Der Nordflügel des von Ludwig II. errichteten Schlo sses Herrenchiemsee bietet in diesem Sommer den glanzvollen Rahmen für Kunstwerke aus der Pinakothek der Moderne. Erstmalig trifft an diesem Ort Moderne auf Tradition, Europa auf Amerika. Künstlerräume mit Hauptwerken v on Georg Baselitz, Joseph Beuys, Sigmar Polke, Arnulf Rainer und Eugen Schönebeck antworten auf die raumgreifenden Installationen von Dan Flavi n, Andy Warhol, Willem de Kooning und John Chamberlain. Die seit den späten 1 950er Jahren entstandenen Kunstwerke korrespondieren mit der gro ßzügigen Architektur, gerade weil sie in diesem Gebäudetrakt nur als Frag ment in Erscheinung tritt.Denn die Werke sind nicht in jene zur Entstehungsze it bis 1886 ausgestatteten Enfiladen integriert, die von der Begeisterung des bayerischen Königs für Louis XIV. sprechen, sondern in einem unvollendeten , sich über zwei Stockwerke ausdehnenden Gebäudetrakt, in dem rohe B acksteinwände den Raumeindruck bestimmen. Genau dort, wo die Utopie u neingeschränkter Schönheit nicht realisiert werden konnte, bleibt Ra um für die Realität der Gegenwartskunst: An den einfachen Mauern der Räume finden Baselitz’ gebrochene »Helden« des Nachkriegsdeutschland ebens o ein Refugium wie die Kreuze von Rainer, mit denen er Form und Symbol hinterfragt und damit eine lebendige Auseinandersetzung mit der Malerei w ieder ermöglicht. Die massenkulturellen Themen bei Warhol und Beuys und d eren Zuwendung zu banalen Alltagsmaterialien gehen mit dem singulären Ort eine brisante Allianz ein. Flavins Installationen aus fluoreszier endem Licht faszinieren ebenso wie sie irritieren, denn sie bieten, wie der Künstler sagte, »keinen Raum für Kontemplation, Psychologie, Symbolismus un d Geheimnis«.
Die Ausstellung knüpft an die vielfältigen kulturel len Leistungen des Hauses Wittelsbach an, deren Vertreter über Jahrhunderte h inweg kenntnisreich und leidenschaftlich Werkkomplexe der besten Künstler i hrer Zeit sammelten und schließlich der Allgemeinheit zur Verfügung stellte n. Diese Tradition des Kunstsammelns wird heute, wie auch die Werke der Au sstellung zeigen, von einer breiten Öffentlichkeit getragen. Dank dieses umfassenden Engagements finden in diesem Sommer auf Herrenchiemsee Gegenwar t und Geschichte zueinander. Der in bezaubernder landschaftlicher La ge zwischen München und Salzburg gelegene Palast, eines der berühmteste n Bauwerke Deutschlands, wird als Ganzes für die Öffentlichkeit erfahrbar.