Für den gebürtigen Australier Steven Black steht die Wahrnehmung im Mittelpunkt seiner Arbeit als Maler. All seine Gemälde entstehen direkt vor dem Motiv und werden so aus der unmittelbaren Beobachtung des Künstlers heraus entwickelt. Es ist eine zeitintensive Malerei, die Black betreibt. In langen Sitzungen verbindet er im Prozess des Malens seine Wahrnehmung des Gesehenen mit der malerischen Konstruktion des Motivs.Blacks Interesse liegt ganz auf der intensiven Auseinandersetzung mit dem, was er vor sich sieht. Narrative Elemente sind für ihn dabei nicht von Bedeutung. Es ist die Erscheinung und Präsenz seiner Motive, die ihn stark interessieren. Auch wenn man bei einer Arbeit wie "2019.01" nach den klassischen Kriterien der Kunstgeschichte von einem Portrait sprechen kann, so merkt man doch schnell, dass es dem Künstler nicht um die Persönlichkeit des Modells geht, sondern in erster Linie um deren ästhetische Erscheinung im Raum: In einem schlanken Hochformat posiert hier ein weibliches Modell in dunkler Jeans und rotem Pullover, lässig an den Heizkörper gelehnt, vor einem großen Altbaufenster in Blacks Atelier in der Baumwollspinnerei Leipzig. An der Decke über der jungen Frau leuchtet grell eine schlichte Neonröhre in bläulichem Weiß. Ihre mehrfache Wiederholung in Form von Spiegelungen im doppelt-verglasten Fenster verleiht der Darstellung eine bemerkenswerte räumliche Tiefe. Blacks Faszination an diesem Phänomen scheint mindestens genauso wichtig wie seine Behandlung der menschlichen Figur, die in ihrer vertikalen Form eine Art Gegenpol zur betonten Horizontalen der Neonlampe und der Fenstergliederung bietet. Dass Black seinen Bildern keine assoziativen Titel gibt und sie lediglich durchnummeriert, unterstützt die These, dass es ihm nicht darum geht, ein Portrait eines bestimmten Individuums zu malen – auch wenn seine Figuren durchaus individuelle und ausdifferenzierte Gesichtszüge aufweisen – oder Geschichten zu erzählen.
Häufig begegnen dem Betrachter in Blacks Gemälden mehrere Figuren, die sich bei genauerem Hinsehen jedoch als ein und dasselbe Modell in verschiedenen Posen und an unterschiedlichen Positionen im Raum entpuppen. Die Arbeit "2019.03" ist ein charakteristisches Beispiel für diesen Bildaufbau. Das Gemälde erinnert fast ein wenig an Standbilder einer filmischen Sequenz, die unterschiedliche zeitliche Momente gleichzeitig und durch die räumliche Situation geeint zeigen: Mal sitzt das Modell in einem gelben Sessel, mal steht es mitten im Raum, der leere Sessel daneben. Wir sehen die Frau von rechts, von links, frontal oder im Profil. Im Hintergrund finden wir das Fenster, vor dem auch das Modell mit dem roten Pullover posierte. Auffällig im Vergleich mit diesem Bild ist die rohere, skizzenhaftere Bildsprache dieser Arbeit. In "2018.02" ist dieser Aspekt noch deutlicher zu finden. Hier bleiben der Raum und die nackten Figuren darin lediglich angedeutet und verleihen dem Bild so eine Ästhetik des Unvollendeten. Mit dieser Vorgehensweise präsentiert der Künstler neben dem Motiv auch den Akt des Malens selbst und bezieht den Betrachter so intensiv in den bildnerischen Entstehungsprozess mit ein. Egal ob Black nun zu einer ausformulierten oder skizzenhafteren Bildsprache in seinen Arbeiten greift, immer zeigen die Ergebnisse mehr ein Suchen, den Versuch, sich der Erscheinung und der Komplexität der Motive zu nähern, als dass sie eine reine Abbildung schaffen wollen.
Nach einem ersten Studium der Malerei in Melbourne studierte Steven Black von 1999 bis 2005 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Arno Rink. Als dessen Meisterschüler wurde Black 2003 mit dem Ars Lipsiensis Preis der Dresdner Bank ausgezeichnet. Zusätzlich zum Studium der Malerei studierte er Philosophie an der Universität Leipzig. Seit einigen Jahren hat Steven Black selbst eine Professur für Malerei, Zeichnen und künstlerische Anatomie an der HGB in Leipzig inne.