Ernesto Neto O escultor e a deusa, 1995 In Zusammenarbeit mit Murilo Meirelles © Ernesto Neto, 2015 Foto: Murilo Meirelles Ernesto Neto O escultor e a deusa, 1995 In Zusammenarbeit mit Murilo Meirelles © Ernesto Neto, 2015 Foto: Murilo Meirelles - Mit freundlicher Genehmigung von: kunsthallekrems

Was: Ausstellung

Wann: 19.07.2014 - 01.11.2015

Ernesto Netos künstlerisches Schaffen steht für einen erweiterten körperhaften Skulpturenbegriff und ist gleichzeitig Ausdruck seines ganzheitlichen Weltverständnisses. Weit über die geläufigen Grenzen von Skulptur hinaus oszillieren Netos Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Bildhauerei und Architektur, zwischen Tradition und Innovation. Obwohl Neto neue Materialien und…
Ernesto Netos künstlerisches Schaffen steht für einen erweiterten körperhaften Skulpturenbegriff und ist gleichzeitig Ausdruck seines ganzheitlichen Weltverständnisses. Weit über die geläufigen Grenzen von Skulptur hinaus oszillieren Netos Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Bildhauerei und Architektur, zwischen Tradition und Innovation. Obwohl Neto neue Materialien und modernste Technologien in der Produktion seiner Werke einsetzt, greift der Künstler konsequent auf das Potenzial seiner nächsten Umgebung – auf indigenes Wissen und traditionelles Handwerk – zurück. Sein Handlungsraum ist geprägt von sozialer Ausrichtung, Solidarität, Nachhaltigkeit und Achtsamkeit. Dabei verfolgt er das durchaus politisch zu verstehende Ziel, in einer universellen, sinnlich-erfahrbaren Sprache ein kollektives Bewusstsein für das fragile Gleichgewicht der Welt und der bewohnten Umwelt zu intensivieren.

„Bei manchen Arbeiten, etwa bei Paxpa – There Is a Forest Encantada Inside of Us wird den Besucher(inne)n unter dem großen organischen Gewölbe ein Gemeinschaftserlebnis ermöglicht, welches das eigene Ich in Beziehung zu anderen Besucher(inne)n setzt und einen `kollektiven Körper ́, wie es Lygia Clark nannte, schafft. Damit wird nicht nur ein konventioneller Werkbegriff zwischen passiver Betrachtung und aktiver Teilnahme des/der Einzelnen aufgehoben, sondern ein sozialer Erfahrungsraum mit sensuellen Empfindungen geschaffen, der als Ort der Versammlung, des Austausches und der Selbsterkenntnis fungiert.“

Hans-Peter Wipplinger, aus dem Katalog zur AusstellungErnesto Netos Œuvres lässt eine tiefe Verwurzelung in der brasilianischen Kunst- und Kulturgeschichte seit dem Ende der 1950er-Jahre erkennen. Nicht nur die Kunst des Neo-Konkretismus, dessen Hauptprotagonist(inn)en Lygia Clark und Hélio Oiticica wesentliche Weichen in Hinblick auf eine alle Sinne berührende interaktive Kunst und ihr soziales Potenzial gestellt haben, beeinflussten Netos Werk. Auch lässt es sich mit der Tropicália-Bewegung in Verbindung bringen – einer in den 1960er-Jahren von Künstler(inn)en, Poet(inn)en, Filmschaffenden und Theatermacher(inne)n getragenen Protestbewegung gegen die Militärdiktatur in Brasilien.

„Der Neokonkretismus und spätere Tropikalismus wollten die Kunst aus dem reduktionistischen Griff von Rationalismus, Wissenschaft und vermeintlicher Objektivität befreien, der ihrer Meinung nach nur ein begrenztes theoretisches Konzept der Realität zuließ.“

Thomas Mießgang, aus dem Katalog zur AusstellungAuf formaler Ebene reicht sein künstlerisches Streben gemäß seinem Willen nach einem umfassenden Weltverständnis weit über die Gesetze der reinen Logik hinaus und findet in (verbaler wie non-verbaler) Poesie und einer forcierten, haptisch-sinnlichen Sprache aus Formen, Farben und Materialien Ausdruck. Von frühen hängenden Skulpturen, wie beispielsweise Copulônia, die der Künstler bereits seit den späten 1980er-Jahren entwickelt, über seine fluide-wogenden, biomorphen Installationen bis zu Wandreliefs aus buntfarbigen Textilien oder ausufernden Bodenarbeiten erstreckt sich die Bandbreite seiner raummodulierenden Arbeiten, mit denen er nicht zuletzt konstruktiven und physikalischen Parametern,wie der Verlagerung von Gewicht, der Herstellung von Gleichgewicht und der alles zentrierenden Schwerkraft nachspürt. „Was Neto über die `Instrumentalisierung ́ der Architektur zum Zweck der Adressierung des Körpers hinaus anwendet, ist die Schwerkraft. Anders als in der Architektur, die seit den Gewölben der Gotik die Fähigkeit zur Überwindung der Gravitation inszeniert, und auch anders als in jenen Plastiken, die auf materialunabhängige Formgebung abzielen, stellt die Schwerkraft für Neto das alle irdische Materie ‒ ob organischer oder anorganischer Natur – einigende Prinzip dar. In dieser allumfassenden Wirksamkeit übertrifft sie alle sonstigen irdischen Kräfte und bildet somit die elementarste Kommunikationsbasis alles Seienden. Das Austarieren von Kräften, Gewichten, Volumina und Massen in seinen mit Styroporkügelchen, Blei oder Gewürzen gefüllten elastischen Membranen ist eine schwelgerische Inszenierung dieser alles grundierenden Kraft.“

Verena Gamper, aus dem Katalog zur AusstellungElastische Nylonschläuche – gefüllt mit organischen und anorganischen Materialien, wie etwa Sand, Gewürzen, Glasperlen, Blei- und Styroporkugeln – streben, der Gravitation ergeben, vertikal zu Boden und bilden in ihrer Behäbigkeit Antipoden zur Transparenz der Oberflächen.

Ernesto Netos bioskulpturaler Kosmos ist hierbei – wie auch die lautmalerischen Titel seiner Arbeiten verraten – aus Sinnlichkeit, Körperlichkeit, Gerüchen, Berührung, Intimität und Beziehungen gewebt.

„Weiße Stofflandschaften, gigantische Zellhaufen, schwebende Textilschläuche, hängende Gewichte, weiche Gewebe und duftende Gewürzsäcke: Ernesto Netos Plastiken sind ein Fest für die Sinne. Er erweitert den in der Kunst gemeinhin auf Visualität begrenzten Wahrnehmungsapparat um Taktilität wie Olfaktorik gleichermaßen und bespielt damit die umfassende sensorische Klaviatur des Körpers.“ Verena Gamper, aus dem Katalog zur Ausstellung Dieses fragile Geflecht aus Empfindungen und Interrelationen teilt der Künstler in seinen vielfach interaktiv-erlebbaren Skulpturen mit den Besucher(inne)n seiner Ausstellungen. So spricht Neto sinngemäß von seinem Bestreben, die Menschen aus ihrer Alltagsrealität herauszuholen, um sie in ein Traumland zu entführen, indem er eine Art Oase kreiert, in der sie atmen und denken können. Neto verweist in diesem Zusammenhang auf eine psychophysische Wahrnehmungskonstellation, in der ein Gleichgewicht zwischen Körper und Geist hergestellt wird. „An die Trennung von Geist und Körper glaube ich nicht. Ich glaube, dass der Geist im Körper ist und dass es der Körper ist, der uns trägt.“Ernesto NetoSein künstlerisches Schaffen steht somit für ein leidenschaftliches Bewusstmachen unserer leiblichen Teilhabe an einem universellen Gefüge, um dessen Gleichgewicht zu erhalten und wie beim Spiel, beim Tanz oder im Zuge eines Rituals Achtsamkeit, Verantwortung und Respekt im Umgang miteinander einzufordern.

„Meine Hoffnung richtet sich auf eine Kunst, die [...] sinnlicher ist. Ich will eine Kunst, der allein es gelingt, uns zu einer Art Unendlichkeit, einer Totalität zusammenzuschließen, in der wir mit dem Universum ein Kontinuum bilden. Ich will auch eine Kunst, die uns mit dem Anderen verbindet, die uns hilft, mit anderen Menschen zu interagieren, die uns unsere Grenzen bewusst macht. Die Grenze zwischen dir und mir ist aber keine Wand, sondern ein Ort der Empfindungen, ein Ort des Austausches und der Kontinuität zwischen Menschen, eine Haut der Existenz und Beziehungen.“

Ernesto NetoAls Kooperation mit Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Wien überschreitet dieses Ausstellungs- projekt nicht nur disziplinäre sondern auch institutionelle Grenzen. Während die Personale in der Kunsthalle Krems mit Arbeiten aus den letzten 25 Jahren retrospektiv angelegt ist, wird sich Ernesto Neto in der TBA21–Augarten mit einer neuen Installation schamanistisch-spirituellen Traditionen und überlieferten Heilungsritualen der indigenen Völker des Amazonas widmen und diese mit Themen der Anthropologie, dem Zustand der Natur und Formen der Gegenwartskunst verweben.

„Ernesto Netos Werk stellt ein unerschöpfliches Reservoir von komplexen und hybriden Verfahrensweisen, Materialverwendungen, Formgebungen und Themen dar, die ein Gefühl von Sein und eine Vorstellung von Welt vermitteln, die, sinnlich, körperlich und kognitiv zugleich, eindrücklich über Phänomene des Seins berichten.”

Hans-Peter Wipplinger, aus dem Katalog zur AusstellungKurator: Hans-Peter WipplingerZur Ausstellung erscheint ein 192 Seiten starker Katalog im Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln. Das von Hans-Peter Wipplinger herausgegebene Katalogbuch enthält neben seinem Text Beiträge von Verena Gamper und Thomas Mießgang. Erhältlich um 24,90 € im Shop der Kunsthalle Krems sowie im Buchhandel.

Tags: Bildende Kunst, Ernesto Neto, Skulpturen

Öffnungszeiten:Di - So und Mo wenn Feiertag 10.00 bis 18.00 UhrTICKETPREISEErwachsene € 10,00Ermäßigt € 9,00