Die höfische Gesellschaft im Europa des 18. Jahrhunderts war bekannt für ihre prunkvollen Feste und Bankette, bei denen der glanzvolle Rahmen und ein aufwändiges Protokoll die vornehme Stellung des Gastgebers und auch der geladenen Gäste unterstreichen sollten. Eine wesentliche Rolle bei diesen Einladungen spielten extravagante Speiseservice in Gold und Silber, von denen die meisten Beispiele in der Habsburger Monarchie kurz nach der Herstellung wieder eingeschmolzen wurden, um die zahlreichen Kriege, vor allem gegen den Erzfeind aus Frankreich, Napoleon Buonaparte, zu finanzieren.Ignaz Joseph Würth (1742–1792) Ansicht einer mit Teilen aus dem Prunkservice des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen gedeckten Schautafel, 1779–1782 Privatsammlung, Paris © LIECHTENSTEIN MUSEUM. Die Fürstlichen Sammlungen, Wien
In der Ausstellung im LIECHTENSTEIN MUSEUM wird ein grossartiges Prunkservice aus Silber im Mittelpunkt stehen - eines der wenigen erhaltenen Ensembles dieser Art -, das zwischen 1779 und 1782 in Wien angefertigt wurde.
Ein Grossteil der noch erhaltenen Teile dieses Services befindet sich in einer französischen Privatsammlung. Zum letzten Mal war das prächtige Service aus dem Besitz von Sachsen-Teschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Öffentlichkeit zu sehen.
Das Service wurde vom Wiener Hofgoldschmied Ignaz Joseph Würth (1742-1792) angefertigt und bestand aus mehr als 350 Teilen, unter ihnen Weinkühler, Terrinen, Speiseglocken, Saucenschüsseln, Kandelaber, Leuchter und Tafelsilber sowie 24 Dutzend Silberteller und Besteck aus Silber und Gold mit Porzellanelementen. Es war der Inbegriff der prunkvollen königlichen Speisekultur während des Ancien Régime und wurde ursprünglich für Herzog Albert Kasimir von Sachsen-Teschen (1738-1822) und seine Gemahlin, Erzherzogin Marie Christine von Österreich (1742-1798), eine Tochter von Kaiserin Maria Theresia, angefertigt.
In seiner herausragenden Qualität stellt es noch heute den Inbegriff des Wiener Klassizismus dar und wird ab Dezember 2010 im LIECHTENSTEIN MUSEUM gemeinsam mit anderen Silbergegenständen der Zeit - vor allem aus Frankreich - präsentiert.
Ignaz Joseph Würth ist - wie seit relativ kurzer Zeit bekannt ist - auch für eine ganze Folge montierter Porzellane meist ostasiatischen Ursprungs in den Fürstlichen Sammlungen verantwortlich, die wahrscheinlich von Fürst Franz Josef I. von Liechtenstein (1726/1772-1781) in Auftrag gegeben wurden. Erst kürzlich konnten im Zuge einer Restaurierung vier monumentale, über 3 m hohe „Porzellanpagoden" wieder hergestellt werden, die nach ihrer neuerlichen Zusammenfügung beziehungsweise der Reinigung der Porzellane und der feuervergoldeten Bronzemontierungen zu den beeindruckendsten künstlerischen Zeugnissen des Glanzes des Hauses Liechtenstein am Ende des 18. Jahrhunderts zählen. Auch von der grossen Zahl montierter einzelner Porzellane mit Wiener Fassungen der Zeit werden die wichtigsten Stücke - wissenschaftlich profund bearbeitet - erstmals in der Ausstellung in Wien zu sehen sein.
Zwei Vasen aus Versailles, ebenfalls von Würth montiert, und die vielleicht grossartigste existente Terrine der Epoche aus Pariser Privatbesitz, die in ihrem Reichtum und ihrer Qualität die bekannten Pariser Produkte der Zeit bei weitem übertrifft und noch nie öffentlich gezeigt worden ist, werden ein eindrucksvolles Bild von der Prachtentfaltung kurz vor der zerstörerischen französischen Revolution geben können.
Die Auftraggeber selbst - Albert von Sachsen-Teschen mit seiner Gemahlin Erzherzogin Marie Christine von Österreich beziehungsweise Fürst Franz Josef I. mit seiner Gemahlin Marie Gräfin von Sternberg - werden in grossformatigen Porträts über die Ausstellung „wachen".
Für den exquisiten Geschmack von Fürst Franz Josef I. spricht vielleicht auch sein 1778 beim schwedischen Hofmaler, Alexander Roslin - einem der gefeiertsten Gesellschaftsporträtisten der Zeit - beauftragtes Porträt, das noch heute in den Fürstlichen Sammlungen verwahrt wird.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht aber zweifellos die grosse Tafel, auf der der Kern des Services in einem Setting für 24 Personen einen authentischen Eindruck der Tafelkultur der Zeit vermitteln kann. Aufgrund ihrer gewaltigen Dimensionen wird diese Tafel nicht wie üblich in den Sonderausstellungsräumen der Damenappartements präsentiert werden, sondern den Raum der Sala Terrena zum Garten hin einnehmen.Die Ausstellung baut auf einer kürzlich im Metropolitan Museum of Art in New York gezeigten Schau auf, die grosszügig von der Anna-Maria and Stephen Kellen Foundation unterstützt worden ist. Wolfram Koeppe, der Kurator für europäische Skulptur und Kunsthandwerk im Metropolitan Museum of Art, ist der Verfasser des umfangreichen und reich illustrierten Katalogs „Vienna Circa 1780: An Imperial Silver Service Rediscovered", der als Grundlage für eine deutsche Fassung dient.