Erste Berührungspunkte der Künstlerin mit diesem Hauptwerk der ägyptischen Kunst- geschichte gab es bereits im Jahr 2014. Czernin entwickelte damals auf Einladung des MAK die großformatige Bleistiftzeichnung Nach Ibn-Tulun, sozusagen die Initialzün- dung zur Werkserie. Daraus resultierten streng geometrische Arbeiten, die Verbindun- gen zwischen zentralen Punkten durch Linien suchen. „Um das Verlorengegangene wiederzufinden, habe ich alle vorhandenen Punkte und Linien miteinander verbunden. Unter meinem Lineal ist ein neues Netz voller Beziehungen, fast konspirativer Zusam- menhänge entstanden“, so Adriana Czernin.
Neben der Strenge des Systems mit all seinen Symmetrien und Wiederholungen geht die Künstlerin möglichen Asymmetrien nach. Durch das bewusste Entfernen einiger Ornamentteile entsteht eine dynamische Komposition aus scheinbar freien Formen, die sich über den Bildraum ausbreiten und andere Elemente durchqueren oder durchboh- ren. Im Unterschied zu Adriana Czernins früheren Arbeiten, in denen Ornamentales oft mit weiblichen, expressiven Figurationen interagiert, ist die in der MAK-Ausstellung Fragment präsentierte Werkserie strikt geometrisch aufgebaut.
Konstruktion und Dekonstruktion – das Befolgen strenger Regeln, aber auch deren Durchbrechung und Unterwanderung sind Komponenten von Czernins intensiver Ar- beit mit dem Ornamentalen. Abgesehen von der streng formalen Auseinandersetzung mit der Formensprache des historischen Relikts konzentriert sich Czernin auf die Funktion des Ornaments als Träger von Tradition und Religion und verweist somit auf die transzendente Bedeutung im religiösen Zusammenhang. Das Aufgehen des Indivi- duums in der Unendlichkeit der Ordnung, die mögliche Versenkung im Rausch opti- scher Wahrnehmung sowie die Funktion des Ornamentalen als Weg zur Kontemplation sind inhärente Themen ihrer Werkserie.
Minbar der Ibn-Tulun-Moschee in KairoDie Ibn-Tulun-Moschee in Kairo wurde zum Ende des 9. Jahrhunderts errichtet und unter Sultan Lagin 1296 renoviert und erneuert. Eine der wichtigsten Möblierungen einer Moschee ist das Minbar, ursprünglich ein erhöhter Sitz, der als Kanzel verwendet wird, aber auch als „Thron Mohammeds“ symbolische Bedeutung hat. So erklären sich kostbare Ausführungen in Stein- oder Holzeinlegearbeiten. Das Minbar der Ibn-Tulun- Moschee gehörte zu den kostbarsten seiner Art weltweit. Teile der reichen Holzverklei- dung wurden auf der Pariser Weltausstellung 1867 als eines der bedeutendsten Werke ägyptischen Kunstgewerbes ausgestellt. Im Anschluss gelangten die Fragmente in zahl- reiche europäische Sammlungen. Die größten zusammenhängenden Ornamentfelder befinden sich heute im Victoria and Albert Museum in London sowie im MAK in Wien.
Adriana Czernin wurde 1969 in Sofia geboren und lebt und arbeitet seit 1990 in Wien und Rettenegg (Steiermark). Sie absolvierte 1998 die Klasse für Freie Grafik an der Universität für angewandte Kunst Wien. Neben diversen Einzelausstellungen, unter anderem in der Galerie Martin Janda, Wien, der Struktura Gallery, Sofia (2017), und im Institute for Contemporary Art, ATA Center, Sofia (2003), waren ihre Arbeiten au- ßerdem in Gruppenausstellungen im LENTOS, Linz (2017), im 21er Haus, Wien (2017, 2013), in der Albertina, Wien (2012, 2011, 2008, 2004), im Belvedere, Wien (2009), im Austrian Cultural Forum New York (2009), im Kunsthaus Baselland, Basel (2004), und im Massachusetts Museum of Contemporary Art, North Adams, MA (2002) zu sehen. 2014 entwickelte sie die großformatige Bleistiftzeichnung Nach Ibn-Tulun für die The- meninsel Ornament des MAK DESIGN LABOR, die sich seither in der MAK-Sammlung befindet.
MAK
ÖffnungszeitenDi 10:00–22:00 Uhr, Mi–So 10:00–18:00 UhrJeden Dienstag 18:00–22:00 Uhr Eintritt frei
Eintritt€ 7,90 / ermäßigt € 5,50 Eintritt frei für Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre
Jeden Dienstag 18:00–22:00 Uhr Eintritt frei
Familienkarte € 11 (2 Erwachsene + mind. 1 Kind bis zum 14. Lebensjahr)
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