Ich habe ein kleines leeres (oder auch bereits bearbeitetes) Blatt Papier, ein Stück Leinwand oder einen Klumpen Wachs oder Ton vor mir, ich sitze davor oder gehe mit dem Material umher. Mein Kopf ist gesammelt zunächst auf nur „eine“ Frage, die Frage des Anfangs, die bildnerische Prinzipienfrage: „Wie kommt es überhaupt zu einem Bild?“ – Thomas LehnererDie Sommerausstellung des Kunstmuseum Liechtenstein ist dem Münchner Künstler und Theoretiker Thomas Lehnerer (1955–1995) gewidmet. Diese erste grosse Überblicksschau überhaupt versammelt bekannte Plastiken, Mal- und Zeichnungszyklen nebst noch nie ausgestellten Werken und Konzepten.
Lehnerer hat in seinem kurzen Leben die Existenz der Kunst als nicht selbstverständlich wahrgenommen und deren Aufgabe und Inhalt ausführlich gedeutet. In seinen Schriften, allen voran in Methode der Kunst, entwickelte er in Weiterführung von zentralen Texten der Ästhetik, Kulturtheorie und Kunstgeschichte einen Kunstbegriff, der in seinem künstlerischen Schaffen wiederzufinden ist. Seine kleinformatigen figürlichen Plastiken – zumeist aus Bronze, Blei oder Wachs –, Zeichnungen, Aquarelle und die frühen Rauminstallationen folgen den theoretischen Prämissen und bringen umfassende Themen des Menschseins auf. Vertieft wird die Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz dadurch, dass kulturhistorische oder theologische Figuren und eine Vielfalt an Fundstücken einbezogen werden. Die Aufmerksamkeit gegenüber Zufälligem und Vorgefundenem stellt oft einen Ausgangspunkt für die Entstehung der Arbeiten dar.
Ein siebenteiliger Zeichnungs- und Malzyklus mit dem Titel Die ganze Welt (1985/86) fügt sich zu einer „Gegenwelt“, um für das eigene Dasein Erkenntnis zu schaffen. Dem Prozess des Entstehens und der inneren Auseinandersetzung galt Lehnerers Aufmerksamkeit. Es ging ihm um eine absolute Gegenwärtigkeit beim Schaffen und Rezipieren der Werke. Diese markieren eine Differenz zur Welt und vermitteln zugleich zwischen der Welt und dem Betrachter – ein ästhetisches Moment, das Lehnerer als „freies Spiel“ bezeichnete. Die Ausstellung ist eine Eigenproduktion des Kunstmuseum Liechtenstein, kuratiert von Friedemann Malsch. Sie entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Archiv Thomas Lehnerer.