»Die Arbeiten sind feine Helfer, die Alltagsdynamik zu unterbrechen, sich ihnen zuzuwenden und länger als einen Augenblick mit ihnen zu verweilen«, erläutert die Leiterin des Schmuckmuseums Cornelie Holzach. Daniel Spoerris Arbeiten überraschen den Betrachter vielfach dadurch, dass sie Unerwartetes zusammenbringen. Alltägliches, Gewöhnliches wird zu Kuriosem oder gar Düsterem, das oft durch Ironie wiederum etwas Liebenswertes erhält.
Oder aber Spoerri spielt mit Sprache, nimmt Redensarten wörtlich und bannt sie in seine Gebilde, wie die aus mehreren Fröschen bestehende »Froschleiter« oder den Anhänger »Rattenschwanz«. Die Schau ist vom 8. Februar bis zum 27. April 2014 in der Galerie zum Hof des Schmuckmuseums Pforzheim im Reuchlinhaus zu sehen.
Bettina Speckner: Broschen zum Sich-Zeit-Lassen Bei einem Großteil ihrer Arbeiten verwendet Bettina Speckner Fototechniken: Fotoätzung, Emailfotos oder Ferrotypie — eine alte Fototechnik, die Ende des 19. Jahrhunderts in den USA aufkam. Zugleich arbeitet sie immer auch an Schmuckstücken ohne Bilder. In der Ausstellung im Schmuckmuseum zeigt sie Broschen mit »Vasenbildern« und Ferrotypien oder Arbeiten zu Themen wie »Natur/Kultur« und »Moderne Welt«. Fotos haben dabei dieselbe Funktion wie Edelsteine oder Gold — jedes Stück, ob Bild, Ding oder Material, steht zunächst einmal für sich selbst. Entsprechend geht es Speckner bei Steinen nicht um die markttauglichen Eigenschaften, >FehlfarbenDaniel Spoerri: Feinsachen und PrillwitzchenWenn Daniel Spoerri Modeschmuck, silberne Ketten und Amulette aus dem arabischen Raum oder historischen Gablonzer Christbaumschmuck auf Darstellungen von chirurgischen Eingriffen aus dem 18. Jahrhundert klebt, dann verschönt, verkitscht und verharmlost er so ein blutiges und mit Schmerzen verbundenes Geschehen. Dies tun aber auch schon die zeichnerischen Darstellungen, denn da fließt kein Blut; wunderschön — engelsgleich — sind die Hände, die den chirurgischen Eingriff vornehmen; die Gliedmaßen des Patienten präsentieren sich unverkrampft und ergeben — und das vor der Erfindung der Anästhesie!
Was aber geschieht, wenn Daniel Spoerri selbst Schmuckstücke entwirft? Dann wird Banales oder Abstoßendes — die zwei Hälften einer Walnuss oder eine Karotte beziehungsweise der Beckenknochen einer Ratte oder mumifizierte Frösche — durch die Umsetzung in wertvollere Materialien wie Bronze, Silber, Gold zu etwas Bizarrem, mitunter Erschreckendem. »Und wie häufig bei Daniel Spoerri wird der Schrecken gebrochen durch Ironie«, erläutert die Leiterin des Ausstellungshauses Spoerri im österreichischen Hadersdorf, Barbara Räderscheidt. Er fügt zum Beispiel zwei Glasäuglein hinzu, und man sieht, was der Künstler schon vorher gesehen hat: ein Zwitterwesen mit eher ratlosen als furchteinflößenden Gesichtsausdruck. Die Scheren eines Hirschkäfers werden zu einer widerspenstigen, beidseits abwehrenden Brosche in perfekter Symmetrie und klassisch strenger Form — und wunderschön.
Spoerris erste Schmuckstücke entstanden in den frühen 1990er Jahren in kleinen Auflagen oder als Unikate. Später regte ein italienischer Schmuckhersteller ihn zu weiteren Serien an. Fragt man den Künstler selber nach seinen Beweggründen, Schmuck zu entwerfen, würde er sicher antworten, dass schon der Name seines Vaters ihn dazu verpflichtet: Feinstein.
In Pforzheim werden neben den »tragbaren« Schmuck-Stücken auch Kleinplastiken von Daniel Spoerri gezeigt. Einige dieser Objekte gehören zu einer Serie mit dem Titel »Prillwitzchen«. Eine interessante und spannende Recherche ging dieser Serie voraus. In Brandenburg suchte Spoerri die »Heiligthümer der Obothriten« auf. Im Anschluss entstanden große Bronzefiguren, bei denen die Gusskanälenicht entfernt wurden, sondern als sperriges Gerüst oder einzelne Tentakel die Ausdehnung der Skulptur erweitern: die »Prillwitzer Idole«, benannt nach dem angeblichen Fundort der obothritischen Figuren. Eine Reihe kleinformatiger Figuren, die in der gleichen Periode entstanden, nannte Spoerri selbstironisch »Prillwitzchen«.
BiografienBettina Speckner1962 geboren in Offenburg1982 Abitur 1984 Eintritt in die Akademie der bildenden Künste, München, Malklasse Prof. H. Sauerbruch 1985 Gaststudentin bei Daniel Spoerri1986 Wechsel in die Klasse für Schmuck und Gerät, Prof. H. Jünger; seit 1991 Prof. Otto Künzli 1992 Erstes Staatsexamen 1993 Diplom ab 1992 eigene Werkstatt in München, jetzt Übersee am Chiemsee Einzelausstellungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Schweden, Japan, den USA, Brasilien und Australien Beteiligung an nationalen und internationalen Ausstellungen
Preise und Auszeichnungen: 1990, 1999 und 2005 Ehrenpreis der DannerstiftunMünchen; 1995 und 2006 Stipendium der Erwin-und-Gisela-von-Steiner- Stiftung; 1997 Projektstipendium des Deutschen Museums München; 199Herbert-Hofmann-Preis; 1999 Förderpreis der Stadt München; 2000 Projektstipendium der Stadt München; 2001 Bayerischer Staatspreis; 200Stipendium des Goethe-Instituts: »Artist in residence« in Tallinn, Estland; 2011 Premio Internationale Mario Pinton (2. Preis), Padua; 2012 Art LAB’s Artist Residency in Rejmyre, Schweden Zahlreiche Vorträge und Workshops im In- und Ausland Arbeiten in öffentlichen Sammlungen: Angermuseum Erfurt; Badisches Landesmuseum, Karlsruhe; Danner Stiftung, München; Deutsches Goldschmiedehaus, Hanau; Museum für Kunst und Gewerbe, Berlin; Museum für Kunst u. Gewerbe, Hamburg; Neue Sammlung, München; Schmuckmuseum Pforzheim; Stadtmuseum München; Collection of the town of Cagnes-sur-Mer; Dallas Museum of Art; Design Museum, Helsinki; Mint Museum of Art and Design, North Carolina USA; Musée de l’Horlogerie et de l’Emaillerie, Genf; Museum of Art and DesignChicago; National Gallery, Canberra; Nordenfjeldske KunstindustrimuseuTrondheim; Röhsska Museum of Decorative Arts, Göteborg; Royal College Of Art Collection, London; Stedelijk Museum 's-Hertogenbosch, NL; The Metropolitan Museum of Art, New York
Daniel Spoerri1930 geboren in Galati, Rumänien1942 Flucht mit der Mutter und fünf Geschwistern nach Zürich, nachdem sein Vater im Sommer1941 in ein Vernichtungslager der Nationalsozialisten verschleppt und dort ermordet worden war. Die Familie nimmt in der Schweiz den Mädchennamen der Mutter an. Adoption durch seinen Onkel, Prof. Theophil Spoerri, Rektor der Zürcher Universität.1949 Lernt M. Pfister-Terpis, Jean Tinguely und Eva Aeppli kennen. Ausbildung an der Theatertanzschule Zürich. 1952 Stipendium für ein Ballettstudium in Paris.1954 -1957 Erster Tänzer am Berner Stadttheater. Beginn der Freundschaft mit Dieter Roth, Bernhard Luginbühl, Claus Bremer, André Thomkins und Meret Oppenheim.
1957-1959 Regieassistent am Theater Darmstadt. Gibt eine Zeitschrift für konkrete Dichtung heraus: »material«. Spoerri kehrt nach Paris zurück, wohnt im »Chambre No 13« des Hotel Carcassonne, Rue Mouffetard.1958-59 Lernt Pol Bury, Jesus-Rafael Soto, Marcel Duchamp, Man Ray und Robert Filliou kennen. Begründet die Edition MAT (Multiplication d’art transformable).1960 Mitunterzeichner des Manifests des »Nouveau Réalisme«. Erste Fallenbilder.1961 Erste Einzelausstellung bei Arturo Schwarz, Mailand.1964 Wohnt im Chelsea Hotel, New York. Kontakte zu Fluxus-Künstlern.1966/67 Rückzug auf die ägäische Insel Symi. Gibt die Zeitschrift »Le Petit Colosse de Symi« heraus.1968 Am 18. Juni Eröffnung des »Restaurant Spoerri« in Düsseldorf.1970 Eröffnung der »Eat Art Galerie« über dem Restaurant Spoerri, Düsseldorf. Ausstellung »Brotteigobjekte«. Die erste Bronzeskulptur entsteht: Santo Grappa; es folgen weitere Objektassemblagen in Bronze. Verschiedene Bankette.1978 Lehrt an der Fachhochschule für Kunst und Gestaltung, Köln. Seine Klasse nennt er »Multimedia«. Hier realisiert er erste Projekte mit Studenten. Seine wöchentlichen Vorlesungen tragen den Titel »Kunst aus dem Nähkästchen«1983 Professur an der Kunstakademie München.Gastdozent an der Ecole des Beaux Arts, Brest.1984 »Spoerri presents ...« (Vorträge in der Kunstakademie München von Christo, L. Fischer, K. Gerstner, B. Luginbühl, H. Nitsch, F. Schwegler, O. Wiener, J. Tinguely, R. Topor).1987 Gastdozent an der Hochschule für Angewandte Kunst, Wien.1990/91 in Seggiano (Italien) beginnt er die Arbeit am Skulpturengarten (»Il Giardino«). Retrospektiven in Paris, Antibes, Wien, München, Solothurn.1992 Gestaltung des Restaurants für den »Schweizer Pavillon« auf der Expo in Sevilla.1993 Der französische Staat verleiht Spoerri den »Grand Prix National de la Sculpture«.2009 In der Nähe von Krems (Österreich), in Hadersdorf am Kamp, eröffnet das von ihm selbst als »Staulager« bezeichnete Haus (»Ab Art«), in dem seine Werke dauerhaft zu sehen sind.
Geplant sind auch themengebundene Ausstellungen mit Werken anderer Künstler. In einem weiteren Gebäude, dem »Esslokal« (»Eat Art«), finden unterschiedliche kulturelle und kulinarische Ereignisse statt. Die Einrichtung wurde im Juni eröffnet. Hier können sich die Besucher mit einfachen Speisen stärken.
Ausstellung in der Galerie zum Hof | Schmuckmuseum Pforzheim im Reuchlinhaus8. Februar bis 27. April | Eröffnung Freitag 7. Februar, 19 UhrSonntag, 16. Februar, 9. März, 6. Und 27. April, 15 Uhr Führung durch die Ausstellung5 €, ermäßigt 3,50 €Für KinderFreitag, 28. März, 14:30 bis 16:30 UhrFrühlingserwachen — schmucke Blüten und Blätter im SchmuckWorkshop für KinderAnmeldung bis Vortag unter 07231/39-212612,50 € inkl. Material (mit Unterstützung desMuseumsfördervereins ISSP)Sonntag, 2. März, 6. April 14 :30 bis 15:15 Uhr Schatzsuche mit Schmucki der PerlsauFührung für Kinder mit dem Figurentheater Raphael Mürle durch Dauer- und Sonderausstellung2 € Teilnahmegebühr, Eintritt für Kinder frei
Öffnungszeiten des Schmuckmuseums Pforzheim Di bis So und feiertags 10 bis 17 Uhr (außer Hl. Abend und Silvester)| Eintritt in die Dauerausstellung 3,00 €, ermäßigt 1,50 €, z.B. mit der SWR2-Kulturkarte, bis 14 Jahre und mit Oberrheinischem Museumspass frei | Gruppenführungen auf Anfrage | Öffentliche Führung durch die Dauerausstellung sonntags 15 Uhr, 5 €, ermäßigt 3,50 € | Partner von Kulturland Baden-Württemberg | Medien- bzw. Kulturpartner des Schmuckmuseums sind Pforzheimer Zeitung und SWR2 | Weitere Informationen unter www.schmuckmuseum.de
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