"Blumenmädchen", 1903 Josef Engelhart Gemälde © Wien Museum "Blumenmädchen", 1903 Josef Engelhart Gemälde © Wien Museum - Mit freundlicher Genehmigung von: wienmuseum

Was: Ausstellung

Wann: 25.04.2012 - 26.10.2013

Als „Wiener Typen“ bezeichnete man Straßenhändler, ambulante Kleinhandwerker und andere als stadttypisch geltende Figuren, die zumeist der Unterschicht angehörten. In populären Bildserien wurden sie „typisiert“ und oft klischeehaft dargestellt. Ob Scherenschleifer oder Wäschermädel, Schusterbub oder Werkelmann, Lumpensammler oder Lavendelfrau – die urbane Folklore machte…
Als „Wiener Typen“ bezeichnete man Straßenhändler, ambulante Kleinhandwerker und andere als stadttypisch geltende Figuren, die zumeist der Unterschicht angehörten. In populären Bildserien wurden sie „typisiert“ und oft klischeehaft dargestellt. Ob Scherenschleifer oder Wäschermädel, Schusterbub oder Werkelmann, Lumpensammler oder Lavendelfrau – die urbane Folklore machte aus ihnen im ausgehenden 19. Jahrhundert Relikte einer vertrauten, jedoch verschwindenden Welt, im Schatten der Modernisierung personifizierten die „Wiener Typen“ das „urtümlich“ Wienerische. Zwischen Klischee und Wirklichkeit gab es einen ständigen Transfer: Die „Typen“ waren Kunstprodukte, die der Wirklichkeit entnommen wurden. Drei sind selbst heute noch imagebildend für die Stadt: Fiaker, Kellner und Heurigenmusiker.

Vorläufer „Kaufrufe“Vorläufer des „Typen“-Genres waren die „Kaufrufe“, druckgrafische Serien mit Protagonisten des „einfachen Volks“, die in vielen europäischen Metropolen ab dem 16. Jahrhundert populär waren und in Wien im 18. Jahrhundert aufkamen. Ihr Name bezieht sich auf die eindringlichen Rufe, mit denen Straßenhändler und Hausierer im Lärm der Stadt auf sich aufmerksam machten und ihre Waren anpriesen. Das Wien Museum verfügt über einen großen Bestand sowohl an „Kaufruf“-Serien als auch an den späteren Darstellungen von „Wiener Typen“ und präsentiert diese kulturhistorischen Highlights nun erstmals umfassend in einer Ausstellung.

Egal welches Medium: Fast immer bleiben die realen Lebensumstände der Dargestellten ausgeblendet. In Schlaglichtern konfrontiert die Ausstellung den taxierenden „Blick von oben“ auf die Unterschicht mit deren hartem Arbeitsalltag, der von bitterer Armut und extremer körperlicher Belastung geprägt war. Die Ausstellung bietet nicht nur einen sozialhistorischen Blick auf die Unterprivilegierten, sondern erzählt zugleich eine aufschlussreiche Geschichte von „verschwundenen Berufen“.

Von Zierfiguren bis zu MandlbögenDie Ausstellung beginnt mit den frühesten Wiener „Kaufruf“-Darstellungen, die 1745 als Porzellanfiguren auf den Markt kamen und im Rokoko als festliche Tischdekoration beliebt waren. Ob Kesselflicker oder Obstfrau: Die noble Gesellschaft schätzte den Reiz des Exotischen und sah im unsteten Wanderleben ein Sinnbild einer natürlichen, abenteuerlichen Lebensweise. Als erstes großes Werk der im 18. Jahrhundert gegründeten Wiener Kupferstichakademie folgte der sogenannte Große Kaufruf, eine ab 1775 erscheinende, berühmte Serie nach Zeichnungen von Johann Christian Brand. So lebendig die Figuren hier wirken, so stark sind sie doch entindividualisiert und entsprechen festgelegten Rollenmustern. Mit Brands Kaufruf setzte ein Boom ein. Eine billigere Volksausgabe (der „kleine Kaufruf“ nach Vorlagen von Jakob Adam) wurde aufgelegt, die erstmals viele Frauenberufe aufnahm, über die Wanderarbeiter hinaus auch Stadtbewohner berücksichtigte und durch Wienerische Bildunterschriften den Figuren Lokalkolorit verpasste. Die Konkurrenz unter den Verlagen verstärkte sich um 1800 noch weiter, mit der Lithografie konnten höhere Auflagen günstiger produziert werden. Enorme Verbreitung fanden die Kaufruf-Darstellungen im Biedermeier durch „Mandlbögen“ zum Ausschneiden und Spielen für Kinder und Erwachsene: eine pädagogische Übung, die die gesellschaftlichen Rolle der Unterschicht und die „natürliche“ Standesordnung spielerisch fortschrieb.

Bei den Darstellungen des Prager Künstlers Georg Emanuel Opitz traten die Wiener Typen erstmals nicht einzeln, sondern im städtischen Treiben auf – allerdings wie auf eine Theaterbühne gestellt. Eine kritische Note weisen die spöttischen Blätter von Anton Zampis (1840er Jahre) auf, in denen auf soziale Missstände hingewiesen wird. Auch im Feuilleton und vor allem im Theater griff man nun gern auf „Volksfiguren“ zurück. Die große Zeit der Kaufrufe war zwar schon ausgeklungen, doch lebten sie massenmedial auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiter, sei es als bunte Reklamebilder, die Waren beigegeben wurden, oder als Bildpostkarten.

Wiener Typen im FotostudioAb den 1870er Jahren kam dann die Bezeichnung „Wiener Typen“ auf, ein Beispiel dafür ist Otto Schmidt, der das Figurenrepertoire erstmals in Fotoserien präsentierte, zunächst im Atelier, später dann auch auf der Straße aufgenommen (und fallweise mit Kostümen ausgestattet). Mit dem Modernisierungsschub stieg das Bedürfnis nach dem Festhalten des Verschwindenden, viele Hobbyfotografen suchten sich „Alt-Wiener“ Motive und fotografierten Straßenfiguren in authentischer Umgebung. Künstliche Typen kamen hinzu: Neben dem „Pülcher“, dem Inbegriff des proletarischen Nichtstuers und Kleinkriminellen, erfand der Journalist Eduard Pötzl den „Gigerl“, einen geckenhaften Modenarren, der Feuilletonist Vinzenz Chiavacci wiederum schuf die „Frau Sopherl vom Naschmarkt“ als Urbild der derben „Öbstlerin“, deren „Maul wie ein Schwert“ war. Sie alle dominieren noch lange das Bild Wiens und der WienerInnen im 20. Jahrhundert, auch wenn sie kontinuierlich aus dem Stadtbild verschwanden. Eine echte Renaissance erlebte der Fiaker, der nach dem 2. Weltkrieg zur Paradefigur der Wiener Gemütlichkeit aufstieg und dem „typische“ Wiener Eigenschaften zugeschrieben wurden: Er ist derb, aber herzlich, stolz und lebenslustig, herrisch und unterwürfig zugleich.

Wanderhandel, Kinderarbeit, MüllsammelnAls Ergänzung zu den stereotypen Darstellungen werden in einzelnen Abschnitten die Kehrseiten des Themas aufgegriffen. Mit dem Ruf „Ha-der-lump!“ zogen etwa alte Frauen oder Arbeitsunfähige mit Butten auf dem Rücken umher, um Textilreste zu erbetteln, die sie an die Papierindustrie verkaufen konnten: Eine kräfteraubende und vor allem extrem gesundheitsschädliche Tätigkeit, der tödliche Lungenmilzbrand hieß in Wien „Hadernkrankheit“. Hausierer wanderten oft hunderte Kilometer zu Fuß durch Europa, um ihren spärlichen Unterhalt zu verdienen, unter ihnen Tiroler Teppichhändler oder italienische „Salamucci“ (Salamiverkäufer). Sie fungierten als flexible Ergänzung zum Warenangebot, wurden aber von den angestammten Händlern angefeindet und oft bezichtigt, Ausschussware zu verkaufen. Eine wichtige Funktion hatten im Übrigen auch die ambulanten Flickhandwerker wie Rastelbinder oder Scherenschleifer, die mit ihrem mitgeschleppten Werkzeug auf der Straße oder im Innenhof Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens reparierten.

Kinderarbeit war bis 1918 legal, wenn auch bereits 1774 die Unterrichtspflicht eingeführt wurde und man bestimmte Gesetze für Kinder-Erwerbsarbeit – vor allem in Fabriken – erlassen hatte. Viel der oft verklärten Straßenmusiker, die den „Soundtrack“ zur angeblichen Wiener Gemütlichkeit lieferten, waren fast ausnahmslos Bettelmusiker, darunter häufig Blinde und Invalide, denen man entsprechende Lizenzen zuerkannte. Bis zu 2000 Musikanten schleppten tagtäglich ihre Instrumente durch die Stadt. Knochenjobs gab es auch in der Gastronomie, wo 16-Stunden-Tage ohne Ruhetag keine Seltenheit waren und Zahlkellner ausschließlich vom Trinkgeld und vom Zigarettenverkauf lebten.

Die Ausstellung spannt thematisch einen weiten Bogen – von den idealisierten und romantisierten Darstellungen des 18. Jahrhunderts bis zu heutigen Tourismus-Images, von mediengeschichtlich bemerkenswerten Phänomenen bis zur Sozialgeschichte von jenen, die „ganz unten“ lebten, von vergessenen Berufen bis zur Sehnsucht nach Alt-Wien. Eine wichtige Rolle kommen den Hörbeispielen zu, die erahnen lassen, wie einst die Atmosphäre in der Stadt war: Kaufrufe wurden von den Wanderhändlern ähnlich wie „Jingles“ im Radio eingesetzt, von jedem sofort erkennbar. Auch einige Klassiker der Wien-Nostalgie gibt es zu hören, unter ihnen das Fiakerlied und das Schusterbubenlied, aber auch Helmut Qualtingers „Halbwilden“, gleichsam die amerikanisierte Variante des Wiener Pülchers. Literarische Zitate – u.a. von Felix Salten und Eduard Pötzl – begleiten die BesucherInnen ebenfalls durch die Ausstellung.

Zur Ausstellung erscheint im Juni ein Katalog im Christian Brandstätter Verlag. In der Ausstellung gibt es einen kostenlosen Audioguide mit den Hörbeispielen (Kaufrufe, Lieder, literarische Texte). Hingewiesen sei außerdem auf das umfangreiche Begleitprogramm, zu dem unter anderem folgende zwei Highlights zählen: „I bin da Limonimann“, eine musikalische Hommage an die Wiener Volksmusikanten im Rahmen von „wean hean“ (30. April 2013), und ein Abend unter dem Motto „Miststirla und Bredldörfla“, an dem Willi Resetarits von „schiachen Jobs anno dazumal“ erzählt (7. Mai). Näheres Informationen unter www.wienmuseum.at

Salamiverkäufer, um 1780 Johann Christian Brand Kupferstich © Wien Museum Salamiverkäufer, um 1780 Johann Christian Brand Kupferstich © Wien Museum - Mit freundlicher Genehmigung von: wienmuseum / Wien Museum "Hallo Dienstmann!", 1952 Filmprogramm © Wien Museum "Hallo Dienstmann!", 1952 Filmprogramm © Wien Museum - Mit freundlicher Genehmigung von: wienmuseum / Wien Museum "Flitscherl", um 1910 Fritz Winter Ansichtskarte © Wien Museum "Flitscherl", um 1910 Fritz Winter Ansichtskarte © Wien Museum - Mit freundlicher Genehmigung von: wienmuseum / Wien Museum "Mädel mit Waldholz", nach 1798 Johann Christian Brand Kupferstich © Wien Museum "Mädel mit Waldholz", nach 1798 Johann Christian Brand Kupferstich © Wien Museum - Mit freundlicher Genehmigung von: wienmuseum / Wien Museum Wäschermädel, 1886 aus der Fotoserie „Wiener Typen“ von Otto Schmidt © Wien Museum Wäschermädel, 1886 aus der Fotoserie „Wiener Typen“ von Otto Schmidt © Wien Museum - Mit freundlicher Genehmigung von: wienmuseum / Wien Museum
Tags: Gigerl, Handwerker, Pülcher, Straßenhandel, Wien

Ausstellungsdauer: 25. April bis 6. Oktober 2013
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 10 bis 18 Uhr

SpezialführungenJeweils Sonntag, 16 Uhr26. Mai: Wolfgang Kos (Historiker, Kurator der Ausstellung)9. Juni: Peter Payer (Stadtforscher)23. Juni: Gertraud Schaller-Pressler (Wienerlied-Forscherin)1. Sept.: Susanne Breuss (Kulturwissenschaftlerin, Co-Kuratorin der Ausstellung)8. Sept.: Rudi Palla (Filmemacher, Autor „Verschwundene Berufe“)15. Sept.: Hansjörg Krug (Experte für Druckgrafik und Viennensia)22. Sept.: Felix Taschner (Ethnologe, Co-Kurator der Ausstellung)
Eintrittspreise:Erwachsene EUR 8,-SeniorInnen, Wien-Karte, Ö1-Club, Menschen mit Behinderung, Studierende bis 27 Jahre, Lehrlinge, Präsenz- und Zivildiener, Gruppen ab 10 Personen EUR 6,-
FÜR ALLE UNTER 19:Freier Eintritt!*FÜR ALLE AB 19:Freier Eintritt jeden ersten Sonntag im Monat(Dauer- und Sonderausstellungen)*(*ausgenommen Mozartwohnung im Mozarthaus Vienna)