Infolge des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich wurden alle bis 1938 bestehenden Künstlervereinigungen und Künstlerbünde aufgelöst. Alle Künstler und Künstlerinnen hatten „ihre Eingliederung“ in die Reichskunstkammer als einzige verbindliche Standes- und Berufsvertretung „zu bewirken“. Vom neu erbauten Gauhaus aus, dem heutigen Landhaus am Eduard-Wallnöfer-Platz, wurde die gesamte Kulturlandschaft überwacht und reglementiert. Nur wer einen Ariernachweis erbringen konnte, „politisch zuverlässig“ war und „arteigene“ Kunst produzierte, konnte Mitglied werden und damit Malutensilien kaufen sowie an Malkursen und den Gau-Kunst-Ausstellungen teilnehmen.
Die heute eröffnete Sonderausstellung „Zwischen Ideologie, Anpassung und Verfolgung. Kunst und Nationalsozialismus in Tirol“ widmet sich dieser Zeit und diesen Gegebenheiten. Für PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen, ist diese Sonderschau eine gesellschaftspolitisch wichtige Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. „Ein möglichst unverstellter Blick, um die Frage nach schlichter Anpassung, nach Gegenentwurf oder Negierung von Werk und Künstlerinnen und Künstlern zu beleuchten, war uns wichtig“, so Meighörner.
Der Ausstellungsgast wird bei seinem Museumsbesuch dank der ausgeklügelten Ausstellungsarchitektur von ColumbusNext, die ganze drei Stockwerke des Ferdinandeum durchzieht, durch diese Zeit begleitet. Angelegt ist die Schau thematisch, ein Thema wird pro Raumbereich behandelt: Nach einem historischen Einstieg mit der Darstellung des Einmarsch deutscher Soldaten in Innsbruck 1938, gezeigt als Videoinstallation im Foyer des Ferdinandeum, wird schon eingangs sichtbar, dass die Kunst des Nationalsozialismus stilistisch vielfältig ist. Sie erschließt sich über Thema und Inhalt der Werke. In der Frage nach der ideologischen Absicht bleibt häufig Interpretationsspielraum. Besucher und Besucherinnen werden weiters durch Bereiche geführt, die das System der Macht – Organisationsstruktur und Ausstellungswesen – zur NS-Zeit thematisieren und die öffentliche Kunst der damaligen Zeit zeigen: Bilder vom Krieg, Werke aus den Gau-Kunst-Ausstellungen, „angepasste“ Kunst, instrumentalisierte und „geschätzte“ Kunst. Künstlern, die in Tirol – auch nur vermeintlich – Zuflucht fanden ist ein weiterer Bereich gewidmet. Folgt man dem Parcours weiter präsentieren sich schließlich Werke vertriebener, isolierter und zur der NS-Zeit ignorierter Künstler. In die Ausstellung eingebettet findet sich ein Bühnenbereich mit Leinwand für das reichhaltige Rahmenprogramm, für Vorträge, Gespräche, Diskussionen. Der Ausstellungsparcours endet im zweiten Stock mit den dramatischen Zeichnungen und Radierungen Harald Pickerts von den Grauen des NS-Terrors – eingebettet in aktuelle künstlerische Kommentare, die sich u.a. mit dem Nachhall des Nationalsozialismus auseinandersetzen.
„Die Ausstellungsarchitektur inszeniert die gewählten Themen in intuitiv erfassbarer Weise, das System der Macht ist etwa als Büro, der Bereich mit beschlagnahmter Kunst als Depot organisiert“, veranschaulicht Kurator Dr. Günther Dankl das architektonische Konzept. Die Architektur und die in der Ausstellung gezeigten Werke, Zeitdokumente und Objekte spiegeln eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema, und bilden – auch mit der Begleitpublikation – einen Teil im Mosaik der wissenschaftlichen Aufarbeitung im Bereich der bildenden Kunst. „Bei dieser Ausstellung taucht man in die Welt der Künstler ein und begreift, wie ambivalent das System ‚Gau-Kunst‘ war. Nicht die Schuldzuweisung oder die Frage nach dem Mitläufertum steht dabei im Mittelpunkt, sondern vielmehr das Aufzeigen der Strukturen und Mechanismen, die dazu führten, dass die Möglichkeiten dafür geschaffen wurden, Kunst gezielt als Instrument für Propaganda zu gebrauchen“, setzt Dankl fort.
Das Betriebssystem Kunst 1938–1945Die aktuelle Sonderausstellung im Ferdinandeum beleuchtet die öffentlich gezeigte Kunst ebenso wie deren „Betriebssystem“ zur Zeit des Nationalsozialismus in Tirol, thematisiert wird dabei die Organisationsstruktur der Reichskunstkammer ebenso wie das Ausstellungswesen während der Zeit des Nationalsozialismus in Tirol. Zahlreiche Tiroler Künstler kämpften als Soldaten im Zweiten Weltkrieg, andere waren als Kriegsmaler und Kriegszeichner tätig. Ihre Bilder aus Frankreich, Norwegen, Griechenland oder Russland, die in den Gau-Kunst-Ausstellungen oder in der Schau „Bergvolk-Soldatenvolk“ von 1943 im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum gezeigt wurden, verdeutlichen die propagandistischen Absichten, die die Kunst dieser Zeit direkt oder indirekt zu befolgen hatte.
Insgesamt vier Gau-Kunst-Ausstellungen wurden von 1940 bis 1944 durchgeführt, wobei die letzte Ausstellung mit über 400 ausgestellten Werken dem System Gau-Kunst entsprechend überladen war. Die aktuelle Sonderausstellung zeigt einen Querschnitt dieser Werke und thematisiert die der Ideologie entsprechenden Themen Akt, Stillleben, Blumenbild, Landschaftsmalerei und Genreszenen. Auch monumentale Wandmalerei, von den Nationalsozialisten als Propagandamittel verwendet, wird durch grafische Entwürfe u. a. von Max Weiler, Sepp Ringel oder Karl (Carl) Rieder thematisiert.
KünstlerschicksaleEine tragende Rolle bei den in den Gau-Kunst-Ausstellungen gezeigten Werken kommt den zumeist an Defregger angelehnten Themen des bäuerlichen Lebens zu. Dies zeigt sich auch in den Werken jener Künstler, die in den Jahren um 1938 Tirol als Ferien- und Urlaubsdomizil wählten. So z. B. bei dem Wiener Künstler Erwin Puchinger oder dem Berliner Künstler Franz Eichhorst, der sich in Matrei in Osttirol, aufhielt. Ebenfalls aus Berlin stammte Werner Scholz, der mit zu den „entarteten“ Künstlern gehört. Seit den 1930er Jahren abwechselnd in Berlin und Alpbach in Tirol lebend, übersiedelte er 1939 endgültig nach Alpbach, wo im Verborgenen Gemälde von Landschaft und Mensch als Ausdruck existentieller Bedrohung entstanden sind. Auch die aus Leipzig stammende Künstlerin Hilde Goldschmidt ließ sich wegen der politischen Situation in Deutschland bereits 1936 in Kitzbühel nieder. Infolge ihrer jüdischen Herkunft wurde sie 1939 von den Behörden gezwungen, nach England zu übersiedeln. Erst 1950 kehrte sie wieder nach Kitzbühel zurück. Der aus Sarnthein in Südtirol stammende und seit 1918 in Innsbruck lebende Künstler Johannes Troyer emigrierte aufgrund der jüdischen Abstammung seiner Frau nach Liechtenstein. 1949 wanderte er in die USA aus und kehrte erst 1962 wieder nach Tirol zurück. Der Tiroler Maler Artur Nikodem tritt zu Beginn der 1930er Jahre der in Österreich noch verbotenen NSDAP bei, 1932 wieder aus und nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland erneut bei. Dennoch konnte er dadurch nicht verhindern, dass 1937 acht seiner Werke aus der Städtischen Sammlung Nürnberg als „entartet“ beschlagnahmt wurden. Wie Nikodem fand auch Alfons Walde in den Jahren zwischen 1938 und 1945 keinen Widerhall und keine Möglichkeit zur Präsentation seiner Werke.
Anlässlich der offenen Kritik von Harald Pickert am NS-Regime und seiner bekundeten Weigerung, an Ausstellungen im Haus der Deutschen Kunst teilzunehmen, wurde der Kufsteiner Maler und Radierer 1939 verhaftet. Nach Aufenthalten in diversen Polizeigefängnissen wurde er als politischer Häftling in das Konzentrationslager Sachsenhausen und bald darauf nach Dachau überstellt. Er überlebte eine mehr als zweijährige Internierung in Mauthausen, wurde im Februar 1943 nach Dachau „rückgeführt“ und war bis zu seiner Befreiung am 29. April 1945 verschiedenen Arbeitskommandos in den Nebenlagern Augsburg und Bäumenheim zugeteilt. Im Nachlass Pickerts wurde vor wenigen Jahren die 1945 geschaffene Mappe mit zwanzig Tuschezeichnungen zu Radierungen „Pestbeulen Europas – Naziterror in Konzentrationslagern“ sowie weitere Zeichnungen und Skizzen aus der Zeit seiner Internierung in Dachau in den letzten Kriegsjahren aufgefunden. In ihnen hat der Künstler das Grauen im Konzentrationslager festgehalten. Diese ergreifenden Werke des Tiroler Künstlers werden im Rahmen der Sonderausstellung erstmals öffentlich gezeigt. „Diese Bilder gehen unter die Haut“, so Kurator Günther Dankl. „Ein Besuch der Sonderausstellung kann die Augen öffnen und sollte jeden von uns zum Nachdenken anregen, nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über das hier und heute.“
In der Ausstellung kommen daher auch zeitgenössische Künstler wie Martin Gostner, Johanna Tinzl oder der in Köln lebende und arbeitende Marcel Odenbach zu Wort. Er hat sich mit großformatigen Papierarbeiten und Videoinstallationen immer wieder mit dem Nachhall des Nationalsozialismus auseinander gesetzt. Seine Arbeiten „Im Kreise drehen“ und „Beweis zu nichts“ runden die Sonderausstellung ab.
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