Zum ersten Mal in Österreich zeigt das Leopold Museum eine museale Auseinandersetzung mit dem zeichnerischen und grafischen Werk von Hermann Nitsch (*1938). Im Zentrum der Ausstellung stehen Hermann Nitschs Architekturentwürfe, aber auch frühe Skizzen zu monumentalen Kompositionen, beeinflusst von Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka, informelle Kritzelzeichnungen, Skizzen von verschiedenen Aktionen, Farbskalen für Projektionen, Partituren zu seiner Musik sowie Druckgrafiken sind zu sehen. "Wenn gesagt werden kann, die gesamte Schöpfung ist mein Leib, kann auch gesagt werden, das sich selbst darstellende Sein ist Theater, das sich ereignende Drama der Weltwerdung, der Shöpfung des Sein. Trotzdem erbaute sich das Leben Arenen, Kultstätten, Tempel, Kirchen, wo Hochämter des theatralischen, dramatischen Geschehens aufgeführt werden. Das sein sollte sich durch das Theater konzentriert, essentiell herausarbeiten, ins Bewusstsein der Menschheit bringen. Triumph des Theater."
(Hermann Nitsch: »Das Sein«)
Die Architektur des Orgien Mysterien Theaters
Der Gedanke, im Sinne seines Gesamtkunstwerks einen Tempel, eine riesige Theateranlage zu bauen, ja sogar unterirdische Städte für theatralische Geschehnisse zu entwerfen, ließ Hermann Nitsch nie los. Der Künstler hierzu: »ich wollte theateranlagen bauen, die dem sinnlichen prunk des aktionstheaters rechnung tragen. vielleicht gab es auch die sehnsucht für mein theater einen gralstempel zu bauen. die sakralisierende dem säkularisierenden entgegen wirkende grundsätzliche tendenz meiner arbeit ist nie müde geworden, einen tempel für alle heiligen handlungen meines theaters zu entwerfen. selbst wenn diese vorgänge in ihrer tiefsten profanen istigkeit ihre grundsätzliche dem ritual und kult entbundene metaphysische wirklichkeit gefunden haben.« (hermann nitsch 2010)
Ungefähr Mitte der 1960er Jahre als Hermann Nitsch sein Partitursystem entwickelte und festigte, begann er, angeregt durch seine Kollegen Walter Pichler, Hans Hollein und Raimund Abraham, aber auch durch einige Entwürfe der Landart, Architekturskizzen zu zeichnen. Da ihm das meiste der Gegenwartsarchitektur ein Gräuel war, war es ihm ein Anliegen seine Architektur unter der Erde anzusiedeln und auszubauen.
»wir graben uns in die eingeweide der erde«. »meine aktionen fordern extremste sinnlichkeit. das von innen nach außen kehren psychischer und leiblicher gegebenheiten ist leitmotiv des o.m. theaters, die beschauung blutfeuchter innerer organe ereignet sich ständig. gekröse und gedärme werden freigelegt, das vegetativ–kreatürlich menschgewordene ereignis unserer gattung demonstriert sich ständig. in diesem sinn fließen immer wieder organische formen in meine architekturzeichnungen ein. das ganze, alle entwicklungsstadien des naturereignisses mensch, soll zeichenhaft in diese wuchernde architektur einfließen. deshalb immer wieder strukturen von gedärmen, nieren- und leberformen, menschlichen und pflanzlichen organformen. die manieristische ausweitung meines theaterprojektes macht es vorstellbar, dass meine aktionen sich in einer architektur ereignen, durch die nicht nur einzelne organe, sondern der ganze menschliche körper zu räumen umgebildet werden. das vorerst eher abstrakt organformationen verwendende führt dazu, dass ich nun tatsächlich architektonische gebilde entwerfe, die gegenständlich ganze körper nachbilden oder darauf bezug nehmen. zeichnungen, wie das letzte abendmahl, oder die grablegung christi, sind architekturzeichnungen nach gegenständlichen vorbildern.« (hermann nitsch, 2010)