Lore Heuermann: Bewegung ins Bild geschriebenMit ihren an Kalligraphie erinnernden graphischen Arbeiten hat Lore Heuermann in den vergangenen 40 Jahren zu einer sehr markanten und unverwechselbaren Bildsprache gefunden. Sie bezieht sich aus langjähriger anteilnehmender Beobachtung auf Musik und Tanzperformance und entwickelt diese weiter.Aus der zunächst konkreten Figur hat die 1937 in Münster in Westfalen geborene Künstlerin durch zunehmende Reduktion die nun für sie gültige Formensprache geschaffen. Arme, Beine, Körper als einfache Striche, wechseln von einer Figur zur nächsten oft nur kleine Details, sind meist dicht an dicht gedrängt, überlappen sich häufig. Die Gestalten tanzen, sie strecken, krümmen und drehen sich, springen und halten zwischendurch inne. Weiter gezogene Bewegung, Übergänge, dann wieder maximale Zusammenballung mit minimaler Veränderung der Ausrichtung, der Haltung, der Dynamik. Eine Reihe an die andere gestellt, wie Zeilen auf einem großen Schreibblatt, reduziert auf Schwarz und Weiß. Mit einem gewissen Abstand betrachtet, ergibt sich aus dem Gesamtbild, das zum Zyklus Energiefelder gehört, beinahe ein reliefartiger Eindruck. Bei genauer Betrachtung wird der Zeichenfluss lebendig. Lässt man sich darauf ein und folgt den Sequenzen, wird der Rhythmus deutlich spürbar, kann man Musik erahnen.
Der Zeichenfluss mit der in die Bambusfeder gefüllten, meist schwarzen Chinatinte beginnt oben rechts und führt bis an den linken Seitenrand, und führt darunter wieder zurück an den rechten. Für sich selbst hat Lore Heuermann diesen Ablauf ganz pragmatisch gewählt, um die Zeile nicht zu verlieren, erzählt sie. Unbewusst habe sie damit eine uralte chinesische Tradition übernommen. Das Material, auf dem Lore Heuermann ihre tänzerischen Zeichenspuren hinterlässt, ist überwiegend sehr edel und es ist höchst sensibel. Besonders angetan hat es ihr das Himalayapapier, das in Bhutan oder Nepal aus Seidelbast hergestellt und zu diesem Zweck speziell kultiviert. Schon die seidige Textur der Papieroberfläche ist für sie ein Hochgenuss.
Sowohl privat als auch künstlerisch hat sich Lore Heuermann immer Herausforderungen gesucht, die sie ruhig und hartnäckig bewältigt: Großflächige Batiken, Glasradierungen, Acryl auf Holzplatten gespachtelt und nun die mit Bambusfeder und Chinatusche „beschriebenen“ Himalaya- oder Reispapiere – darunter Formate bis zu drei mal drei Meter oder Rollen bis zwölf Meter Länge. Die extrem aufwändig hergestellten großformatigen Glasradierungen des Zyklus „Alte Rituale und neue Programme“ beschäftigten sie beispielsweise zehn Jahre und er war sowohl im Linzer Lentos und im Graphischen Kabinett der Secession, als auch im ältesten Museum Madrids, der Academie de San Fernando, Heimstatt von Goyas Originaldruckplatten, zu sehen. Mit dem Tanzfestival Impuls Tanz in Wien hat sie mehr als zehn Jahre in Workshops zusammengearbeitet und hat mit ihrer einzigartigen Kunstform Arbeitsaufenthalte in China, Japan, Pakistan, der Türkei und vielen anderen Ländern absolviert. Länder, die sowohl die Schriftkunst hoch schätzen als auch – zumeist - den Tanz. Der kommerzielle Erfolg der künstlerischen Arbeit zählt für Lore Heuermann dagegen nicht, sondern macht sie eher skeptisch, denn: "Freiheit ist für mich ein höherer Wert als Sicherheit und Geld."
Als prägend für ihre Art der künstlerischen Arbeit sieht sie sowohl die Kindheit im nüchternen Protestantismus in Westfalen im zweiten Weltkrieg mit Bombenangriffen, dem deutschen Rückzug von „barfüßigen, zerlumpten, verwundeten Menschen“ und schließlich den Amerikanern mit riesigen Panzern. Auch die Sammlerstücke des Großvaters, der als Arzt zuerst bei Robert Koch in Afrika und nach dem Boxeraufstand um die Jahrhundertwende zwei Jahre in China arbeitete. Die umfangreiche Bibliothek daheim bot eine Fluchtmöglichkeit in die Literatur. Kunst studierte sie an der Akademie der bildenden Künste in Wien ab 1957 bei Gerda Matejka-Felden und Albert Paris Gütersloh und zählte Friedensreich Hundertwasser, Arnulf Rainer, Otto Mühl, Adolf Frohner usw. zu ihren Studienkollegen. Als Malerin und Graphikerin arbeitet sie ab Mitte der 60er des 20. Jahrhunderts zunächst noch figural und schließlich zunehmend abstrakt immer um das Thema Bewegung kreisend. Fotografie, Texte und Performance erweitern die künstlerische Ausdrucksformen.
Text zur Künstlerin von Verena Kienast