(Innsbruck, 16. Juni 2021) Es gibt keine Hexen. Die Erkenntnis, dass es sich bei der Figur der Hexe um eine soziale Konstruktion handelt, mag nicht neu sein. Jedoch bleibt der Begründungszusammenhang dieser Konstruktion erschreckend aktuell. Im Schulterschluss entfesselten und exekutierten Kirche und Nationalstaaten im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts eine Gewalt, die „den Widerstand der Frauen gegen die Ausbreitung kapitalistischer Verhältnisse“ brechen sollte, wie Silvia Federici aufgezeigt hat. Im Übergang zum Kapitalismus musste die Macht der Frauen zerschlagen werden – über die Kontrolle ihrer Körper, Sexualität und ihres Wissens sollte sichergestellt werden, dass sie sich der Reproduktion von Arbeitskraft verschreiben. Diese Reproduktionsarbeit wurde fortan von der Lohnarbeit geschieden und herabgewürdigt.Somit wurde die Gemeinschaft der Beherrschten nicht nur enteignet, sondern auch entzweit. Das Verfolgen und Ausrotten von „Hexen“ war ein Instrument dafür und Verästelungen dieser Gewalt erstreckten sich in die unterschiedlichsten Bereiche. Mit teils eigens für die Ausstellung HEXEN entstandenen Arbeiten untersuchen die Künstler_innen in Installation, Video, Skulptur, Performance, Fotografie, öffentlicher Intervention und Film diese ideologischen und ökonomischen Infrastrukturen, die der historischen Hexenjagd zugrunde lagen, und wie sie in unserer Gegenwart nachhallen
In zwei Installationen von Neda Saeedi werden die beiden Zeremonienmeister der Hexenverfolgung vorgestellt: Die Kirche und das Heilsversprechen des Monotheismus weisen in ihrer für HEXEN entstanden Neuproduktion geradewegs ins Nichts. In ihrer anderen Arbeit erscheint der Kapitalismus als Architekt eines Labyrinths, das Tiere, die Umwelt und den Menschen in eine Sackgasse führt. Auszüge aus der historischen Vernichtungsfibel Der Hexenhammer leiten in die eigens für die Ausstellung entstandene Videoinstallation von Angela Anderson und Ana Hoffner ex-Prvulovic*. Darin werden unheimliche Resonanzen zwischen den Ursprüngen der historischen Hexenverfolgung und unserem Heute herausgearbeitet und zugleich sehen wir Anklänge einer Aneignung und Umkehrung der Figur der Hexe. Pauline Curnier Jardin schreibt in ihrem Video Qu’un sang impur humorvoll und pointiert die an den weiblichen Körper gebundene Reproduktionsgrammatik um. Joachim Koesters Film To navigate, in a genuine way, in the unknown necessitates an attitude of daring, but not one of recklessness (movements generated from the Magical Passes of Carlos Castaneda) zeichnet einen Versuch nach, Erkenntnis durch Formen des Erahnens und Spürens zu erlangen, statt durch Kategorisierungen und Rationalisierungen. Auch in den Performances, Fotografien und Skulpturen von Esther Strauß geht es um das Verlassen von ausgetretenen Pfaden des Wissens und der Gemeinschaft. Sie schlägt unkonventionelle Formen des Erinnerns und der Verbindung mit den Ahn_innen vor. Die künstlerischen Arbeiten in der Ausstellung tragen alle dazu bei, verdrängte Geschichten und Seinsweisen aufzudecken, und laden uns ein zu fragen, ob es Wege gibt, sich die Figur der Hexe anzueignen und sie gegen die Matrix der brutalen Geschichte ihrer Auslöschung in Stellung zu bringen.
Kuratiert von Nina Tabassomi