Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelte sich ausgehend von der Künstlerstadt Paris und dank innovativ denkender Verleger und Kunsthändler wie Ambroise Vollard, E. Tériade und Iliazd der Gedanke, dass der bildnerische Teil auf einer Buchseite nicht nur als Unterstützung des Textes dienen, sondern autonom mit diesem in Dialog treten sollte. Malerei und Literatur galten als zwei komplementäre Mittel ein und desselben künstlerischen Ausdrucks. Maler, von Bonnard bis Picasso, von Matisse bis Maillol, die sich auch als Dichter und Schriftsteller betätigten und einander häufig kannten und in Kontakt standen, schufen die ersten bedeutenden illustrierten Bücher dieser Gattung. Die Ausstellung Zwischen den Seiten im Winterpalais zeichnet mit großer Sorgfalt den historischen Verlauf dieser künstlerischen Kreationen nach und fasziniert mit geschichtlichen Einblicken in die Kunstform Buch im Allgemeinen und interessanten Details zur Historie der Techniken Stich, Malerei, Grafik und Fotografie im Besonderen.
Künstlerbücher - Entstehung und Entwicklungv Das Künstlerbuch entstand in der Nachfolge der jahrhundertealten Tradition des illustrierten Buches. Von den Inkunabeln des 15. Jahrhunderts spannt sich der Bogen bis zu den Buchillustrationen des 19. Jahrhunderts, die Künstler wie Goya, Blake, Manet und Delacroix gestalteten. Später trugen Illustratoren von Art nouveau und Art déco zur Produktion edler, eleganter Bände bei.
Als Ausdrucksmittel der Avantgarden der Moderne wurde das Künstlerbuch im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Ort des Experiments, wo sich Maler, Typografen, Dichter und Philosophen an neuen künstlerischen Formen des Lesens versuchten. Mit seinem zehn Doppelseiten umfassenden Langgedicht Le coup des dés setzte Stéphane Mallarmé ebenso einen Grund- und Meilenstein in dieser Kunstgattung wie der Begründer des Futurismus Filippo Tommaso Marinetti mit seinen typografischen Arbeiten. Frankreichs große Meister der Malerei wie z. B. Henri Matisse schufen die ersten Künstlerbücher in der Sprache der Maler.
In den 1920er-Jahren wurde von künstlerischen Strömungen, insbesondere jenen der Avantgarde wie den italienischen Futuristen, den russischen Konstruktivisten und Suprematisten, den Vertretern des Bauhaus, den deutschen Expressionisten und den Dadaisten, eine immer größere Anzahl von Büchern publiziert. Bücher wurden als Medien verstanden, die einerseits eine kommunikative Vernetzung der Künstler untereinander ermöglichten und andererseits Kunst einer breiten Öffentlichkeit näherbringen sollten. Daher lag das Hauptaugenmerk nicht darauf, besonders luxuriöse und teure Werke zu publizieren, sondern Bücher jeder Art wobei aber auch diese häufig Originalstiche enthielten und in limitierter Auflage erschienen.
Unter diesen Avantgardebewegungen war der Surrealismus jene künstlerische Strömung, die den Künstlerbüchern die größte Aufmerksamkeit schenkte und durch ästhetisch innovative Bücher und die Einbindung von Fotografen wie z. B. Man Ray unterschiedlichste Ausdrucksformen einsetzte. Diese Bücher wurden zur persönlichen Äußerung der Künstler selbst. Damit konnten sie ihr Gestaltungsspektrum immer wieder erweitern und neue Chiffrierungen festlegen. Maler, Schriftsteller und Regisseure wie Tristan Tzara, André Breton, René Char und Jean Cocteau entwickelten in persönlichen Treffen zahlreiche Buchprojekte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich das Zentrum der modernen Kunst nach Amerika. Wenngleich auch in Europa weiterhin Künstlerbücher veröffentlicht wurden, nahmen doch die neuen amerikanischen Kulturströmungen vom abstrakten Expressionismus bis hin zur Pop Art, von Alexander Calder und Ellsworth Kelly bis zu Jim Dine diese Kunstform in ihren Besitz.
In den 1960er-Jahren gaben Pop Art, Fluxus, Arte Povera, vor allem aber die Konzeptkunst dem Künstlerbuch einen neuen Schub. Der Ansatz von Fluxus mit der Utopie, eine Kunst für jedermann zu sein, zeigte, wie Druckerzeugnisse für eine schnelle Verbreitung von Ideen und Strategien eingesetzt werden konnten.
Publikationen von Künstlern wie z. B. Ed Ruscha heute als Book Arts bezeichnet wurden wegen ihres originellen redaktionellen Konzepts geschätzt und vom Künstler ohne Zwang seitens des Verlegers gestaltet. Oft wurden die Texte von den Künstlern selbst verfasst, andere Materialien als Papier eingesetzt (Objektbücher) oder fotografische Kompositionen zu Photobooks konzipiert.
Auch zeitgenössische Künstler wie Antoni Tàpies oder Joseph Beuys befassten sich mit diesem Genre, aber auch Anselm Kiefer setzt sich immer wieder mit dem Künstlerbuch in traditioneller und innovativer Form auseinander. Der Bogen der Künstlerbücher spannt sich damit von der Konzeptkunst über die abstrakte Kunst, die Arte Povera und die Transavantgarde bis in unsere heutige Zeit.
DIE KÜNSTLERBÜCHER DER AUSSTELLUNGJean Arp. Le voilier dans la forêt. Louis Broder, Paris, 1957 Léon Bakst André Derain Natalja Sergejewna Gontscharowa Michael Larionow Henri Matisse Léonide Massine Pablo Picasso José Maria Sert u. a. Ballets Russes. Collection des plus beaux numéros de Comoedia illustré et des programmes consacrés aux ballets & galas russes, depuis le début à Paris, 1909 1921. Maurice & Jacques de Brunoff, Paris, 1922
Léon Bakst. The Designs of Léon Bakst for the Sleeping Princess. A Ballet in Five Acts after Perrault. Music by Tchaikovsky. Benn Brothers Limited, London, 1923
Aubrey Beardsley Oscar Wilde. Salome. A tragedy in one act: translated from the French of Oscar Wilde: pictured by Aubrey Beardsley. Mathews & Lane, London, 1894
Max BeckmannParis, 1937 Stephan Lackner. Der Mensch ist kein Haustier. Éditions Cosmopolites,
William Blake Edward Young. The complaint and the consolation; or night thoughts. Printed by R. Noble, for R. Edwards, n° 142, Bond Street, London, 1797
Pierre Bonnard Paul Verlaine. Parallelèement. Ambroise Vollard, Paris, 1900
George Braque Jean Paulhan. Les paroles transparentes. Française, Paris, 1955
Marc Chagall Nicolai Gogol. Les âmes mortes. Tériade, Paris, 1948
Carl Otto Czeschka Franz Keim. Die Nibelungen. Dem deutschen Volke wiedererzählt von Franz Keim. Gerlach, Wien und Leipzig, 1908
Salvador Dalí. La Femme Visibile. Éditions Surrealistes, Paris, 1930
Edgar Degas Ludovic Halévy. La famille cardinal. A. Blaizot, Paris, 1938/39
André Derain François Rabelais. Les horribles et espouvantables faictz et prouesses du très renommé Pantagruel, Roy des dipsodes, fils du grand géant Gargantua. Skira, Paris, 1943
Marcel Duchamp Georges Hugnet. La Septième Face du dé, Jeanne Bucher, Paris, 1936
Max Ernst. Une semaine de bonté ou Les sept éléments capitaux. Aux Éditions Bucher, Paris, 1934
Paul Gauguin. Noa Noa, Voyage de Tahiti. R. Piper & Co., München, 1926
Remigius Geyling. Ball der Stadt Wien 1909. Gedenktage aus dem Jahre1909. Eine Erinnerung. Den Damen Wiens gewidmet vom Ballkomitee der Stadt Wien. Melzer, Wien, 1909
Francisco Goya. Caprichos de Goya. Coleccion de ochenta estampas grabadas al agua fuerte con aguadas de resina. Calcografia Nacional establecida en la Casa de la Real Academia de San Fernando, Madrid, 1868
George Grosz. Das Neue Gesicht der herrschenden Klasse. Der Malik Verlag, Berlin, 1930
Wassily Kandinsky Franz Marc. Der Blaue Reiter. Piper Verlag, München, 1912 Paul Klee Curt Corrinth. Potsdamer Platz oder Die Nächte des neuen Messias. Georg Müller Verlag, München, 1920
Oskar Kokoschka. Der gefesselte Columbus. Fritz Gurlitt, Berlin, 1921
. Quatre histoires de blanc et noir. Kadar, Paris, 1926 Fernand Léger. Cirque. Tériade, Les Éditions Verve, Paris, 1950
Fernand Léger Sirène, Paris, 1919 El Lissitzky Frank Lloyd Wright. Wendingen. Maandblad voor bouwen en sieren -- Van Architectura et Amicitia. N° 11. De Hooge Brug, Amsterdam, 1921
El Lissitzky Jean Arp. Die Kunstismen Les Ismes de l art Rentsch, Erlenbach-Zürich, München und Leipzig, 1925 The Isms of Art. Eugen Aristide Maillol Publius Ovidius Naso (Übersetzung ins Französische: Henri Bornecque). Ovide. L Art d aimer. Frères Gonin, Lausanne, 1935
Kasimir Malewitsch Nicolai Punin. Pervyi tsikl lekcij, chitannyk na kratkosrochnykh kursakh dlja uchitelei risovanija. Sovremmenoe iskusstvo [russ.: Erste Serie von Vorlesungen, gehalten auf den Kurzlehrgängen für Zeichenlehrer. Zeitgenössische Kunst]. Narkompros [Volkskommissariat für Bildungswesen], Petersburg [Petrograd], 1920
Kasimir Malewitsch Olga Rozanova [russ.: Ein Spiel in der Hölle], 1914 André Masson Velimir Khlebnikov Aleksei Kruchenykh. Igra v adu André Malraux. Les Conquérants, Skira, Paris, 1949
Henri Matisse Henry de Montherlant. Pasiphaé. Chant de Minos (Les Crétois). Martin Fabiani, Paris, 1944
Joan Miró Tristan Tzara. Parler Seul. Maeght éditeur, Paris, 1950
Henry Moore. Twilight Landscape from Prometheus Portfolio, Henri Jonquieres, Paris, 1950
William Morris. The Tale of Beowulf. Kelmscott Press, Hammersmith, 1895
Pablo Picasso Pierre Reverdy. Le Chant des Morts. Tériade, Paris, 1948 Pablo Picasso 1941
George Hugnet. Pablo Picasso. Herausgegeben von George Hugnet, Paris, Pablo Picasso 1961
Jaime Sabartés. A los toros avec Picasso. André Sauret Éditeur, Monte Carlo, Man Ray Paul Éluard. Facile. Éditions G.L.M., Paris, 1935
Odilon Redon Charles Baudelaire. Les Fleurs du Mal. Interprétations d Odilon Redon. Edmond Deman, Brüssel, 1890v Auguste Rodin Octave Mirbeau, Le Jardin des Supplices. Vingt compositions originales de Auguste Rodin. Paris, Ambroise Vollard, 1902
Aleksander Rodtschenko Section de l U.R.S.S. à l Exposition Internationale des Arts Décoratifs Paris 1925. Moskau, 1925
Natalja Sergejewna Gontscharowa Gedichte]. Paris, 1920
Nikolai Rubakin. Gorod: Stikhi [russ.: Die Stadt: Gino Severini. Fleurs et masques. Frederick Etchells & Hugh Macdonald, London, 1930
Henri de Toulouse-Lautrec 1898 Georges Clemenceau. Au Pied du Sinaï. Henri Floury, Paris,
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