SONIA LEIMER, Ausstellungsansicht »Poetiken des Materials« © Leopold Museum, Wien, 2016, Foto: Lisa Rastl / © Bildrecht, Wien, 2016 SONIA LEIMER, Ausstellungsansicht »Poetiken des Materials« © Leopold Museum, Wien, 2016, Foto: Lisa Rastl / © Bildrecht, Wien, 2016 - Mit freundlicher Genehmigung von: leopoldmuseum

Was: Ausstellung

Wann: 21.10.2016 - 30.01.2017

Die Ausstellung Poetiken des Materials versammelt mit Benjamin Hirte, Sonia Leimer, Christian Kosmas Mayer, Mathias Pöschl, Anne Schneider sowie Misha Stroj und Michael Hammerschmid sieben in Wien lebende Künstlerinnen und Künstler. Für den Direktor des Leopold Museum, Hans-Peter Wipplinger, ist diese neue Programmschiene der Präsentati- on aktuellster Kunst wichtiger…
Die Ausstellung Poetiken des Materials versammelt mit Benjamin Hirte, Sonia Leimer, Christian Kosmas Mayer, Mathias Pöschl, Anne Schneider sowie Misha Stroj und Michael Hammerschmid sieben in Wien lebende Künstlerinnen und Künstler. Für den Direktor des Leopold Museum, Hans-Peter Wipplinger, ist diese neue Programmschiene der Präsentati- on aktuellster Kunst wichtiger Bestandteil für das Gesamtkonzept des Hauses: „Museen als Magazine des Vergangenem müssen sich stetig wandeln und können diesbezüg- lich enorm vom Dialog mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern profitieren, indem sie Geschichte und Gegenwart sinnvoll verknüpfen. Nicht nur aus Gründen einer dynamischen Aufladung von Inhalten im Kontext eines gegenwärtigen gesellschaftlichen Umfeldes, sondern auch aus einem Selbstverständnis als Vermittlungs- und Diskursin- stanz, wollen wir die Geschichte der Gegenwart in unserem Haus fortschreiben, erweitern und die eingeladenen künstlerischen Positionen im Zuge der Ausstellung einer großen Öffentlichkeit vorstellen.“

Inhaltlich reflektiert die Ausstellung Poetiken des Materials auf eine aktuelle Entwicklung innerhalb der zeitgenössischen Kunst, in der sich zunehmend Strategien beobachten lassen, die dem Material sowie materiellen Phänomenen der Wirklichkeit einen hohen Stellenwert einräumen und unter dem Schlagwort eines „Neuen Materialismus“ verhan- delt werden. Zwar rückten unter anderem bereits die Post-Minimal Art oder die Arte Povera die Materialität des Kunstwerkes in den 1960er-Jahren als eigenständige ästhetische Kategorie in den Mittelpunkt. Sie suchten über eine spezifische Materialästhetik Kon- ventionen zu brechen, welche die Vorrangstellung der künstlerischen Idee und der Form vor dem „niederen“ Material betonten. In ihrem Umkehrschluss bezogen sie ihre Kräfte jedoch aus der Beibehaltung der die Moderne prägenden Leitdifferenz von Materialität und Immaterialität oder – auf die Definition des Kunstwerkes bezogen – von Material und Idee. Zeitgenössische Kunst, die dem „Neuen Materialismus“ zugeordnet werden kann, ist bestrebt, eben jene Entweder-Oder-Struktur zu überwinden. Sie versucht der gegenseitigen Durchdringung von materiellen und immateriellen Aspekten der Wirklichkeit Ausdruck zu verleihen. Letztere zeigen sich etwa in der Bedeutung der Sprache oder der kulturellen Prägung von Wahrnehmung.

„Material wird von den Theoretikerinnen und Theoretikern des sogenannten ‚Neuen Materialismus‘ nicht mehr als etwas Passives angesehen, das auf die gestaltende Kraft der Form oder den belebenden Funken der Idee wartet. Stattdessen werden Materialien und Dinge als ‚Mitakteure‘ historischer Prozesse sowie als deren Produkte wahrgenommen. Sie fungieren darüber – der Sprache vergleichbar – als Vehikel der diskursiven Verfasstheit der Realität.“ Stephanie Damianitsch, aus dem Katalog zur Ausstellung

Gemeinsam ist den vorwiegend neu produzierten Arbeiten der präsentierten Künstle- rinnen und Künstler daher der Einsatz vorgefundener Objekte, Alltagsgegenstände und „kunstfremder“ Materialien. Diese werden als Träger kultureller Bedeutungsgehalte hinter- fragt. Eingebunden in die Struktur der skulpturalen und installativen Kunstwerke werden ihre Ästhetik und Geschichtsträchtigkeit freigelegt sowie ihr semantischer Gehalt analy- siert – und dies häufig auf der Basis eines spielerischen Wechselverhältnisses von Material und Sprache.

MISHA STROJ/MICHAEL HAMMERSCHMID Ausstellungsansicht Poetiken des Materials Leopold Museum, Wien Foto: Lisa Rastl„Meint Poetik im herkömmlichen Verständnis die Untersuchung der sprachlichen Strukturen literarischer Werke, fragt die ‚Poetik des Materials‘ danach, wie dem Material und materiellen Phänomenen von den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern konzeptuell begegnet wird, wie diese in die Struktur von Kunstwerken eingebunden werden, wie weit sie in Analogie zur Sprache oder zu kulturellen Narrationen gedacht werden und welche Aussagekraft des Materials darüber freigelegt wird.“ Stephanie Damianitsch, aus dem Katalog zur Ausstellung

Die Frage nach dem Verhältnis von Material und Sprache stellt Benjamin Hirte mit Ar- beiten, welche an einer Grenzlinie balancieren, die Schrift in reine Visualität kippen lässt und Skulpturen in abstrakte (Schrift-)Zeichen verwandelt. Die verwendeten Materialien nehmen diesbezüglich eine entscheidende Rolle ein. Eindringlichstes Beispiel hierfür ist das vom Künstler selbst entworfene Alphabet, dessen Buchstaben A und E in seiner Installation für das Leopold Museum als Bodenskulpturen ausgeführt sind. Die verwendete PVC-Folie und die Aluminiumplatten evozieren Alltagsgegenstände wie Schwimm- oder Ablauf- becken. Diese sind in Analogie zur sprachlichen Funktion von Hirtes Buchstaben gedacht, die vom Künstler als Sammelbecken unterschiedlichster Bedeutungsebenen angesehen werden. Auch Misha Strojs in Zusammenarbeit mit Michael Hammerschmid entstandene Arbeit Schönheit Is a Verb thematisiert den Zusammenhang von Objekthaftigkeit und Sprache, den Stroj und Hammerschmid in einem mehrmonatigem E-Mail-Dialog erkundeten. Ihre Installation ist Materialisation des Gesprächsverlaufes und tritt damit als Speicher seiner Inhalte in Erscheinung. Schriftliche wie materielle Referenzen zu Inhalten des E-Mail- Dialoges – seien es Bruchstücke aus dem Gespräch oder Hammerschmids Gedichten, Bezüge zu realen Erlebnissen ebenso wie Werke aus der Sammlung des Leopold Museum – sind auf assoziative Weise in die begeh- und lesbare Konstellation verwoben. Gleichzeitig Gedicht wie Skulptur ist diese sowohl nach sprachlichen Parametern „gebaut“ als auch in den Raum „geschrieben“.

„Woran erkenne ich eine Skulptur?“ ... Woran erkenne ich ein Gedicht? ... daran ließe sich vielleicht ein Gedicht erkennen: an der Poetik, besser Schreibweise (auch Haltung), also der Art und Weise, wie es entsteht, (im Tun) entstand.“ Misha Stroj/Michael Hammerschmid, aus dem Katalog zur Ausstellung

Referenzen zu Kunstwerken der Sammlung des Leopold Museum nehmen auch in Christian Kosmas Mayers Videoarbeit Gedächtnispalast – die gemeinsam mit einem Teil der Installation Schönheit Is a Verb von Stroj und Hammerschmid den Auftakt der Ausstel- lung bildet – eine wichtige Rolle ein. In dem Video inszeniert Mayer das Leopold Museum als Gedächtnispalast. Dieser Begriff bezeichnet eine mnemotechnische Methode, welche im Fall von Mayers Arbeit dazu dient, sich die Reihenfolge eines 52-teiligen Kartenspieles einzuprägen. Hierzu wurden die einzelnen Karten in Bildvertreter umgewandelt und in Dialog zu Werken der Sammlung – selbst Zeugen „bewahrter Geschichte“ – gesetzt. Diese subtilen Verschiebungen und Durchdringungen von Geschichten und Funktionen konkreter Orte und Objekte prägen auch die weiteren Arbeiten seiner Installation für das Leopold Museum.

„Ich mag es, Dinge falsch zu lesen. In diesen scheinbar sinnlosen Momenten der Fehldeutung offenbart sich manchmal eine wunderbare Poesie. [...] Wer sie ausfindig machen will, muss Dinge von mehreren Seiten gleichzeitig betrachten.“ Christian Kosmas Mayer, aus dem Katalog zur Ausstellung

Das Verhältnis des Menschen zu der ihn umgebenden materiellen Umwelt steht hinge- gen im Mittelpunkt der Werke von Anne Schneider. Mit entsprechend sozial konnotierten Materialien richtet sie ihr Augenmerk auf die durchlässige Grenze zwischen psychischem und physischem Raum. Dem Spiel mit der Opposition von Innen und Außen kommt dem entsprechend in ihren Skulpturen aus Beton, die als Negative textiler Gussformen Gestalt gewinnen, ein hoher Stellenwert zu. Dem Denken in Gegensatzpaaren, wie es die binäre sprachliche Logik und die konventionelle Wahrnehmungsweise der Realität bestimmt, setzt die Künstlerin mit ihrer Arbeit ein vielschichtiges Netzwerk von Beziehungsgeflechten und Zustandsbeschreibungen entgegen.

„Anne Schneiders Annäherung an ihr Material ist eine Begegnung auf Augenhöhe, kein Kräftemessen. Sie macht es sich zu eigen, indem sie seinen Einsatz in Bezug auf ihre spezifische Weltwahrnehmung hin umformuliert [...]. Das Bewusstsein für den herkömmlichen kulturellen Gebrauch und die sozialen Konnotationen des Materials bleiben dabei dennoch erhalten.“ Anette Freudenberger, aus dem Katalog zur Ausstellung

Sonia Leimer hingegen greift auf Folien, die für die Weltraumfahrt entwickelt wurden ebenso zurück, wie auf Asphalt und andere Fragmente des städtischen Raumes. Diese überführt Leimer in abstrakte Skulpturen und Installationen, die als „Platzhalter“ für die mit den Materialien assoziierbaren kulturellen Bedeutungshorizonten fungieren. Im Zen- trum ihres Beitrages für die Ausstellung steht die Skulptur der Werkgruppe Eroberung des Nutzlosen, welche auf eine historische Versuchsanordnung referiert und von der Künstlerin performativ gedacht wird. Performanz bezeichnet in Leimers Werk den Modus des ver- fremdenden Zitates und bezieht sich auf die für ihr Werk bezeichnende Strategie, kulturell konnotierte Materialien, Gegenstände und historische Bildformen auf die „Bühne“ ihres Werkes zu stellen, um diese zum Ausgangspunkt einer neuen, persönlichen Geschichts- schreibung zu machen.

Als Bühne ist Mathias Pöschls Installation o. t. (abandoned stage set for a black mass) konzi- piert, mit welcher er mit Bezug auf die kulturellen Parallelphänomene der Minimal Art und der „Black Aesthetic“ in den USA der 1960er-Jahre, den Begriff der Theatralität umkreist. Der Titel der einer minimalistischen Ästhetik verpflichteten Installation deutet an, dass es sich um jene Bühne handelt, auf der Amiri Barakas Einakter A Black Mass (1966) aufge- führt werden soll. Doch wird das Stück des einflussreichen Vertreters der „Black Aesthetic“ nur insofern auf die Bühne gestellt, als es eine jener Quellen politischer und ästhetischer Vorstellungen und Theorien ist, denen der Künstler im komplexen Nebeneinander der unterschiedlich konnotierten alltäglichen Gegenstände, Materialien und Medien Ausdruck verleiht.

„Mathias Pöschl verbindet mit unterschiedlichsten Medien polare Standpunkte wie Form und Inhalt, Narration und minimalistische Selbstreferenzialität oder kulturhistorische Dokumentation und Abstraktion zu szenografischen Ensembles. [...] Offensichtlich geht es dem Künstler nicht um die Illustration von Wissen, sondern um die Gegensätze und Ambivalenzen, welche die Geschichte in sich birgt.“ Cornelia Offergeld, aus dem Katalog zur Ausstellung

Bei allen in der Ausstellung Poetiken des Materials versammelten Werken handelt es sich dementsprechend um Kunst, die, so die Medien- und Literaturwissenschaftlerin Christiane Heibach, „das Materielle und dingorientierte Aspekte in der Beschreibung von Kultur und Gesellschaft zwar in den Vordergrund rückt, ihre immateriellen Ordnungs- und Spiegel- funktionen aber nicht leugnet und Dinge als Akteure von Netzwerken kultureller Prozesse versteht“.Kuratorin: Stephanie Damianitsch

 

KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLERBenjamin HirteGeboren 1980 in Aschaffenburg (DE), lebt und arbeitet in WienSonia LeimerGeboren 1977 in Meran (IT), lebt und arbeitet in WienChristian Kosmas MayerGeboren 1976 in Sigmaringen (DE), lebt und arbeitet in WienMathias PöschlGeboren 1981 in Wien (AT), lebt und arbeitet in WienAnne SchneiderGeboren 1965 in Linz (AT), lebt und arbeitet in WienMisha Stroj/Michael HammerschmidMisha Stroj: Geboren 1974 in Ljubljana (SI), lebt und arbeitet in Wien Michael Hammerschmid: Geboren 1972 in Salzburg (AT),lebt und arbeitet in Wien

KATALOG Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog in deutscher und englischer Sprache. Erhältlich im Leopold Museum Shop. Umfang: 160 Seiten Format: 23,5 × 28 cm Sprachen: Deutsch/Englisch Herausgeber: Hans-Peter Wipplinger AutorInnen: Stephanie Damianitsch, Anette Freudenberger, Anna Hofbauer, Cornelia Offergeld, Clemens Roesch, Stephen Zepke Verlag: Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln Preis: EUR 24,90

Christian Kosmas Mayer: Ausstellungsansicht Poetiken des Materials | Exhibition view The Poetics of the Material Christian Kosmas Mayer: Ausstellungsansicht Poetiken des Materials | Exhibition view The Poetics of the Material - Mit freundlicher Genehmigung von: leopoldmuseum / LEOPOLD MUSEUM Mathias Pöschl: Ausstellungsansicht Poetiken des Materials | Exhibition view The Poetics of the Material Mathias Pöschl: Ausstellungsansicht Poetiken des Materials | Exhibition view The Poetics of the Material - Mit freundlicher Genehmigung von: leopoldmuseum / LEOPOLD MUSEUM Mathias Pöschl: Ausstellungsansicht Poetiken des Materials | Exhibition view The Poetics of the Material Mathias Pöschl: Ausstellungsansicht Poetiken des Materials | Exhibition view The Poetics of the Material - Mit freundlicher Genehmigung von: leopoldmuseum / LEOPOLD MUSEUM
Tags: Material, Zeitgenössische Kunst

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