Im Jahr 1996 entwickelten die Künstler Kurt Benning (1945–2017) und Hermann Kleinknecht (geb. 1943) das Langzeitprojekt „Videoporträts“. Ihr Konzept bestand darin, Protagonisten der Münchner Kunstszene, aber auch Menschen aus allen sozialen Klassen, unterschiedlichen Berufsgruppen und jeden Alters darüber sprechen zu lassen, was sie bewegt. Ursprünglich sollte sich der Kreis auf Protagonisten der Münchner Kunstszene beschränken. Diese Fokussierung wurde jedoch bald aufgegeben, so dass vom Kunsthistoriker zum Bauunternehmer, vom Schriftsteller zum Taxifahrer, vom Steuerberater zur Schneiderin unterschiedlichste Menschen ins Blickfeld genommen worden sind. Entsprechend vielfältig sind die (Selbst-)Darstellungen, die sich nicht nur im Gesprochenen, sondern auch in Stimme, Gestik und Körpersprache manifestieren. Das Münchner Stadtmuseum präsentiert rund 50 dieser Videoarbeiten von bekannten wie unbekannten Münchner*innen. Durch die Vielzahl und die Unterschiedlichkeit der Porträtierten geben die „Videoporträts“ einen Querschnitt durch die Münchner Gesellschaft unserer Zeit.Unter der Überschrift "Bilder für Alle" stellt die Ausstellung ergänzend einige offene Projekte vor, die im Sinne von Benning und Kleinknecht das Medium Porträt, das traditionell eher privilegierten Gesellschaftsschichten zur Verfügung stand, einem demokratischen Wandel unterziehen.
Im Rahmen einer Ausstellung zur Hundefotografie im Münchner Stadtmuseum im Jahr 1989 porträtierte die Museumsfotografin Kerstin Schuhbaum (geb. 1957) mitten in der Ausstellung Hunde zusammen mit Ihren Besitzer*innen vor einem schlichten weißen Leintuch. Sie ging dabei der Frage nach, ob die häufige Behauptung, dass sich Besitzer und Hund nicht selten ähnlich sehen, mehr als nur ein Klischee ist.
Im Kontext des 25jährigen Jubiläums der Münchner Obdachlosenzeitschrift BISS bauten die beiden Fotografinnen Barbara Donaubauer (geb. 1975) und Ulrike Frömel (geb. 1968) im Sommer und Herbst 2018 ein mobiles Porträtstudio auf dem Wittelsbacherplatz auf. Unter dem Motto: „Ein Bild für alle“ gaben sie jedem, der wollte ein Porträtfoto von sich mit. Somit auch denjenigen, die sich vielleicht noch nie ein Porträtstudio begeben haben und sich bisher kein solches Foto leisten konnten. Insgesamt entstanden rund 100 Porträts der Münchner Stadtgesellschaft. Diese Aktion werden die beiden Fotografinnen in der Ausstellung an zwei Terminen fortsetzen. Pressemitteilung Gesichter der Stadt.
Die Münchner Künstlerin Jadranka Kosorcic (geb. 1972) startet regelmäßig "Blind Dates" und zeichnet ihr unbekannte Menschen, die sich bei ihr per E-mail melden können. Kosorcic betrachtet ihre Arbeit als „eine Begegnungen von Menschen und der Möglichkeit, sie aus der Nähe zu sehen, sie durch und im Vorgang der Porträtzeichnung kennenzulernen, ihr Wesen in einem traditionellen Medium, aber einem neuartigen sozialen Setting zu erfassen.“ Im Rahmen ihres Projekts "Stundenporträts" malte die Münchner Künstlerin Gabriele Drexler (geb. 1966) 2018 die Besucher*innen des Zwischennutzungsprojekts "Kunsthaus Raab" in München- Neuhausen und befragt das etwas aus der Zeit gefallene Genre der Porträtmalerei.
Der Tübinger Musiker und Medienkünstler Timo Dufner (geb. 1980) fusioniert in seiner Arbeit „Die Maschine erinnert sich“ die individuellen Gesichter der Ausstellungsbesucher*innen mithilfe künstlicher Intelligenz zu einem durchschnittlichen, „kollektiven“ Gesicht.
Diese zeitgenössischen Arbeiten ergänzen die umfangreichen, stark historisch geprägten Porträtbestände der Sammlungen des Münchner Stadtmuseums und suchen neue Wege der Repräsentation der Bürger*innen zwischen Individuum und Typus.