Salzburg, 25. November 2016. Der in Südtirol geborene, österreichische Künstler Walter Pichler (1936 Deutschnofen, IT – 2012 Wien, AT) trat in den frühen 1960er-Jahren mit gleichermaßen radikalen wie utopischen Architekturentwürfen und -modellen hervor. Mit der Werkgruppe der sogenannten Prototypen (1966–1969), die Pichler in den Folgejahren entwickelte, konnte er eine internationale künstlerische Laufbahn festigen, die zu dieser Zeit außergewöhnlich war. Ausgebildet als Grafikdesigner war Pichler als Bildhauer und Designer im Grenzbereich zu Architektur tätig. Bereits in relativ jungen Jahren war er in gefeierten Ausstellungen und renommierten Museen weltweit vertreten: im Museum of Modern Art in New York (1967 und 1975), der 5. Biennale in Paris (1967), auf der 4. documenta in Kassel (1968), im österreichischen Pavillon auf der 40. Biennale di Venezia (1982). Im Laufe einer rasanten internationalen Karriere zog sich Walter Pichler 1972 auf einen Bauernhof in St. Martin im Burgenland in Österreich zurück, um dort fortan unabhängig vom schnelllebigen Kunstbetrieb eigene, ihm ideal erscheinende Gebäude für seine Skulpturen zu realisieren. Pichler ließ sich aber immer wieder auf institutionelle Ausstellungen ein, um seine Werke einer Art Prüfung in der Museumswelt zu unterziehen. Ab Ende der 1980er-Jahre fanden u.a. Werkschauen im Städel Museum in Frankfurt am Main (1987), im Österreichischen Museum für angewandte Kunst (1988 und 2011) und in der Generali Foundation (1998) in Wien oder im Stedelijk Museum in Amsterdam (1998) statt. Walter Pichler verstarb 2012 in Wien und diese Ausstellung fällt daher mit seinem achtzigsten Geburtstag zusammen.
In dieser umfassenden Werkschau, die das Museum der Moderne Salzburg dem einflussreichen Künstler widmet, erfahren seine frühen radikalen Architekturentwürfe und die ikonische Werkgruppe der Prototypen in Verbindung mit von ihm umgesetzten Bauten, darunter auch jüngste Projekte, im Zusammenspiel eine neue Betrachtung. Anhand von rund 230 Arbeiten, darunter zahlreiche bislang unveröffentlichte Materialien, wird das vielschichtige Werk von Pichler in seiner ganzen Bandbreite auf der großen Ausstellungsebene [4] im Museum der Moderne Salzburg am Mönchsberg vorgestellt. „Dank einem engen Austausch mit Walter Pichler und unserer langjährigen Zusammenarbeit, die sich heute mit dem Pichler-Archiv fortsetzt, und der Dauerleihgabe der Generali Foundation, durch die das Museum der Moderne Salzburg über die größten Bestände der Werkgruppe der Prototypen verfügt, können wir in dieser Ausstellung aus dem Vollen schöpfen und auch bisher verschlossene, unveröffentlichte Materialien zugänglich machen”, unterstreicht Sabine Breitwieser, Direktorin des Museums und Kuratorin der Ausstellung. „Die Ausstellung profitiert zusätzlich von wichtigen Leihgaben aus dem Nachlass und zahlreichen weiteren Sammlungen und erschließt Pichlers Bauten über eigens beauftragte Filme“, streicht die Kuratorin heraus.
Walter Pichler wurde an der Bundesgewerbeschule Innsbruck und später an der Hochschule für angewandte Kunst Wien als Grafikdesigner ausgebildet und hat zahlreiche wichtige Publikationen (mit)gestaltet, zum Beispiel die einflussreiche Zeitschrift Bau (1965–1967) sowie das erste Buch über Otto Wagner für den Residenz Verlag, für den er viele Jahre als Buchgestalter arbeitete, ebenso wie zuletzt für den Verlag Jung und Jung in Salzburg. Seine ersten künstlerischen Arbeiten entwickelte Pichler im Wien der Nachkriegszeit, im Umfeld der Künstler der Wiener Gruppe, des sogenannten Wiener Aktionismus und heute namhafter Architekten, Designer und Literaten, die sich in Cafés und Bars trafen und dort ihre künstlerischen Positionen schärften. Studienaufenthalte in Paris, New York und Mexiko prägten sein Frühwerk ebenso wie die gesellschaftlichen und technischen Neuerungen der 1960er-Jahre, die sich besonders in den ikonischen Prototypen niederschlugen. 1963 präsentierte Pichler mit Hans Hollein in der Galerie nächst St. Stephan in Wien Manifeste, Entwürfe und Modelle für hängende und unterirdische Stadtwelten, mit denen die damals gängige Auffassung von Architektur infrage gestellt wurde. Den beiden Geistesverwandten ging es dabei weniger um die konkrete Umsetzung ihrer Projekte als vielmehr um eine als Utopie maskierte Kritik am Prinzip “form follows function”. Ein Teil dieser Arbeiten wurden damals vom Museum of Modern Art in New York erworben.
Seine Werkgruppe der Prototypen (1966–1969) brachte Pichler in Zeitschriften von Domus bis Vogue und verlieh ihm einen Status, der an den eines Popstars heranreichte. Mit zu dieser Zeit neuen Materialien wie Aluminium und Kunststoff sowie pneumatischen Elementen aus PVC und audiovisuellen Komponenten entwickelte Pichler einige seiner bekanntesten Werke. Mit der Bezeichnung Prototyp spielte er darauf an, dass diese Arbeiten letztlich von ihrem Laborcharakter in eine maschinelle Serienproduktion gehen sollten. Tatsächlich wurden diese Werke, wie Pichler dies einmal salopp formulierte „am Küchentisch von Hand hergestellt“. Die Prototypen wurden 1968 auf der 4. documenta in Kassel ausgestellt. Pichlers experimentelles Arbeiten mit neuen Materialien und Technologien war richtungsweisend: In Arbeiten wie dem TV–Helm (1967), auch genannt Das tragbare Wohnzimmer, zeigt sich Pichlers Kritik an einer mediatisierten und technologisierten Welt in einer Zeit, als der Vietnamkrieg in die Wohnzimmer übertragen und von der Kunst politische Stellungnahme gefordert wurde. 1966 entwickelte Pichler auch den Aluminiumstuhl Galaxy 1, für den er sich von der Ästhetik und der Technologie der Raumfahrt und Autoindustrie anregen ließ, und der heute ein Klassiker des innovativen Designs ist.
Ab 1972 plante und realisierte Walter Pichler eine Reihe einzigartiger Bauten, zunächst in St. Martin im Burgenland, auf einem vier Hektar großem Grundstück mit einem alten Bauernhof – ein Ensemble, das er zu seiner neuen Arbeits- und Ausstellungsstätte erkoren hatte. Spätere Bauprojekte waren Das Haus neben der Schmiede (1994–2002), Die Plattform über den Fluss (1994–2014, posthum realisiert) im Eggental bei Bozen in Italien, und die Passage in Tirol (1996–2011). Zur Vermittlung dieser komplexen Bauten hat das Museum der Moderne Salzburg eigens Filme beauftragt, die gemeinsam mit Zeichnungen und Entwürfen Einblick in das Werk des Architekten Walter Pichler geben.
Kuratorinnen: Sabine Breitwieser, Direktorin; mit Christina Penetsdorfer, Assistenz Kuratorin, Museum der Moderne Salzburg Ausstellungsarchitektur: Wilfried Kuehn, Kuehn Malvezzi, Berlin/Mailand
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