Vor einem schimmernden Poolhintergrund fallen riesige, goldene Bitcoin-…
Vor einem schimmernden Poolhintergrund fallen riesige, goldene Bitcoin-…
Vor einem schimmernden Poolhintergrund fallen riesige, goldene Bitcoin-Münzen, während ein junger Mann lässig auf einem der Goldstücke durch das Bild surft. In seinem Batik-T-Shirt nimmt er eine coole Pose ein, die Sonnenbrille sitzt auf der Stirn, jederzeit griffbereit auf seinem Flug durch den digitalen Goldregen. Die deutsch-albanische Medienkünstlerin Anna Ehrenstein entwirft futuristische Bild-welten, die sie in surrealen Arrangements in Szene setzt. Die digitale Utopie der globalen Konnektivität aufgreifend, wählt Ehrenstein Motive wie Bitcoins, Drohnen und VR-Brillen, die in ihren Collagen wie Fremdkörper erscheinen. Bewusst bedient sie sich in ihren Arbeiten einer Photoshop-Ästhetik, um gängige visuelle Narrative, welche die Fotografie seit jeher als Medium der Dokumentation beschäftigen, gezielt zu konterkarieren.
Tools for Conviviality ist ein multimediales Projekt, das ein 360°-Video, Fotografien, Collagen sowie bedruckte Textil- und Acrylsklupturen zu einer komplexen Installation verwebt. Mit dem Titel ihrer Arbeit bezieht sich Ehrenstein auf das gleichnamige Buch des österreichisch-US-amerikanischen Philosophen Ivan Illich, der bereits 1973 den westlichen Fortschrittsglauben kritisiert hat. Anstatt unser Leben zu er-leichtern, würden wir uns, so Illich, den Werkzeugen der technologischen Innovation unterwerfen. Heutzutage versprechen Smartphones, Social Media und Virtual Reali-ty eine globale Vernetzung über Ländergrenzen hinweg. Ehrenstein stellt mit ihrer Arbeit diese vermeintliche Utopie zur Diskussion. Mit großer Leichtigkeit bedient sie sich digitaler Medien- und Kommunikationstechnologien, um die Betrachter*innen ihrer Bildwelten zu einer kritischen Reflexion über Stereotype und deren mediale Re-präsentation anzuregen.
Mit seinem multiperspektivischen Ansatz hinterfragt Tools for Conviviality gleichzeitig die europäische Perspektive auf Lebensentwürfe im westafrikanischen Raum. An Stelle eines klassischen dokumentarischen Blicks von außen rückt eine kollektive Methode der oralen und visuellen Recherche vor Ort, in die lokale Kreative als Ko-Produzent*innen eingebunden werden. Während ausgedehnter physischer und vir-tueller Aufenthalte in Dakar hat sich Anna Ehrenstein an die Lebenswelten der dort ansässigen Kunst- und Kulturschaffenden Saliou Ba, Donkafele (Mandé Mory Bah und Thibault Houssou), Nyamwathi Gichau, Lydia Likibi und Awa Seck visuell heran-getastet. Die senegalesische Hauptstadt zieht aufgrund ihrer kulturellen Signifikanz und den dort herrschenden losen Visabestimmungen eine Vielzahl junger Kreativer an. Die im Bereich Mode, Design, Schreiben, Übersetzung und spiritueller Heilung tätigen Kollaborant*innen migrierten aus Benin, Guinea, Gambia, der Republik Kongo und Kenia in die florierende Metropole, um sich eine neue Existenz aufzubauen. In seiner Surrealität und den bewusst eingebauten Glitches – visuelle Turbulenzen und Störeffekte, welche eine vermeintlich faktenorientierte Dokumentation in Frage stellen – ermöglicht Ehrensteins multimediales Projekt eine Vielzahl von Lesarten und passt aus Sicht der Jury ideal in das Thema der ‚New Documentary Strategies‘, für das der C/O Berlin Talent Award vergeben wird. Für ihre lebendige, facettenrei-che und visionäre Strategie des Visual Storytellings erhält die Künstlerin ein Preis-geld von 7.000 Euro und wird mit der Einzelausstellung Anna Ehrenstein . Tools for Conviviality bei C/O Berlin geehrt. Zur Ausstellung erscheint eine begleitende Publi-kation bei Spector Books, Leipzig, herausgegeben von Dr. Kathrin Schönegg für die C/O Berlin Foundation, mit Texten der parallel ausgezeichneten US-amerikanischen Theoretikerin Emily Watlington.
Anna Ehrenstein (*1993, AL/DE) erforscht den Austausch von Mensch und Objektim digitalen Zeitalter. Sie hat Fotografie und Medienkunst an der FachhochschuleDortmund studiert sowie ein Postgraduiertenprogramm für Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien bei Mischa Kuball und Julia Scher durchlaufen. Ihre Arbeiten waren in internationalen Gruppenausstellungen zu sehen wie u.a. demFormat Situations des Fotomuseum Winterthur, CH (2019) dem Fotofestival Les Rencontres d’Arles (2018) und der Triennale für Fotografie in Hamburg (2018).C/O Berlin wird ihre erste institutionelle Einzelausstellung präsentieren. Ehrensteinwar für diverse Preise nominiert und erhielt zuletzt ein DAAD Stipendium für ein Rechercheprojekt in Bogota, Kolumbien. Anna Ehrenstein lebt in Berlin, Köln und Tirana.
Emily Watlington (*1993, USA) setzt sich mit aktueller Medienkunst und feministi-scher Ethik auseinander. Sie hat einen Abschluss in Kunstgeschichte (BFA) und ei-nen Master of Science in Architecture Studies (SMArchS) im Programm History, Theory, and Critcism of Architecture and Art (HTC) am Massachusetts College of Art and Design absolviert. Watlington war 2018/2019 mit einem Fulbright Fellowship für Journalismus in Berlin und arbeitet derzeit als Assistant Editor bei Art in America. Ihre Texte erschienen in Ausstellungskatalogen, Sammelbänden, Magazinen und Zeitschriften, u.a. in Art in America, Hyperallergic, Haunt Journal of Art, Frieze, Ano-ther Gaze, Mousse, Art Review und im Spike Art Magazine. Emily Watlington lebt in New York. C/O Berlin Talent Award wird einmal jährlich in den Kategorien Kunst und Theorie an ein Tandem unter 35 Jahre vergeben. Er ist mit einem Preisgeld für beide Ge-winner*innen, einer Einzelausstellung und einer individuell gestalteten Publikation verbunden. Ein gemeinsamer Artist Talk rundet die Zusammenarbeit von Theorie und Praxis ab. Die Künstler*innen werden durch ein Komitee von internationalen Expert*innen für den C/O Berlin Talent Award nominiert. Theoretiker*innen können sich während eines Open Call bewerben. Dieses in Europa einzigartige Förderpro-gramm wird von der Kuratorin Dr. Kathrin Schönegg geleitet. Seit 2020 wird der C/O Berlin Talent Award durch die Alexander Tutsek-Stiftung ermöglicht.
Anna Ehrenstein . Tools for Conviviality . C/O Berlin Talent Award 2020 Ausstellung ab Wiedereröffnung–02. September 2021
ÖffnungszeitenTäglich . 11:00–20:00 Uhr
Eintritt10 Euro . Ermäßigt 6 Euro
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