„Lieber sterben, als meine Ideale verleugnen!“ Karl Wilhelm Diefenbach (1851-1913) war ein exzentrischer Außenseiter-Künstler, der ab den 1880er- Jahren zunächst in Deutschland für Aufsehen sorgte: als barfüßiger Vegetarier in Kutte gekleidet, als Lebensreformer, der die Nacktheit propagierte, als selbsternannter Prophet, der den Frieden predigte, und nicht zuletzt als Maler von monumentalen spätsymbolistischen Gemälden, mit denen er für seine Ideen warb.
1892 zog Diefenbach mit seinen Kindern von München nach Wien, wo er seine Gemälde ausstellte – und wie schon in Deutschland als „Kohlrabi-Apostel“ verspottet wurde. Ein Konflikt mit dem Wiener Kunstverein trieb ihn an den Rand der Existenz, dennoch blieb er und gründete in Ober-St.-Veit die umstrittene Kommune „Himmelhof“, in der er autoritär herrschte. Sein rastloses Leben führte Diefenbach schließlich auf die von Künstlern und Bohemiens bevölkerte Insel Capri, wo er 1913 starb und bald in Vergessenheit geriet.
Raritäten aus Privatsammlungen
Nach dem großen Erfolg in der Villa Stuck in München macht die von der Diefenbach-Expertin Claudia Wagner kuratierte Ausstellung nun in der Hermesvilla Station (in München lief sie unter dem Titel Karl Wilhelm Diefenbach (1851–1913). „Lieber sterben, als meine Ideale verleugnen!“). Zu sehen sind rund 30 großteils nie öffentlich gezeigte Gemälde des Künstlers, hauptsächlich aus internationalen Privatsammlungen, weiters die wichtigsten Teile aus seinem künstlerischem Hauptwerk, dem 68 Meter langen Fries „Per aspera ad astra“, der in Wien entstand. Auch Diefenbachs Jünger sind vertreten, unter ihnen der bekannte Künstler František Kupka, der „Revoluzzer“ Gusto Gräser sowie Hugo Höppener, genannt Fidus, der später in die ideologische Nähe des Nationalsozialismus rückte. Zahlreiche Fotos und private Dokumente geben Einblicke in den Alltag und das Umfeld Diefenbachs, der um 1900 einer der zentralen Protagonisten der Lebensreform-Bewegung in Europa war.
„Bemerkenswert an dieser Ausstellung ist die Verknüpfung von Mikro- und Makroperspektive“, so Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums. „Einerseits handelt es sich um die monografische Nahaufnahme einer widersprüchlichen Lebens- und Werkgeschichte, andererseits öffnet sich ein weites Panorama all jener Heilslehren, die um 1900 en vogue waren und der Mehrheitsgesellschaft reichlich Stoff für Tratsch und Empörung boten. Das führte zur Entscheidung, der Wiener Ausstellung den Untertitel `Die Welt des Karl Wilhelm Diefenbach´ zu geben.“ Und zur Hermesvilla ergänzt Kos: „Der Ort der Wiener Ausstellung, die Hermesvilla am Rand des Wienerwalds, liegt nur 20 Waldwegminuten vom Himmelhof entfernt, wo Diefenbachs Aussteigersippe ´residierte`. Errichtet wurde sie als Rückzugsort für die in symbolschwere Träumereien abgedriftete Kaiserin Elisabeth – ein stimmiger genius loci für eine Diefenbach-Schau.“
Lebensstationen eines Unangepassten
Diefenbach stammte aus der hessischen Kleinstadt Hadamar und wuchs in bescheidenen, katholisch- provinziellen Verhältnissen auf. Ab 1872 studierte er an der Münchner Akademie der Bildenden Künste Malerei, eine schwere Typhuserkrankung bewog den jungen Mann zur Abkehr von Tabak- und Alkoholkonsum und vom „Verzehr von Tierfetzen“. Schon früh pflegte Diefenbach freie Liebesbeziehungen, 1881 trat er aus der Kirche (dem „Satansinstitut“) aus, ein Jahr später heiratete er Magdalena Atzinger, mit der er bereits einen Sohn hatte, zwei weitere Kinder sollten noch folgen. Bereits in der Hochzeitsnacht flüchtete Diefenbach alleine auf den Hohenpeißenberg in Oberbayern, wo er beim Anblick des Sonnenaufgangs ein spirituelles Erweckungserlebnis hatte, festgehalten in der literarischen Bekenntnisschrift „Sonnen-Aufgang“: „Erkenne dich, Mensch. [...] In DIR ist Gott! [...] Erkenne, Menschheit, deine Mutter, die NATUR“.
Fortan ließ Diefenbach sein Haar wachsen, wandelte in Sandalen und Kutte durch Schwabing, das Viertel der Münchner Künstlerboheme, und hielt heftig umstrittene Vorträge über naturgemäßen Lebenswandel. Im bayerischen Steinbruch Höllriegelskreuth gründete er 1885 seine erste Kommune, zu seinem engsten Weggefährten wurde der Jugendstilmaler Hugo Höppener, genannt Fidus, der auch die erste Diefenbach-Ausstellung in München organisierte. Diefenbachs autoritäres Wesen führte schnell zu ernsten Differenzen mit Höppener, zugleich kam es zu Auseinandersetzungen mit Behörden wegen „Verwahrlosung seiner Kinder“ sowie aufgrund der nackten Sonnenbäder der Kommunen-Mitglieder zum ersten Nudistenprozess in der deutschen Geschichte. Auch die finanzielle Lage wurde immer brisanter.
Ein Fiasko in Wien
Aus diesem Grund nahm Diefenbach eine Einladung des finanziell maroden Österreichischen Kunstvereins nach Wien an, dem er „schnellstmöglich zu Sensationsgemälden“ verhelfen sollte. Der exzentrische Künstler lieferte elf große Wandgemälde, die zwar nicht den erwarteten erotisch- voyeuristischen Einschlag hatten, aber innerhalb von fünf Monaten immerhin 78.000 BesucherInnen anlockten. Dennoch endete der Fall für ihn mit einem Fiasko: Die Leitung des Kunstvereins veruntreute Gelder aus einem Darlehen, das mit den Bildern des Künstlers abgesichert war. Am Ende wurden die zehn größten Gemälde versteigert, Diefenbach ging dabei leer aus und musste sich mittel- und obdachlos melden.
Nach einer Alpenwanderung und kurzer „Flucht“ nach Ägypten gründete Diefenbach nach seiner Rückkehr 1897 in Ober-St. Veit die Landkommune „Himmelhof“. Hier versammelten sich bis zu 24 Gleichgesinnte, die Kommune wurde ein Vorläufer unzähliger alternativer Lebensgemeinschaften im 20. Jahrhundert. Auch hier regierte Diefenbach autoritär, mit eisernen Regeln und Vorschriften, alle Mitglieder mussten etwa dem „Meister“ Aufzeichnungen über ihren Tagesablauf vorlegen, immer wieder gab es Spannungen und Austritte aus der Gruppe, die exzentrische wie proletarische Persönlichkeiten umfasste. Immerhin entstand in dieser Zeit Diefenbachs 34 Tafeln umfassender, monumentaler Fries „Per aspera ad astra“, der als „gemaltes Manifest“ 1898 erstmals öffentlich ausgestellt wurde. Doch das provokante Leben auf dem Himmelhof brachte in der Presse eine Lawine an Schmähartikeln gegen Diefenbach hervor. In einem Artikel im Wiener Neuigkeits-Weltblatt wurde unter dem Titel „Der Meister des Nichtstuns und Dochlebens“ gegen ihn gewettert, „gegen das `gemeingeführliche`, `unsittliche` Treiben der `Schnorrer`- und `Narren`-Gesellschaft am `Himmelhof`, welche die Mildherzigkeit der Wiener zu `schrullenhaftem` `Nichtstun und Dochleben` missbrauche“. `Gaukelspiel` für ihr `schamloses`
Der finanzielle Konkurs der Kommune 1899 führte zu deren Auflösung, nach einer Zwischenstation in Triest wollte Diefenbach eine Reise in den Orient antreten, die allerdings auf Capri endete, wo er seine letzten Jahre zubrachte, ohne den künstlerischen Durchbruch zu schaffen. Selbst seine Versuche, Prominente wie den Industriellen Alfred Krupp, den Arzt Axel Munthe oder den Schriftsteller Maxim Gorki für seine Bilder zu begeistern, blieben erfolglos.
Diefenbach und die Lebensreformer um 1900
Diefenbach gilt heute als einer der einflussreichen Vorreiter alternativer Bewegungen um 1900, die in Wien Figuren wie Peter Altenberg oder den „Vater des Gänselhäufels“ Florian Berndl hervorbrachte. So war Diefenbach nicht der einzige, der in seinen Kommunen bereits die „freie Liebe“ exerzierte und die Befreiung von körperlichen Zwängen auch mit dem Tragen einer Kutte vorlebte. Jedoch machten ihn bereits seine vergleichsweise harmlosen Sonnenbäder 1888 zum Angeklagten im ersten Nudistenprozess der deutschen Geschichte. Mit seinen Angriffen auf die Kirche und das Leugnen eines christlichen Erlösergottes befand er sich im Hinblick auf den zeitgleich einflussreichen Philosophen Nietzsche mit seinem „Zarathustra“ ebenfalls in bester Gesellschaft.
In Sachen Ernährung vereinte der Verzicht auf Tabak, Alkohol, Kaffee und Fleisch sowie die Nacktbäder in Licht und Luft die unterschiedlichsten Ansätze des Vegetarismus, gemäß der Naturheilkunde versprach dies eine Erlösung von physischer und psychischer Krankheit. Später rückten zunehmend ethische Gründe in den Vordergrund der Ernährungsumstellung: Es ging um die Achtung vor dem Lebewesen. Gleichzeitig zielte der Vegetarismus auf einen generellen Pazifismus, einen Zustand konfliktfreier Koexistenz, nicht nur von Mensch und Tier: Vegetarismus wurde zum Mittel gegen Krieg stilisiert. Als bedeutendste Theoretiker der Zeit gelten Magnus Schwantje mit seinem „Bund für radikale Ethik“ sowie Eduard Baltzer („Deutscher Verein für natürliche Lebensweise“), beide standen mit Diefenbach ebenso in regem Austausch wie die Friedenskämpferin Bertha von Suttner.
Eintritt: Erwachsene: 5 €. Ermäßigt 3,50 € (SeniorInnen, Wien-Karte, Ö1- Club, Menschen mit Behinderung, Gruppen ab 10 Personen) bzw. 2,50 € (Lehrlinge, Studierende bis 27 Jahre, Präsenz- und Zivildiener); Schüler und Jugendliche unter 19 Jahre - Eintritt frei! Jeden ersten Sonntag im Monat für alle BesucherInnen - Eintritt frei!
BesucherInneninformation: Tel (+43 1) 505 87 47-0, www.wienmuseum.at; e-mail: service@wienmuseum.at
Kuratorin: Claudia Wagner
Kuratorinnen Wien Museum: Michaela Lindinger, Monika Sommer
Begleitbuch zur Ausstellung: Karl Wilhelm Diefenbach (1851–1913). Lieber sterben, als meine Ideale verleugnen! Hg. von Michael Buhrs und Claudia Wagner. Edition Minerva, 240 Seiten / 25 Euro.
Hauptsponsor Wien Museum: Wiener Stadtwerke