„Die Verbindung von Gefäßkeramik aus der Stein-, Bronze- und Eisenzeit mit den Porzellangefäßen macht die geradezu urtypische Formenkraft im künstlerischen Schaffen von Uli Aigner deutlich – Mensch und Ton, nicht nur in der Schöpfungsgeschichte eine unauslöschliche Verbindung.“ Matthias Wemhoff, Direktor
Mehr als vereinzelte Gefäße in vielen SchichtenDurch ihren Körpereinsatz entstehen weiße Gefäße – Gefäße aus Porzellan, aus weißem Gold, wie das Material auch genannt wird –, die zunächst einmal nicht mehr als formschöne, präzise gefertigte Gebrauchsobjekte zu sein scheinen. Doch die Gefäße sind Teil eines umfassenden Konzeptes, basierend auf Austausch und Vernetzung. Jedes Gefäß entsteht im persönlichen Gespräch mit den Auftraggeber:innen und bezieht sich funktional und formal auf deren individuelle Wünsche, Vorlieben, Träume und Sehnsüchte. „ONE MILLION Porzellan ist die physische Spitze eines digitalen Eisbergs. Das Vorhaben, bis an mein Lebensende 1.000.000 Porzellan-Essgefäße mit meinen eigenen Händen zu drehen, begann im Jahr 2014. In jedes Objekt graviere ich eine Nummer in der analogen Reihenfolge seiner Herstellung. Sämtliche ONE MILLION Gefäße entstehen in eigenständigen aufeinander folgenden Projekten. Zu jedem Gefäß legen wir einen interaktiven Datensatz im Netz an. Form und Standort eines jeden einzelnen Gefäßes sind auf einer digitalen Weltkarte verzeichnet. Auf einer horizontalen Timeline sind alle Gefäße, die seit 2014 bis heute entstanden sind, chronologisch abgebildet.“ Uli Aigner, www.eine-million.com
Stärkung der Empathie – Fühlen, Denken, HandelnMit der Ausstellung DER PORZELLAN CODE zeigt das Museum für Vor- und Frühgeschichte erstmals umfassend Uli Aigners Wirken und die vielfältigen Deutungen davon. Mit Hilfe und unter Einsatz von verschiedenen Medien – Film, Installation, Intervention und Skulptur – gelingt es der Künstlerin, die nach ihrer Töpferlehre Produktdesign bei Matteo Thun an der Universität für angewandte Kunst in Wien und Digitale Bildgestaltung bei Thomas Hägele an der Filmakademie Baden-Württemberg studierte Erfahrungsräume zu schaffen, die den persönlichen Zugang zum lebenslangen Kunstprojekt ONE MILLION erschließen. Die verschiedenen Medien aktivieren auf unterschiedliche Weise die einzelnen Sinnesorgane. Die Besucher:innen durchschreiten die großen Ausstellungssäle und stoßen zwischen den hochkarätigen Objekten aus prähistorischer Zeit auf die Werke der Künstlerin.
Für die Interventionen ONE MILLION – TIME TRAVELLER in den Vitrinen der Sammlungen des Museums für Vor- und Frühgeschichte hat der Kurator der Ausstellung, Dr. Benjamin Wehry aus dem ONE MILLION Archiv Gefäße ausgewählt und in den Vitrinen jeweils neben dem Gefäß ähnlicher Formgebung aus der Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit positioniert. „Die Kunstinstallation „Der Porzellan Code –ONE MILLION BY ULI AIGNER“ ist in einzigartiger Weise geeignet, die Brücke zwischen moderner angewandter Kunst und prähistorischen Gefäßfunden zu schlagen. Durch ihre Bemühungen, das Kultur- und Zeitübergreifende von Form und Funktion fassbar zu machen, hat Uli Aigner einen ganz neuen Blick auf prähistorische Gefäßkeramik, an dem sie uns mit ihrer Kunstinstallation teilhaben lässt. Gefäße von Uli Aigner finden Gegenstücke in den Sammlungen des Museums für Vor- und Frühgeschichte und führen eindrucksvoll vor Augen, dass Form und Funktion über Jahrtausende tradiert werden.“ Benjamin Wehry, Kurator
Uli Aigners ästhetisches Konzept basiert auf der unmittelbaren und direkten Interaktion mit Menschen. Sie sind für Uli Aigner elementarer Bestandteil, Motor und Impulsgeber für die Idee und der Umsetzung des allumfassenden Kunstkonzepts. Unter dem Titel ONE MILLION – QUICK RESPONSE – eine der fünf Ausstellungsstationen zwischen Steinzeitsaal und Bronzezeitsaal – lädt die Künstlerin weltweit zehn ausgewählte Personen ein, sich ein Gefäß aus Porzellan nach ihren Vorstellungen zu wünschen. In zehn Kommunikationsprozessen via Skype, via E-Mail, via Fotografie und im Idealfall im Rahmen eines persönlichen Gesprächs, erarbeiten Künstlerin und Auftraggeber:in gemeinsam Inhalt und Form des Gefäßes, das Uli Aigner danach auf ihrer Drehscheibe individuell anfertigt. Der gesamte Prozess – vom Erstkontakt bis zur Fertigstellung der zehn Gefäße – wird filmisch dokumentiert. Die Grundlage für die von dem Filmemacher Michal Kosakowski produzierten drei- bis sechsminütigen Kurzfilme sind alle Materialien, die durch Kommunikation mit dem Gegenüber entstanden sind. Diese zeitgenössischen Objektinformationen sind digital zugänglich und durch individuelle QR-Codes unmittelbar abrufbar. Eingebrannt wurden sie mittels individueller Kobalt-Siebdrucke in die Glasur des Porzellans des jeweiligen Gefäßes. Mit der Präsentation – auf einem langen, schmalen Tisch im Übergang vom Steinzeit- in den Bronzezeitsaal – der zehn Porzellangefäße in unterschiedlichen Formen und Größen und der Möglichkeit diese zu berühren, aktiviert Uli Aigner zusätzlich die haptische Sinnesebene.
Einblicken, Überblicken, Durchblicken – Vom Einzelnen zum Ganzen und das Ganze im Einzelnen
Uli Aigners Ausstellungskonzept folgt der inneren Logik von ONE MILLION Porzellan. „Ich bemühe mich in meiner Arbeit um eine genaue Wahrnehmung der sich durch Digitalisierung und Globalisierung ändernden Gegenwart, und teste mittels meiner Objekte und Konstruktionen die Auswirkungen auf die für uns relevante, physische Welt aus.“ Uli Aigner
Mit dem Experimentalfilm ONE MILLION – RESHAPE II – 2014–2022 in der monumentalen Treppenhalle des Neuen Museums werden die bis zum Zeitpunkt des Ausstellungsbeginns produzierten Gefäße (Items) präsentiert. Jede einzelne Abbildung der ca. 7.000 Porzellangefäße hat eine Filmlänge von drei Frames. Durch den schnellen Zusammenschnitt ergibt sich ein „lebendiges“ Porzellangefäß – eine Art digitales Daumenkino.
In der Installation ONE MILLION – ARCHIVSKULPTUR 2022 oberhalb der Monumentaltreppe im Neuen Museum, die Uli Aigner mit ca. 700 ausgewählten Porzellangefäßen aus dem ONE MILLION Archiv 2014 – 2022 eigens für die Ausstellung konzipiert hat, türmen sich die Porzellangefäße wie Korallenablagerungen auf, unter und um den schwarzen quadratischen Museumstisch. Die ARCHIVSKULPTUR 2022 besteht aus gebrannten und ungebrannten, zerbrochenen und heilen Gefäßen, die es nicht in die Welt hinausgeschafft haben, oder aus unterschiedlichsten Gründen wieder im Archiv gelandet sind. Darüber hinaus befindet sich das ONE MILLION Item Nr. 1 – das tatsächlich erste Porzellangefäß, welches Uli Aigner auf der Scheibe gedreht hat –, in einer Vitrine im sog. Roten Saal des Neuen Museums.
Ausgehend von einer großformatigen Buntstiftzeichnung aus der Serie OFFENE FORM 19, (Buntstift auf Papier, 180 x 270cm, Uli Aigner 2014, Privatbesitz) hat Uli Aigner monumentale Porzellangefäße in der über 2.000 Jahre alten „Welthauptstadt des Porzellans”, Jingdezhen in China, nach ihren Angaben aus Porzellan töpfern lassen. Das größte Porzellangefäß der Welt, Item 3501, ist 2,40 m hoch und 1,15 m im Durchmesser und wiegt ca. 800 kg. Das skulptural verformte Gefäß Item 3502 ist 1,50 m hoch und wiegt ca. 400 kg. Monumentale Gefäße dieser Größenordnung existieren aus Steinzeug oder Ton, aber bisher nicht aus Porzellan. Die deutsche Sinologin und Keramikerin Anette Mertens (China-at-work.de) fand nach langer Suche eine Werkstatt in Jingdezhen, die die Herausforderung annahm, Uli Aigners Entwürfe in dieser Größenordnung umzusetzen. Insgesamt entstanden aus sechs Tonnen Porzellanmasse vier Monumentalgefäße, von denen nur zwei unversehrt aus dem Glattbrand gekommen sind und ein drittes erstarrte im Brand in bizarrer Form. Die ONE MILLION Skulpturen – ITEM 3501 & ITEM 3502 befinden sich zwischen Bronzezeit- und Eisenzeitsaal.
Die künstlerische Entwicklung von Uli Aigner hin zu ihrem lebenslangen Kunstprojekt ONE MILLION Porzellan und die Auseinandersetzung mit Porzellan als Material und Speichermedium, ist logisch, vorgezeichnet und folgt Uli Aigners innerer Notwendigkeit. Ihr erstes Porzellanstück Item 1 – eine Schale mit einem Durchmesser von 12 Zentimeter und Höhe von sechs Zentimeter – entsteht auf einer Töpferscheibe im Dezember 2014 in der Töpferei Domäne Dahlem in Berlin, ab Mai 2015 gründet die Künstlerin ihre eigene Weißdreherinnen Werkstatt in ihrem Atelier in der Brandenburgischen Straße in Berlin, in dem sie arbeitet und lebt. „Ich habe begonnen, selbst Porzellangefäße frei zu drehen. Die Gefäße sind chronologisch von 1 bis 1.000.000 nummeriert. In jedes einzelne Stück, von meinen Händen auf der Drehscheibe geformt, werden die fortlaufenden Nummern in das noch weiche Porzellan eingraviert. Dieses Vorhaben, selbst eine Million Gefäße zu produzieren, erzeugt den größtmöglichen denkbaren Raum, um in Ruhe zu arbeiten. Mein Lebensende, als behaupteter Endpunkt des Projektes, erzeugt die Vorstellung und birgt die Hoffnung auf viel Zeit für Alle, die sich damit in Beziehung setzen.“ Uli Eigner
Die von ihr verwendete Porzellanmasse kommt aus der Stadt Limoges in Frankreich, seit 1771 für die Herstellung von Porzellan bekannt ist. Die transparente Glasur zeigt die feine Elfenbeinfarbe des bei 1.300 Grad Celsius dicht gebrannten Porzellanscherbens. Die Schalen, Becher, Schüsseln und Teller sind schlicht, einfach und klar in der Form. Dabei geht es ihr nicht um die Produktion von Tableware Design im klassischen Sinn. Im Gegenteil – die gelernte Keramikerin, die in den 1990er-Jahren mit konzeptuellen Kunstprojekten begonnen hat, macht Porzellan als Speichermedium selbst zum Thema der künstlerischen Auseinandersetzung. Ihr Kunstprojekt versteht sie als lebenslange Performance mit dem Ziel den Sinn für die eigene Existenz zu schärfen. „Es geht um den Wert der eigenen Arbeit, die digitale Beziehung des Einzelnen zum Rest der Welt und letztlich um die Un/Endlichkeit allen Seins.“ Uli Aigner
Uli Aigner drückt in ihrer Arbeit die Verbindung zwischen analoger und digitaler Welt aus. Die Idee der Porzellanherstellung war von Anfang an mit der Internet-Dokumentation und Katalogisierung der geschaffenen Gegenstände verknüpft. „Mein Konzeptkunstansatz ist es, das digitale und das analog-physische In-der-Welt-Sein als Gegenüberstellung anzulegen. Es geht um Darstellung und Vermittlung, wie ich die Globalisierung unserer Gesellschaft wahrnehme. Es geht darum, die digitale Revolution und den verbundenen Wandel zu verstehen, indem ich mich involviere. Das Porzellan ist mein politisches Speichermedium. ONE MILLION Porzellan ist auch gleichzeitig eine Art Notwehr und ein Vorschlag gegen die schnelllebige Marktlogik des Kunstbetriebs“. Uli Aigner
Uli Aigner dreht Porzellan und schreibt damit die uralte hochkomplizierte Handwerkstradition in Ruhe und Gelassenheit hochkonzentriert weiter. Sie überwindet genormte Zeitlichkeit, stellt Kunstproduktion der Produktion von Gebrauchsgütern reflexiv gegenüber und verweist auf die Notwendigkeit künstlerischer Wertschöpfung der Gesellschaft anzuerkennen.
Uli Aigner (*1965 in Österreich) studierte nach ihrer Töpferlehre Produktdesign bei Matteo Thun an der Universität für angewandte Kunst in Wien und Digitale Bildgestaltung bei Thomas Hägele an der Filmakademie Baden-Württemberg. Seit den 1990er-Jahren präsentiert sie ihre Arbeiten in renommierten internationalen Museen, Institutionen und Galerien. 2001– 2003 Gastprofessur an der Akademie der bildenden Künste München; 2006 – 2010 Leiterin der Städtischen Kunsthalle München – Lothringer13. Uli Aigner hat vier Kinder und lebt seit 2011 mit Filmemacher Michal Kosakowski in Berlin und widmet sich ihrer eigenen künstlerischen Produktion. www.uliaigner.net
Vorträge im Rahmen von DER PORZELLAN CODE – ONE MILLION BY ULI AIGNER in der James-Simon-Galerie, Auditorium, Bodestraße 1-3, 10178 Berlin
So, 06.11.2022, 15 Uhr Die Welt ist das Milieu. Keramik als Weltmedium im Werk Uli Aigner I Dr. Rainald Franz, Kunsthistoriker, Kustos Sammlung Glas und Keramik MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien mit Katalogpräsentation DER PORZELLAN CODE – ONE MILLION by Uli Aigner
Mi, 14.12.2022, 15 Uhr Karakorum. Mittelalterliche Keramiknetzwerke I Dr. Anne Sklebitz, Prähistorikerin und wissenschaftliche Koordinatorin des Archäologischen Hauses am Petriplatz/PETRI BERLIN
So, 12.02.2023, 15 Uhr Das Porzellanhandwerk in den Werkstätten von Jingdezhen – Die Meister der Masse, Größe und Feinheit I Anette Mertens, Sinologin und Keramikerin, SPSG und China at work
So, 19.03.2023, 15 Uhr Alles kommt vom Berg her. Die Arbeit Uli Aigners im kuratorischen Konzept des PURPLE PATH I Alexander Ochs, Kurator, Chemnitz Europäische Kulturhauptstadt 2025
So, 23.04.2023, 15 Uhr Der Porzellan Code I Uli Aigner, Künstlerin, Projekt ONE MILLION BY ULI AIGNER
Wandelkonzerte (Uraufführung) im Rahmen von DER PORZELLAN CODE – ONE MILLION BY ULI AIGNER in Neues Museum Berlin, Steinzeit-, Bronzezeit- und Eisenzeit-Säle in Ebene 3, Bodestraße 1-3, 10178 Berlin
So, 15.01.2023, 13 Uhr und 15 Uhr Items und Räume von und mit KP Werani
Mo geschlossenDi 10:00 - 18:00 UhrMi 10:00 - 18:00 UhrDo 10:00 - 20:00 UhrFr 10:00 - 18:00 UhrSa 10:00 - 18:00 UhrSo 10:00 - 18:00 UhrBitte beachten Sie die Sonderöffnungszeiten in der ersten Woche.
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