Als Wirtschaftsjournalist, Unternehmer und Schweizer Botschafter in China, Nordkorea und der Mongolei (1995–1998) hatte Uli Sigg die Möglichkeit, hinter die Kulissen der enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu blicken, die – wie Chinas Vision einer Neuen Seidenstraße zeigt – der Tradition und der Zukunft verschrieben sind. Als Sammler interessiert sich Sigg speziell für Werke, die im engen Austausch mit den KünstlerInnen entstehen. Er förderte zahlreiche internationale Karrieren wie jene von Ai Weiwei. 2012 übergab Sigg große Teile seiner Sammlung als M+ Sigg Collection an das neu gegründete M+ Museum for visual culture, Teil des West Kowloon Cultural District in Hongkong, das vom Architekturbüro Herzog & de Meuron entworfen wurde.
CHINESE WHISPERS. Neue Kunst aus der Sigg Collection konzentriert sich auf Objekte der kontinuierlich von Uli Sigg erweiterten Schweizer Privatsammlung. Mit Techniken wie Kalligrafie, Malerei, Fotografie, Skulptur, Installation und Video eröffnen die gezeigten Arbeiten ein breites Spektrum von traditionell analog bis zu digital produzierten Werken. Der Titel CHINESE WHISPERS bezieht sich auf das Kinderspiel „Stille Post“, in dem Nachrichten von Ohr zu Ohr weitergeflüstert und durch die permanente Wiederholung in Inhalt und Bedeutung verfälscht werden. Diese Idee der Kommunikation, der Wiedergabe und Verzerrung in Bezug auf den Austausch mit China, ist ein Stimmungsbild der Ausstellung, die unter dem gleichnamigen Titel im Jahr 2016 zeitgleich im Kunstmuseum Bern und im Zentrum Paul Klee in Bern gezeigt und für die Präsentation im MAK im Dialog mit Uli Sigg weiterentwickelt wurde.
Die chinesische Gegenwartskunst ist ein Phänomen ohne Parallele. Auch nach der Kulturrevolution bleiben die Einflüsse des Sozialistischen Realismus und die Einschränkungen durch die Zensur spürbar. Dennoch erlebte zeitgenössische Kunst in China nach der zunehmenden politischen Öffnung seit den 1980er Jahren eine einschneidende Richtungsänderung. In kürzester Zeit griff eine neue Generation chinesischer KünstlerInnen moderne Strömungen des Westens auf. Die Inhalte lesen sich oft als Reaktion auf die politische und gesellschaftliche Situation der Zeit.
Die Volksrepublik China gilt heute als Motor der Weltwirtschaft und verfolgt weltpolitische Ziele. In seiner Hybridfähigkeit eignete sich der chinesische Kommunismus den globalen Kapitalismus an und im Zeitfenster einer Generation verschob sich unser Blick auf China sowie den pazifischen Raum. Diese Entwicklung thematisiert unter anderem die von Miao Ying entwickelte Installation Rêve Chinois (2017), die auf ironische Weise die Verbindung zwischen der Vermarktung einer politischen Ideologie und der Bewerbung von Luxusgütern aufzeigt. Die kontroverse Rolle des Individuums in dieser rasant wachsenden Gesellschaft, feministische Aspekte der Revolution und die Auflösung des privaten Raums werden in CHINESE WHISPERS in einer Vielzahl von Arbeiten spürbar.
Kulturelle Produkte sind in China traditionell nicht immer an eine individuelle Autorenschaft gebunden, sondern entstehen oft im Kollektiv. Es besteht ein großes Interesse daran, Muster und Systeme aufzunehmen sowie Vorbilder zu adaptieren. Ost und West haben ambivalente Auffassungen von Original, Kopie, Interpretation und Fälschung. Auch im Umgang mit der Historie spielen Anfang oder Ende keine Rolle, es zählt die Bewegung. Mit der Re-Appropriation von Geschichte setzt sich beispielsweise der Künstler Shao Fan auseinander und kombiniert in King Chair (1997) Elemente eines Möbels der Ming-Dynastie mit zeitgenössischer Designsprache. Auch Ai Weiwei (* 1957) untersucht die Grenze zwischen bildender Kunst und Design im Spiegel der Geschichte, etwa in der eigens von der Sigg Collection in Auftrag gegebenen Installation Descending Light with A Missing Circle (2017), die das Konzept der Arbeit Descending Light (2007) aufnimmt. Ein scheinbar auf den Boden gestürzter Luster aus roten Glasperlen verweist auf den Verfall der modernen Gesellschaft.
In der MAK-Ausstellung treten die Arbeiten der Sigg Collection in Dialog mit einer korrespondierenden Auswahl historischer Objekte der MAK-Sammlung Asien aus China. Seit seiner Gründung vor über 150 Jahren setzt das MAK einen musealen Schwerpunkt auf asiatisches Kunstgewerbe aus China, Japan und Korea. Bereits um 1900 konnte das Museum die Höhepunkte asiatischer Kulturen dokumentieren, ein Großteil des Sammlungsbestands des unter wirtschaftspolitischen Vorzeichen gegründeten Handelsmuseums kam 1907 an das heutige MAK. Die über 25 000 Objekte umfassende MAK-Sammlung Asien zählt zu den bedeutendsten Sammlungen asiatischer Kunst in Europa und schafft somit eine breite diskursive Plattform für die Präsentation der Sigg Collection.
Die KünstlerInnen der Ausstellung CHINESE WHISPERS. Neue Kunst aus der Sigg Collection: 徐文恺 aaajiao (Xu Wenkai), 艾未未 Ai Weiwei, 曹斐 Cao Fei, 曹雨 Cao Yu, 陳樂珩 Chan Stacey Lok Heng, 陳苑翹 Chan Yuen Kiu, 池磊 Chi Lei, 储云 Chu Yun, 丁乙 Ding Yi, 段建宇 Duan Jianyu, 冯梦波 Feng Mengbo, 高伟刚 Gao Weigang, 顾小平 Gu Xiaoping, 何翔宇 He Xiangyu, 洪浩 Hong Hao, Christian Hidaka, 嘉 Jia, 杨俊 Jun Yang, 李傑 Lee Kit, 廖斐 Liao Fei, 刘勃麟 Liu Bolin, 刘窗 Liu Chuang, 刘鼎 Liu Ding, 刘韡 Liu Wei, 马轲 Ma Ke, 毛同强 Mao Tongqiang, 苗颖 Miao Ying, 黃漢明 Ming Wong, 倪有鱼 Ni Youyu, 白双全 Pak Sheung Chuen, 裴丽 Pei Li, 楊嘉輝 Samson Young, 邵帆 Shao Fan, 沈少民 Shen Shaomin, 沈学哲 Shen Xuezhe, 史国威 Shi Guowei, 史金淞 Shi Jinsong, 宋冬 Song Dong, 宋拓 Song Ta, 王光乐 Wang Guangle, 王晋 Wang Jin, 王雷 Wang Lei, 王卫 Wang Wei, 王兴伟 Wang Xingwei,谢墨凛 Xie Molin, 谢南星 Xie Nanxing, 徐冰 Xu Bing, 许成 Xu Cheng, 徐震 Xu Zhen, 薛峰 Xue Feng, 叶鲜艳 Ye Xianyan, 张培力 Zhang Peili, 张晓刚 Zhang Xiaogang, 张玥 Zhang Yue, 赵半狄 Zhao Bandi, 郑国谷 Zheng Guogu und 朱久洋 Zhu Jiuyang.
Eine Ausstellung des MAK im Dialog mit dem Sammler Uli Sigg und in Kooperation mit dem Kunstmuseum Bern sowie dem Zentrum Paul Klee
Ausstellungsdauer: 30. Jänner – 26. Mai 2019Öffnungszeiten: Di 10:00–22:00 Uhr, Mi–So 10:00–18:00 UhrKuratorin: Bärbel Vischer, Kustodin MAK-Sammlung GegenwartskunstRahmenprogramm: In VorbereitungMAK-Eintritt: € 12 / ermäßigt € 9 / Familienkarte € 15Jeden Dienstag 18:00–22:00 Uhr: Eintritt € 5Eintritt frei für Kinder und Jugendliche unter 19
Publikation: Chinese Whispers. Neue Kunst aus den Sigg und M+ Sigg Collectionshg. v. Kathleen Bühler, Kunstmuseum Bern, Zentrum Paul Klee und MAK, Wien, Deutsch/Englisch, 368 Seiten, Prestel Verlag, 2016
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