Die Polarregionen haben Forschungsreisende seit Jahrhunderten fasziniert und magisch angezogen. Diese unwirtliche Welt, geprägt von riesigen Eisbergen, Treibeis und arktischen Temperaturen, erfüllt gemeinhin die Vorstellungen von einer unberührten, archaischen Landschaft, die allerdings nur unter erheblichen körperlichen Anstrengungen und hohem technischen Einsatz für kurze Zeit zugänglich ist. Besucher dieser bizarren Landschaft aus Eis und Schnee sind überwältigt von dem Empfinden, nur ein winziges, unbedeutendes Element inmitten eines gewaltigen Naturspektakels zu sein.In den vergangenen Jahren haben verschiedene Künstler wie Olafur Eliasson oder Darren Almond diese arktischen Regionen entdeckt und auf verschiedene Weisen auf die Natur künstlerisch reagiert. Zu den Besuchern des Eismeeres gehört auch der Fotokünstler Stefan Hunstein, der 2012 nach Grönland gereist ist und ein faszinierendes Konvolut atemberaubend schöner Bilder vom Ende der Welt mitgebracht hat.
Stefan Hunstein hat die Lichtstimmungen und Natur so wiedergegeben, wie sie sich seinem Auge darboten. Er hat keine künstliche Überhöhung oder Verfremdung des Natureindrucks durch manipulative Eingriffe nachträglich vorgenommen. Viele Aufnahmen sind aus leicht erhöhter Perspektive gesehen. Dadurch ändert sich die Wahrnehmung der konkreten Größenverhältnisse, aber auch die Textur und Materialität der Eisformationen, die einer ständigen Metamorphose unterliegen. Besondere Aufmerksamkeit verdient das in dieser Region vorherrschende eigentümlich bleierne Licht. Horizontlinien lösen sich gelegentlich ins Nebulöse auf, die Atmosphäre, das Wasser und Eis gehen fast nahtlos ineinander über.
Stefan Hunsteins Aufnahmen aus der Eiswüste mit ihrer gewaltigen Ausdehnung rufen beim Betrachter widersprüchliche Empfindungen wach, die zwischen überwältigender Schönheit und Erschrecken vor der Bedrohung oszillieren. Das Naturspektakel entwickelt dabei eine eigene theatrale Qualität, die den Betrachter in den Bann zieht. Die Wahrnehmung dieser monumentalen lebensfeindlichen Umgebung bedeutet für das Individuum eine Grenzerfahrung und ruft einen besonderen Zustand des Geistes hervor, den der Philosoph Georg Simmel anlässlich der Begehung der hochalpinen Gletscherwelt wie folgt beschrieben hat: „Aus den Einsamkeiten der Gletscherwildnisse aber quillt die Empfindung gesunder Thatenfreude (…) ein so überlebenshohes und – frohes Gefühl, wie vielleicht aus keiner anderen, rein äußerlich dargebotenen Situation.“ (Georg Simmel, 1895, „Alpenreisen“). Ähnliche Empfindungen des Erhabenen stellen sich bei den Bildern der Natur ein, die uns Stefan Hunstein in seinen Arbeiten überlässt.