Liechtenstein widmet Gary Kuehn (geb. 1939 in Plainfield, New Jersey, lebt und arbeitet in New York), der zu den herausragenden Bildhauern des Post-Minimal der späten 1960er-Jahre zählt, die erste umfassende Retrospektive.1966, das Jahr, in dem er erstmals die Werkgruppe der "Melt Pieces" in der legendären Bianchini Galerie in New York ausstellt, notiert er in seinem Skizzenbuch: «Butter in der Sonne. Was könnte fataler sein?» Im Kern beinhaltet dieser Satz ein Grundprinzip Kuehns: die Prozessualität. Kuehn rebellierte mit seinem Frühwerk gegen die Autorität der strengen, rigiden Form der dominierenden Minimal Art. Die idealen Quader scheinen wie Eiswürfel oder Butter ins Schmelzen zu geraten. Physikalische Prozesse, oftmals verbunden mit äusserer Krafteinwirkung, transformieren intakte geometrische Formen, wobei Kuehn mit unterschiedlichen Materialien (Teer, Fiberglas, Latex, Metall, Holz) und einer unglaublichen Breite an Gestaltungs-möglichkeiten experimentiert. Verformungen und Veränderungen werden, bei unangetastet bleibender Grundform, sichtbar und bewirken ein narratives, metaphorisches Moment. Es ist die Spannung der Gegensätze Stärke und Schwäche, Starrheit und Flexibilität, Härte und Weichheit, fester und fliessender Zustand, die das Werk durchdringen und die eines der Grundthemen menschlicher Existenz aufwerfen: die Frage von Begrenzung und Freiheit. Im Jahr 2000 notiert Gary Kuehn, dass sein Werk, «irgendwo zwischen Sex und Geometrie» liegt.
Die Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstand, erlaubt einen Einblick in sein vielfältiges bildhauerisches, malerisches und zeichnerisches Werk aus fünf Jahrzehnten, mit einem Schwerpunkt auf den 1960er-Jahren. Zu sehen sind über 120 Werke, darunter Gemälde und Skulpturen aus den Werkgruppen der "Black Paintings", des "Gesture Projects", der "Berlin Series", der "Branch Pieces", "Melt Pieces", "Pedestal Pieces", "Twist Pieces" und ein weites Spektrum des zeichnerischen OEuvres, von experimentellen Zeichnungen wie den "Drill" oder "Stencil Drawings" bis hin zu Zeichnungen seiner Skulpturen. Ein Leitgedanke der Ausstellung ist die enge Verknüpfung von Malerei und Skulptur in Kuehns Werk. So zeugen etwa seine kontrastreichen Black Paintings sowohl in ihrem Farbauftrag als auch in ihrer Thematisierung des Bildrandes von der Hand des Bildhauers, wohingegen seine Skulpturen von malerischen und prozessualen Ideen durchdrungen sind.
Es erscheint im Snoeck Verlag eine Publikation mit Texten u.a. von Cindy Hinant, Christiane Meyer-Stoll, Julian Rose und George Segal, Interviews und Schriften des Künstlers sowie mit einer reich bebilderten Ausstellungschronologie.
Die Ausstellung ist eine Produktion des Kunstmuseum Liechtenstein, kuratiert von Christiane Meyer-Stoll.