Tinguelys Méta-Harmonien (1978-1985)Es scheppert, rattert, knirscht, quietscht, klappert und zuweilen ist eine Tonabfolge zu hören. Die vier Maschinen, die Tinguely Méta-Harmonie nannte, bieten ein chaotisches, klingendes Getöse, das alles andere als komponiert erscheint. „Meine Apparate machen keine Musik, meine Apparate benützen Töne, ich spiele mit den Tönen, ich baue manchmal Ton-Mischmaschinen, die mischen Töne, ich laßʼ die Töne gehen, ich gebʼ Ihnen Freiheit.“ Damit verdeutlichte der Künstler nicht nur, dass die Klänge der Maschinen der alltäglichen Vorstellung von harmonischer Musik widersprechen. Er unterstrich zugleich, dass es ihm nicht darum gehe, Neue Musik zu machen, vielmehr wird der Ton von seinen Maschinen benutzt: Ton wird zum Material seiner Kunst. Sind die Méta-Harmonien vom Ende der 1970er Jahre in erster Linie Maschinen mit und aus Musikinstrumenten, so macht schon die Betitelung der Werke aus den 1980er Jahren, in denen das Wort „Méta-Harmonie“ zum erläuternden Zusatz wird, deutlich, dass es Tinguely zunehmend um ein visuell-akustisches Gesamtspektakel geht, indem sich die beiden Aspekte, das Visuelle und das Akustische, wie auch die Bewegung in einer Spannung befinden.
Im Rahmen der Hammerausstellung (Basel, 1978) präsentierte Tinguely seine erste Méta-Harmonie. Sie ist die „melodischste“, zusammengesetzt aus vielen verschiedenen Musikinstrumenten, Alltags- gegenständen sowie die für Tinguelys Spätwerk typischen grossen Räder. Die einzelnen Komponenten befestigte Tinguely in einem hochrechteckigen Eisenrahmengestell. Als Dirigent dieses bunten Ensembles fungiert der kontrollierte Zufall, ein Ergebnis der Mechanik der Konstruktionen. Für seine Ausstellung 1979 im Städel in Frankfurt a. M. musste Tinguely bereits eine zweite Méta-Harmonie bauen: Die Erste war an das bekannte Kunstsammlerehepaar Peter und Irene Ludwig verkauft worden und war nun in Wien zu sehen und zu hören.
Die neu entstandene Méta-Harmonie II (1979) ähnelt ihrer Vorgängerin stark und enthält etliche gleiche Elemente: ein Klavier, eine Melodica und vor allem viele Schlaginstrumente. Sie ist deutlich dichter bestückt und dadurch unübersichtlicher, dennoch bleiben die drei Teile und der triptychonartige Aufbau gut erkennbar. Fünf Jahre später griff Tinguely für die Tokioter Warenhauskette Seibu das Thema wieder auf. Es entsteht Pandämonium No. 1 – Méta-Harmonie 3 (1984). Neben zahlreichen Trommeln, Becken, den obligatorischen Kuhglocken und vielen anderen Schlaginstrumenten enthält Pandämonium auch zwei Tierschädel, die zähneknirschend zum morbiden Charakter des Werks bei- tragen. Im Pandämonium, dem Aufenthaltsort der Dämonen, macht sich die zeitgleiche Beschäftigung Tinguelys mit dem Tod bemerkbar. Es ist aber immer eine heitere Beschäftigung mit dem Düsteren. Eine „Verburleskierung“ des Todes, wie Tinguely schrieb. Seine dritte „Ton-Mischmaschine“ ist dabei nicht nur abermals detailreicher und ungeordneter, sondern greift nun auch in verschiedene Richtung- en des Raumes aus. Sie quillt vielmehr in einer barocken Überfülle über ihr Gestell hinaus. Ähnlich wie die dritte ist auch die vierte und grösste Méta-Harmonie mit dem Titel Fatamorgana (1985) vor allem eine perkussive Méta-Harmonie. Mit vielen grossen, farbigen Rädern bestückt, steht zumindest visuell die Mechanik weitaus stärker im Fokus. Gebaut haben Tinguely und sein Assistent Josef Imhof (Sepi) das Werk in einer stillgelegten Industriehalle in Olten (CH), wo viele der ausgedienten Holzgussmodelle der Firma Von Roll AG lagerten. Dort sicherte er sich vor allem die grossen Modelle für dieses gewaltige Räderwerk. Entsprechend ist die Méta-Harmonie IV auch langsamer, behäbiger und klanglich dumpfer. Sie lässt uns den Maschinenklang eines riesigen Maschinenkolosses hören.
Tinguely’s Méta-Harmonies‘ Guests @ Museum TinguelyWährend der Ausstellungsdauer bilden die Méta-Harmonien „die Bühne“ für Auftritte von zeitge- nössischen Künstlerinnen und Künstlern, die mit der akustischen Dimension experimentieren. Kleine Elektromotoren und Schweissdrähte sind die Elemente, aus denen der Berner Künstler Zimoun (*1977) eine elf Meter lange Wandarbeit realisiert, die den Raum mit rhythmisch-vibrierenden Ge- räuschen erfüllt: 275 prepared dc-motors, filler wire 1.0mm, 2009/2010 (19.-30.10.2016). Resultat der multimedialen Installation und Performance Things You Do Seldom von Bianca Hildenbrand, Eliza Coolidge und Timothy Severo aus New York ist eine interaktive Musikmaschine mit hundert ver- schiedenen Geräuschen. Sie basiert auf einem Stück des Komponisten Jürg Frey. Die hundert Ton- aufnahmen dafür wurden mithilfe von aus Alltagsmaterialien gebauten Klangskulpturen generiert (20.12.2016-06.01.2017, am letzten Tag findet um 19 Uhr eine Performance der Künster/Innen statt). Beim automatischen Bühnenbild Unusual Weather Phenomena Machine, 2016 von Thom Luz wird die Musik durch Zufall und Gasballons bestimmt (12.-18.12.2016). Wie Musikautomaten aus dem frühen 20. Jahrhundert klingen und funktionieren, zeigen vier Orchestrien aus dem Museum für Musikauto- maten in Seewen (29.11.-11.12.2016). Im Rahmen des umfangreichen Konzertprogramms treten unter anderem Studierende der Schlagzeug- und Improvisationsklassen der Basler Hochschule für Musik / FHNW (07.01.2016), das Ensemble Phoenix Basel (15. und 16.01.2017), die New Yorker Jazz-Combo Barry Altschul 3dom Factor (27.11.2016) und der Perkussionist Julian Sartorius (08.01.2017 Jazz-Konzerte in Zusammenarbeit mit the bird’s eye jazz club) auf. Darüber hinaus bieten wir ein interaktives Programm mit Familiensonntagen (23.10. und 04.12.2016) und Workshops für junge Besucher an: u.a. mit Beatboxing/Human Vocal Percussion mit Claudio Rudin/aka. Ciaccolo (22.10.2016) und Die magische Flüstermaschine, ein zweitägiger Workshop der Musikschule Basel, Musik- Akademie und K’Werk Bildschule bis 16, Schule für Gestaltung (05.-06.11.2016). Als besondere Attraktion wird bei schönem Wetter mehrmals Tinguelys Klamauk (1979) im Solitude-Park fahren (23.10. und 04.12.2016 / 08.01. und 22.01.2017)
Die Ausstellung wurde kuratiert von Annja Müller-Alsbach und Sandra Beate Reimann.
PublikationZur Ausstellung erscheint Mitte November im Kerber Verlag ein reich bebilderter Katalog mit Texten von Annja Müller-Alsbach, Sandra Beate Reimann und Heidy Zimmermann sowie einem Vorwort von Roland Wetzel in einer deutsch/englischen Ausgabe. Im Museumsshop und Online erhältlich: 48 CHF, ISBN: 978-3-9524392-5-8
Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag: 11 – 18 Uhr
Sonderöffnungszeiten: Während ART Basel, 15. – 21. Juni: 9 bis 19 Uhr (auch am Montag)
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