDR, vor dem neobarocken Berli- ner Dom fest.

Die Menschen in der Stadt fotografiert sie aus einer subjektiven Beobachtung heraus, in ihren sozialen Milieus oder städtischen Lebenswelten. Generell versucht Bergemann, mit einer eigenen Bildsprache ihre künstlerische Autonomie jenseits des parteilich verordneten Bildkanons zu behaupten, ohne dabei Veröffentlichungsverbote zu riskieren. Sie ist auf den großen Ausstellungen wie der Porträtfotoschau der DDR (1971, 1981, 1986) und der IX. und X. Kunstausstellung der DDR (1982/83, 1987/88) vertreten. In den 1970er Jahren publiziert sie Texte und Bilder in der Zeitschrift „Fotografie“, die der Zentralkommission für Fotografie (ZKF) unterstellt ist. Hier beschreibt sie 1973 die Fotografie als „[...], eine sinnlich wahrgenommene und mitgeteilte Auffassung von Menschen und ihren Beziehungen, von Dingen und ihren Zusammenhängen [...].“ Viele ihrer Fotogra- fien sind in liberaleren Zeitschriften wie „Das Maga- zin“, „Sonntag“ und „Sibylle“ veröffentlicht. Bergemann ist unter anderem von der französischen Fotografie inspiriert, etwa von Eugène Atget und Édouard Boubat. So unternimmt sie in der DDR wiederholt Anstrengungen, nach Frankreich zu reisen. Ihr eigenes, dem Menschen zugewandtes Selbstverständnis findet sie auch in der von Edward Steichen kuratierten Wanderausstellung (1955, New York und Berlin) und dem Katalog „The Family of Man“ wieder. Sie sieht sich darin bestätigt, dass sich die Fotografie als Berufsfeld kultur- und gesell- schaftspolitisch etablieren lässt, ohne den Anspruch auf individuelle Urheberschaft aufzugeben. Für ihre berühmteste Serie „Das Denk- mal“ (1975–1986) findet sie eigene, ungewöhnliche Bildlösungen. Über elf Jahre hinweg, erst aus Freund- schaft und später im Auftrag des Ministeriums für Kultur der DDR, besucht sie den Bildhauer Ludwig Engelhardt (1924–2001) in seinem Atelier auf Use- dom. Sie wird Zeugin der von Ideologien und Debat- ten durchzogenen Entstehung des Denkmals für das Berliner Marx-Engels-Forum. Final wählt Bergemann jene Fotos aus, die Einzel- und Sinnbilder zugleich sind: fragmentierte Körper, geometrische Formen und vielfältige Materialien. Nach der Maueröffnung wird die schwebende, am Kran hängende Friedrich- Engels-Figur medial häufig als Sinnbild für das Ende der DDR verwendet.

FrauenBilder von Frauen prägen das Œuvre der Fotografin. Oft sind es Schauspielerinnen, Künstlerinnen, Auto- rinnen und Mannequins, die Bergemann aus ihrem Selbstverständnis als Frau fotografiert. Ausdruck und Pose der Dargestellten sind mal humorvoll und auf- sässig, mal lässig und stolz. Sie möchte „die Wirk- lichkeit in die Bilder bringen“, hält sie 1994 fest. Das flüchtig Gegenwärtige zeigt sich auch in ihren Mode- fotografien. Es ist nicht die geplante, in der DDR wenig geläufige Studio-Fotografie, die Bergemann reizt. Sie will Mode situativ in natürlichen Lebens- räumen aufnehmen. 1993 sagt sie im Interview mit der ehemaligen Sibylle-Redakteurin Dorothea Melis: „Wetter und Licht sind immer ein Risiko, aber aus der Improvisation entstehen oft unerwartet schöne Bil- der.“ Trotzdem sind die Modeserien thematisch und konzeptuell vorbereitet. Während der Foto-Sessions dirigiert und arrangiert Bergemann ihre Modelle. „[B]ei der Mode“, so die Fotografin 2007, „da muss man schon ganz genau wissen, was man will, und muss den Leuten das auch sagen.“

NeubeginnAuch im wiedervereinten Deutschland sichert Ber- gemann ihre fotografische Autonomie: Im Oktober 1990 gründet sie zusammen mit Harald Hauswald, Ute Mahler, Werner Mahler, Jens Rötzsch, Thomas Sandberg und Harf Zimmermann „OSTKREUZ - Agen- tur der Fotografen“. Sie setzen sich zum Ziel, durch gegenseitige Unterstützung im westlichen Betrieb selbstständig zu bleiben und die eigenen Bildrechte zu sichern. Ab den 1990er Jahren erhält Bergemann auch Aufträge von Zeitschriften wie „Zeit-Magazin“, „Stern“ oder „The New York Times Magazine“ und ab 1997 für „Geo“. Als sie 1999 für ihre erste „GEO“- Bildreportage in den Jemen reist, hat das nachhalti- gen Einfluss auf ihr Werk. Ihre Karriere entwickelt sich auch in Farbe weiter, die im internationalen Bildjour- nalismus fast zur Pflicht geworden ist. Bergemann vergrößert ihre Farbfotografien von nun an selbst und steht dafür stundenlang in der Dunkelkammer: „... sonst sind das nicht meine Bilder“ (2007). Bis 2010 reist sie für „Geo“ unter anderem nach Ghana, Mali, Portugal und in den Senegal. In Dakar fotografiert sie 2001 die Kollektionen der senegalesischen Mode- schöpferin Oumou Sy.

Gute Bilder kann man nicht erzwingen, man kann sie nur in Empfang nehmen [...]“, beschreibt die „Geo“-Journalistin Johanna Wieland Bergemanns Arbeitsweise. Über vier Jahrzehnte hinweg war Bergemann dafür weltweit unterwegs. Eine Kamera hatte sie mindestens immer dabei. Sei es für die Mode- und Porträtfotografie oder für die Reportage. Frei oder im Auftrag – sie folgte ihrer Begabung, Essenzen des Wahrnehmbaren aus der Beobachtung in die Fotografie zu überführen.

Das Projekt wird ermöglicht durch den Förderverein der Berlinischen Galerie und entsteht in enger Kooperation mit dem Estate Sibylle Bergemann.

Katalog Hrsg. Berlinische Galerie: Thomas Köhler und Katia Reich. Mit Texten von Susanne Altmann, Bertram Kaschek, Anne Pfautsch, Katia Reich, Jan Wenzel, Frieda von Wild und Lily von Wild. Gestaltet von Büro Otto Sauhaus. Hatje Cantz Verlag, deutsch/englisch, 264 Seiten, 250 Abbildungen.

PodcastAnlässlich der Ausstellung erscheint ein vierteili- ges Audio-Feature über die Fotografin Sibylle Berge- mann. Es ist in der Ausstellung sowie als Podcast auf der Website der Berlinischen Galerie und bei Spotify verfügbar. Bildungsprogramm Neben Kurator*innenführungen, öffentlichen Füh- rungen am Wochenende und buchbaren Führun- gen für Gruppen gibt es für Schulklassen kostenfreie Projekttage und Führungen. Zusätzlich finden Pro- gramme für Kinder und Familien statt sowie barriere- freie Angebote. Die Vermittlungsprogramme werden in Kooperation mit Jugend im Museum e.V. und dem Museumsdienst Berlin durchgeführt. Nähere Informa- tionen: berlinischegalerie.de/bildung

Sibylle Bergemann, Niederlande, 1986 © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin Sibylle Bergemann, Niederlande, 1986 © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin - Mit freundlicher Genehmigung von: berlinischegalerie / Sibylle Bergemann, Meret Becker, Berlin 1998 © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin Sibylle Bergemann, Meret Becker, Berlin 1998 © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin - Mit freundlicher Genehmigung von: berlinischegalerie / Sibylle Bergemann, Dakar, Senegal 2001 © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin Sibylle Bergemann, Dakar, Senegal 2001 © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin - Mit freundlicher Genehmigung von: berlinischegalerie /
Tags: Sibylle Bergemann

ÖFFNUNGSZEITENMittwoch–Montag 10:00–18:00 UhrEINTRITTSPREISETageskarte 8 EuroErmäßigt 5 Euro (gilt auch für Gruppen ab 10 Personen)

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