Die 1990er: Raves, Sportswear als High Fashion, erste Unisex Mode, politischer Aktivismus im Zug der globalen AIDS Krise, die Neuordnung der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges, Wiedervereinigung Deutschlands, erste Mobiltelefone und Beginn der Verbreitung des Internets. Die Neunziger markieren aber auch jenen Punkt in der Geschichte, in der sich der Zeithorizont krümmt und Zukunft und Vergangenheit zum Loop werden. Von da an wird es nichts mehr geben, was es in leicht anderer Form nicht schon einmal gegeben hat. Time Is Thirsty ist eine Reise durch Zeit und Raum im Medium der Ausstellung: Ein komplexes Ensemble aus heutigen Kunstwerken und solchen aus den frühen 1990er Jahren, genauer, dem Gründungsjahr der Kunsthalle Wien: 1992. Im Zentrum steht die Erfahrung von Zeit, ihrer Dynamik und ihres Stillstehens, geformt durch die Manipulation von Gegenwart und Vergangenheit, Erinnerung und Wahrnehmung. Time Is Thirsty eröffnet einen immersiven Zeit-Raum, in dem die Grenzen zwischen den Jahrzehnten instabil werden: Was wir sehen, scheint sich, obwohl vielfach fast dreißig Jahre alt, bruchlos ins Heute zu fügen. Ob wir es mit einem Relikt aus den 90ern, einem Gegenwartsphänomen oder einem Fragment aus der Zukunft zu tun haben, bleibt manchmal ungewiss.Neben den Kunstwerken vergegenwärtigen atmosphärische Elemente und Ephemera die Jahre um 1990. Eine von der norwegischen Künstlerin und Geruchsforscherin Sissel Tolaas komponierte Nachbildung des spezifischen Aromas von Wien 1992 wird im Ausstellungsraum versprüht. Der britische Musiker und Gründer des Independent-Labels Mego Peter Rehberg und das italienische Elektronische-Musik-Duo Vipra stellen jeweils eine Playlist zusammen, die die Ausstellung akustisch untermalt. Der Designer Fabio Quaranta wählt für die Nineties charakteristische Kleidungsstücke aus und kleidet das Besucher/innenservice der Kunsthalle Wien ein.
Im Rahmen von Time Is Thirsty wird auch die wegweisende Ausstellung Tattoo Collection teilweise reaktiviert. Das 1991 von Florence Bonnefous und Édouard Merino (Air de Paris) zusammen mit Gilles Dusein (Urbi et Orbi) initiierte Projekt, wurde zuerst im Sommer 1992 in der Galerie Jennifer Flay in Paris gezeigt und später bei Daniel Buchholz in Köln und in der Andrea Rosen Gallery in New York. Hunderte von Künstler/innen reichten Zeichnungen und Ideen für Tattoos ein, teilweise mit streng festgelegten, spezifischen Auflagen. In den Galerien wurden die Skizzen präsentiert mit der Option, die Werke käuflich zu erwerben und die Tattoos permanent zu realisieren, wobei die meisten Entwürfe bislang noch nicht ausgeführt wurden. Zehn der Originalarbeiten werden im Rahmen von Time Is Thirsty als Hommage an die Ausstellung von 1992 realisiert.
Die Tätowierungen werdenzum Leben erweckt, indem sie in die teilnehmenden Körper dauerhaft eingraviert und von diesen getragen werden. Die Werke sind dadurch gleichermaßen von politischer und kunsthistorischer Relevanz. Die Ausstellung zeigt auch das historische Werk Felix Gonzalez-Torres, „Untitled” (It’s Just a Matter of Time), 1992. Die Plakatwand wurde ursprünglich in Hamburg in Verbindung mit der Ausstellung Gegendarstellung – Ethics and Aesthetics in Times of AIDS ausgestellt. Der Text auf schwarzem Hintergrund ist auf Deutsch in einer weißen, gotischen Schrift, die unweigerlich mit der deutschen Geschichte verbunden ist. Die Arbeit wird während der Ausstellung auf mehreren kommerziellen Werbetafeln in ganz Wien installiert.
Time Is Thirsty präsentiert eine raumgreifende Installation aus Kunst, Sprache, Duft und Sound, Artefakten und Alltagsobjekten, in der die Zeitachsen sich verschieben und gegenwärtige Vergangenheit wie spekulative Zukunft fließend ineinander überzugehen scheinen: ein Repertoire von Gesten und Gefühlen, die wie nach dem Schlucken einer MDMAdeleine physisch und mental nachvollziehbar werden. Ein Kaleidoskop der Zeichen, zwischen denen man sich verlieren kann.
Kurator: Luca Lo Pinto
Künstler/innen: Xavier Aballí, Lutz Bacher, Nick Bastis, Cara Benedetto, Anna- Sophie Berger, Maurizio Cattelan, Claude Closky, DIE DAMEN, Jason Dodge, Robert Flack, Felix Gonzalez-Torres, Adam Gordon, i ready made appartengono a tutti ®, Ann Veronica Janssens, Pierre Joseph, On Kawara, La Blonde, Dorothea Lasky, Eva Marisaldi, Franco Mazzucchelli, Matthew McCaslin, Elisabeth Mercier, Eileen Myles, Fabio Quaranta, Peter Rehberg, Willem de Rooij, Georgia Sagri, Julia Scher, Heji Shin, Mladen Stilinović, Sissel Tolaas, Gavin Turk, Vipra, Chris Wilder