Zwei Künstlerinnen, zwei Generationen: die eine – Aline Sofie Rainer (geb. 1991) – bezieht ihre Bildgedanken aus Film und Literatur, zeichnet, malt und formt Räume mit Öffnungen, um den Gedanken weitere Räume…
Zwei Künstlerinnen, zwei Generationen: die eine – Aline Sofie Rainer (geb. 1991) – bezieht ihre Bildgedanken aus Film und Literatur, zeichnet, malt und formt Räume mit Öffnungen, um den Gedanken weitere Räume…
Zwei Künstlerinnen, zwei Generationen: die eine – Aline Sofie Rainer (geb. 1991) – bezieht ihre Bildgedanken aus Film und Literatur, zeichnet, malt und formt Räume mit Öffnungen, um den Gedanken weitere Räume zu öffnen, auch den Gedanken der Menschen, die diese Räume behausen oder in ihnen gedanklich Platz eingenommen haben. Ihre Protagonist*innen, die dorthin oft aus Texten gelangen, die von der Künstlerin simultan zum Zeichenvorgang gelesen werden, interagieren mehr innerlich als äußerlich mit ihren räumlichen wie auch menschlichen Um- und Außenwelten – sie sind für sich, aber auch außer sich, bisweilen ein- und manchmal zweisam, dann und wann auch zu dritt in solchen Konstellationen.
In Japan hat Aline Sofie Rainer die Roketsu-zome-Technik erlernt, eine dort traditionelle Form der Wachsbatik, die es u.a. erlaubt, mittels Indigo und/oder Textilfarbe größere Hintergrund-Flächen in farblich-tonalen Abstufungen ohne die für die indonesische Batik charakteristischen Grafismen zu gestalten. In der Ausstellung zeigt sie je drei mittelformatige Roketsu-zomes der Serien The Ink and the Blood und The Prince of Blue – der Titel der zweiten, in dunklem Indigoblau gehaltenen Serie rekurriert auf eine zentrale Figur aus Maggie Nelsons Buch Bluets (Hanser Verlag Berlin u. München 2018): „Ich habe einen Mann kennengelernt, der der wichtigste Erzeuger von biologisch angebautem Indigo ist, [...] und noch einen anderen mit dem Gesicht eines Ausgestoßenen, aus dessen Augen wortwörtlich Blau strömte, und diesen nannte ich den Prinzen des Blauen, was tatsächlich sein Name war.“ (Kap. 15) An einer anderen Stelle in diesem Buch zitiert Maggie Nelson J. W. v. Goethe: „So sehen wir das Blaue gern an, nicht weil es auf uns dringt, sondern weil es uns nach sich zieht“.
Während die Wahrnehmung des Blauen in den benachbarten Tuschzeichnungen ihrer Series of Blue allein unserer Imagination obliegt, erinnern wir uns vor ihren Zeichnungen aus der Serie Im Reich der Sinne unschwer an Nagisa Ôshimas gleichnamigen Film aus dem Jahr 1976. Während dieser cineastische Aufreger gleich nach seiner Premiere an der Berlinale von der Staatsanwaltschaft als „harte Pornografie“ beschlagnahmt wurde, erzählt er im Grunde vor allem die Geschichte einer Beziehung, in deren Verlauf sich die Personen verändern und nach und nach den Bezug zum Alltag verlieren. Und um Beziehungen unterschiedlichster Art drehen sich Aline Sofies Rainer bildnerische wie auch literarische Arbeiten immer wieder – letztere sind in der Ausstellung durch Auszüge ihres Textes hibernation and the sea as a possible cure vertreten. Und raummittig dreht sich ihre stählerne Spiral Staircase, eine Wendeltreppe ohne Zu- und Abgang, um sich selbst, nicht ohne virtuelle Verbindungen herzustellen zwischen all dem, was rundherum pulsiert.
Die andere – Karin Pliem (geb. 1963) – malt oder zeichnet keine Menschen und auch keine klar definierbaren Räume. Sie bezieht ihre Bildgedanken aus dem Zusammenwirken unterschiedlichster Schöpfungen der „wilden“ wie auch der menschlich manipulierten Natur. In ihren innerlich bewegungsintensiven Bildwelten interagieren reale und imaginierte Organismen, wachsen förmlich aus der Leinwand, finden transitorisch ihre Plätze in dem durch sie selbst entwickelten Bild-Raum. Dann und wann taucht ein Versatzstück aus menschlicher Hand auf, ein architektonisches Fragment, eine ozeanische Skulptur, ein mittelalterliches Flechtwerk-Ornament. Gemeinsam generieren sie ein jeweils in sich ausgewogenes Ganzes, mehr symbiotisch als einzelgängerisch getrieben.
In ihrem großformatigen Triptychon Foresta tropicale in conflitto interagieren über mäandernden Fluss- Verläufen, einem verfallenen Palmenhaus und architektonischen Versatzstücken aus Oscar Niemeyers Brasilia originäre Pflanzen des Amazonas-Regenwalds mit solchen, die auf seinen brandgerodeten Flächen agrarindustriell angebaut werden. „Karin Pliem entwirft ein doppelbödiges, post-barockes botanisches Theatrum mundi und vereint auf der Bühne ihrer Bilder die Gewächse der Tropen und der alpinen Berglandschaft, der heimischen Flora und der Vegetation ferner Gegenden wie in einer vegetabilen Wunderkammer. An diesen globusumspannenden Schauplätzen erprobt sie ‚potenzielle Übereinkünfte von Natur und Zivilisation‘, deren Gelingen als Möglichkeit greifbar wird, wenn auch ultimativ – auch dies stellt sie in Aussicht – nicht gewährleistet ist. Die Natur/Kultur-Dichotomie wird auch intra-botanisch zur Anschauung gebracht, etwa im Moment, da durch monokulturellen Anbau von Nutzpflanzen zur Ertragssteigerung die Artenvielfalt ausgelöscht wird. Oder aber in der Zwiespältigkeit giftiger Gewächse, die sowohl heilende als auch gefährliche Wirkung haben können: auch dies ist eine Frage des Gleichgewichts, der richtigen Potenzierung“, schreibt Belinda Grace Gardner zum konzeptuellen Hintergrund der Künstlerin.
Zu ihrem Bild Kinkaku-ji con fiore del Baobab sagt Karin Pliem: „Der goldene Pavillon von Kyoto, der hier hinter einer Formation verschiedenster Pflanzen und Tiere aus aller Welt hervorschimmert, ist ein Bauwerk der Kitayama-Kultur, einer der florierendsten und innovativsten Kulturepochen der japanischen Geschichte. Neben diesem multikulturellen Aspekt, der meiner – seit 2015 mit Referenz auf Lynn Margulis so benannten – Vision einer ‚symbiotic union‘ von Natur und Zivilisation entspricht, steht ‚Kyoto‘ zugleich für das 1997 verabschiedete Klimaschutz-Abkommen. Seine Ziele waren die weltweite Reduktion von Treibhausgasen und die Erforschung und Entwicklung erneuerbarer Energien. Das zukunftsträchtige Potenzial dieses Protokolls verbindet sich hier mit traditioneller östlicher Naturphilosophie und den Stimmen blühender Organismen zu einer Retrovision weltweiter Verständigung.“
Mitten im Raum steht ein Baum namens arbor mundi II. Sein Stamm, seine Äste, Zweige, Blätter, Blüten, Früchte und Samen folgen dem Prinzip der Assemblage im Sinne einer „Untersuchung global reisender Formen“ (Marcus Twellmann), indem sich Naturalien aus aller Welt zu einem skulpturalen Objekt kombiniert haben, das temporär seine Wurzeln im Kunstraum Nestroyhof geschlagen hat. Oder, mit den Worten von Michael Thompson (1979): „Der Glaube, dass Natur das ist, was da ist, wenn man eine Bestandsaufnahme macht, ist beruhigend, aber falsch. Der Glaube, dass sie jeden Nachmittag neu gemacht wird, ist alarmierend, aber richtig.“
Karin Pliem und Aline Sofie Rainer, die hier erstmals gemeinsam innerhalb eines Ausstellungsraums interagieren, geben auf je unterschiedliche Weise sowohl der äußeren Realität, den inneren Emotionen als auch dem Fiktiven ihre Stimmen, die sie schon während der Genesen ihrer Kunst interagieren ließen.
BiografienKarin Pliem, geb. 1964 in Zell am See, studierte Malerei und Skulptur an der Universität für angewandte Kunst Wien. Seit 1986 zahlreiche Ausstellungen und Videoscreenings, u.a. Kunsthaus Muerz, Freiraum Q21/MQ Wien, Museum moderner Kunst Kärnten; Kunsthalle Wien, Traklhaus Salzburg, Stadtgalerie Salzburg; me Collectors Room Berlin/DE; Maison de Heidelberg, Montpellier/F; Claire Oliver Gallery, NYC/USA; Université 2, Oran/Algerien; Egon Schiele Art Centrum, Český Krumlov/CZ; Museo Revoltella, Triest/IT.
Aline Sofie Rainer, geb. 1991 in Wien, studiert an der Städelschule in Frankfurt a.M. bei Judith Hopf sowie an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Julian Göthe. Zuvor Skulptur und Raum bei Hans Schabus sowie Transdisziplinäre Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien (BA). 2018/19 Tokyo University of the Arts Geidai, 2014 Kunstgeschichte & Germanistik, Universität Wien (BA). Seit 2015 Ausstellungen und Performances, zuletzt MAK Wien, Kunstverein Kärnten, Project Space Festival Berlin, 4649 Tokyo.
Montag bis Samstag 12–18 Uhr Eintritt frei
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