Einzelausstellung von Siniša Ilić, kuratiert von Ivana Marjanović, Direktorin des Kunstraum InnsbruckIn Zeiten von Orientierungslosigkeit und der Unmöglichkeit stabile geopolitische Grenzen zu ziehen, visualisiert Siniša Ilić mögliche Erinnerungen an 100 Revolutionen. Er zeichnet in seinem Kunstwerk die fragilen Bedingungen unseres Lebens nach und suggeriert eine mögliche Orientierung in einer sich in ständigem Wandel befindlichen Welt. Bilder von arbeitenden Menschen verflechten sich mit Landschaften der Kontrolle und des politischen Aufruhrs. Die aktuelle Gesundheitskrise reiht sich in eine lange Geschichte historischer Veränderungen ein: von der Oktoberrevolution und der blockfreien Bewegung bis hin zu den Beobachtungen des Künstlers bezüglich des Überlebens in einer neoliberalen kapitalistischen Welt, die auf Klassenhierarchien, rassistischen Ausgrenzungen und Ausbeutung beruht.
Die Ausstellung Un_controlled Territories präsentiert eine Auswahl der jüngsten Kunstproduktionen von Ilić. Unter Verwendung verschiedener Medien, Kleinformatzeichnungen, großer temporärer Wandgemälde, Videoarbeiten, Drucke und Collagen schafft Siniša Ilić eine visuelle Sprache für die Erforschung vergangener, aktueller und imaginärer politischer Entwicklungen und Bewegungen mit dem Interesse an einer anderen Zukunft.
Die Intervention von Ilić an alten Abbildungen von Alpenregionen und west-/mitteleuropäischen Städten verwandelt historische touristische Marketingkampagnen in Bilder, die aufzeigen, was die kommerzielle Werbung oft verbirgt: turbulente Geschichten, Landschaften von Aufständen, Geister aus der Vergangenheit. Die regulierte und monetarisierte Natur mit ihrer touristischen Infrastruktur wird zur imaginären Szenographie von Spannungen.
Die Ästhetik von Ilić oszilliert zwischen einer reduzierten, fast abstrakten Darstellung von Menschen (die durch Arbeit und Kontrolle entfremdet werden) und Körpern in Aktion und in Kämpfen und drückt die Kraft kollektiven Handelns aus, das oft durch den "explosiven" Einsatz von Farbe und collagierten Formen unterstützt wird.
Während des Lockdowns im März und April 2020 war Ilić gezwungen, einen Monat in Quarantäne in seiner Wohnung in Belgrad zu verbringen. Interessanterweise führte diese plötzliche Einsamkeit zu einer neuen Wende in seinem Zeichenstil. Die Zeichnungsserie Boarding zeigt Nahaufnahmen von Menschen, die von gesundheitlichen Bedenken und Panik geprägt sind, die sowohl von innen als auch von außen kommen. Während diese anonymen Personen sehr ausdrucksstark gezeichnet werden, bleibt die Darstellung der exekutiven Macht der Kontrollgesellschaft (Polizei, Zollbeamte, Grenzkontrolleure) brutal abstrakt und kalt. In ähnlicher Weise erzeugen die Arbeitsbedingungen im Rahmen von social distancing neue Formen der Entfremdung. Die reduzierte Bildsprache fängt dies sehr gut ein, auch mit einer Portion Ironie und Humor, wenn es um die Vorstellung einer Konsumgesellschaft ohne Konsument*innen geht (Social Distancing und Europa 2, 2020).
Da die Kunstpraxis von Ilić visuelle und darstellende Kunst miteinander verbindet, präsentiert die Ausstellung auch kollaborative und performative Aspekte seiner Arbeit, in diesem Fall die Zusammenarbeit mit dem Theatermacher Bojan Djordjev. Anlässlich des hundertsten Jahrestages der russischen Revolution von 1917 schufen die beiden Künstler das Werk Orientation in 100 Revolutions (2017), das zum einen ein gigantisches Bild ist, zum anderen auch eine "Requisite" für eine Aufführung mit kollektivem Engagement des Publikums.
Die Ausstellung im Kunstraum Innsbruck kann auch als work in progress betrachtet werden: Nicht nur wird das monumentale Kunstwerk Orientation in 100 Revolutions gegen Ende der Schau aus dem Ausstellungsraum entfernt und in den öffentlichen Raum gebracht, auch eine neue Videoarbeit, die die Verlangsamung des Kapitalismus aufgrund der Coronavirus-Krise widerspiegeln, wird im September uraufgeführt und in die Ausstellung integriert.
Die Ausstellung im Kunstraum Innsbruck ist die erste Einzelausstellung von Siniša Ilić im deutschsprachigen Raum.