Die erste Linie einer (Architektur-)Zeichnung beginnt mit einer Idee, ganz gleich, wo sie ansetzt und welche Gestalt sie annimmt. Bei Thom Mayne führt diese erste Idee zu komplexen Formen, zu etwas Unvorhersehbarem, ja schier Unerreichbarem. Im Laufe seiner herausragenden Karriere forderte Mayne das Medium der Architekturzeichnung stets heraus und schuf Improvisationen und „skulpturale Gemälde“, die – wenngleich sie vollkommen zufällig entstanden – seine Architektur beeinflussen.In den 1970er Jahren bildete sich in Venice Beach die Gruppe der sogenannten L.A. Ten, bestehend aus zehn Architekten, die ähnliche kulturelle und akademische Interessen teilten. Ihre Mitglieder, darunter Mayne, wandten sich von der Vorstellung des „form follows function“ ab und widmeten sich den neuen Möglichkeiten der experimentellen Architektur in Los Angeles.
Das südkalifornische Klima und Materialreste aus den Produktionsstätten der Luft- und Raumfahrtindustrie und anderen Fabriken von L. A. boten den Architekten eine hervorragende Plattform für Experimente. In dieser Zeit gründete Mayne zusammen mit dem Architekten James Stafford sein experimentelles Büro Morphosis, das er bis heute leitet.
Der Name Morphosis umschreibt die Philosophie des Architekturbüros: Verschiedene Materialien und Techniken werden zusammengefügt, um so etwas Neues entstehen zu lassen. Von dieser Idee getragen, realisierte Thom Mayne Bauwerke wie den Hauptsitz des kalifornischen Verkehrsministeriums Caltrans District 7 Headquarters in Los Angeles, das Universitätsgebäude der Cooper Union 41 Cooper Square in New York, die Bill and Melinda Gates Hall für die Cornell University in Ithaca und nicht zuletzt die Hypo Alpe- Adria-Bank in Klagenfurt, die inzwischen zu Architekturikonen geworden sind. Mayne ist darüber hinaus Mitbegründer des Southern California Institute of Architects (SCI-Arc), wo er sich im Now Institute der Forschung und Lehre bis heute mit Hingabe widmet. 2005 erhielt er den Pritzker-Preis und war von 2009 bis 2016 Mitglied des Komitees für Kunst und Geisteswissenschaften von Präsident Barack Obama. Die Ausstellung Thom Mayne: SkulpturaleZeichnungen präsentiert nur einen Bruchteil seines enormen Œuvres. Gezeigt werden persönliche Skizzenbücher, Serigrafien sowie Hand- und sogenannte skulpturale Zeichnungen aus den Jahren 1979 bis 2020. Die Schau umfasst dabei sowohl „traditionelle“ Werke auf Papier als auch die Zeichnung (drawing) und Modell (model) kombinierenden „Drawdels“ sowie dreidimensionale Gemälde, die Experimente mit der Form und Materialität darstellen. Maynes visionäre Komposition, die 1988 für die Ausstellung Berlin – Denkmal oder Denkmodell? entworfen wurde, ergänzt den Diskurs, den die Ausstellung anregt.
Mit Blick auf das sich wandelnde und sich ständig weiterentwickelnde Medium der Architekturzeichnung illustriert die Werkauswahl Maynes stetiges Erkunden der Grenzen der Norm sowohl in seiner künstlerischen als auch in seiner Architektursprache. Die präsentierten Werke zeigen, wie Maynes Interesse an Transformation und Erfindung das Formenvokabular der Architektur nicht nur in Los Angeles, sondern auch im Ausland verändert hat.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.Die Ausstellung wurde kuratiert von Dr. h. c. Kristin Feireiss, Mitbegründerin und Direktorin des Architekturforums Aedes und Mitglied des Kuratoriums der Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung, und Esenija Bannan, Kuratorin der Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung. Tchoban Foundation. Museum für ArchitekturzeichnungDie 2009 von Sergei Tchoban, einem leidenschaftlichen Zeichner und Sammler von Architekturzeichnungen, gegründete Tchoban Foundation dient mit ihrer beträchtlichen Sammlung als Grundlage für die Forschung zur Geschichte und zum Wesen der Architekturzeichnung. Darüber hinaus bietet eine umfangreiche Präsenzbibliothek mit dem Schwerpunkt Architekturzeichnung Experten und interessierten Besuchern die Möglichkeit zur Recherche. Erklärtes Ziel der Stiftung ist vor allem, die fantastischen und emotionsgeladenen Welten der Architekturzeichnung im digitalen Zeitalter einer breiten Öffentlichkeit in Ausstellungen näherzubringen.