“Es ist nicht so, als hätte es keine Warnungen gegeben, als hätten die Alarmglocken nicht geschrillt; nein, die Sirenen heulen mit voller Lautstärke - und dennoch wird mannhaft entschieden, sich von den Gefahren nicht zurückhalten zu lassen.”— Bruno Latour: Facing GaiaDer Ruf der Sirenen ist schrill, er geht durch Mark und Bein, erschüttert im ursprünglichsten, körperlichen Sinn. Als Töchter der Chthon, der Erdentiefe, und Gefährtinnen der Persephone, der Königin der Unterwelt, wissen sie was ist, was sein wird und was war. Sirenen lügen nicht, sie warnen. Und immer öfter ist es nötig Aussagen über die Erde, Gaia, als Warnungen zu formulieren: Warnungen, die für alle gleichermaßen relevant sind.
Der Ruf der Sirenen ist schlecht, gelten sie doch als gefährliche Verführerinnen, denen nicht zu trauen ist. Seit Jahrtausenden dienen sie als Projektionsflächen für Männerphantasien aller Art. Laut Adorno und Horkheimer repräsentieren sie all das, was das abendländische Individuum unterdrücken musste, “bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war”. Beschreibt das bereits den Zusammenhang zwischen den unbequemen Frauen, die ihre Stimme erheben, der Natur, deren Überleben am Spiel steht, und dem Verlangen die warnenden Stimmen zum Schweigen zu bringen? Besteht ein uralter Zusammenhang zwischen Gynozid und Ecozid?
Hannah Stippl erzählt von der ökologischen Krise als einer Krise des patriarchalen Weltbildes und nutzt dafür Elemente aus antiken Mythen, Philosophie und Popkultur. Konzeptionell und poetisch zugleich zeigt die Ausstellung unterschiedliche Arbeiten der letzten zwei Jahre, die zu weitergehenden Assoziationen auffordern.