Im Kunstgeschehen unserer Zeit, das nur zu oft von kurzlebigen Sensationen bestimmt wird, ist eine Ausstellung von Bildern, die in einem Zeitraum von über 50 Jahren entstanden sind, eher etwas Ungewöhnliches, zumal es sich dabei um Arbeiten von Vater und Tochter handelt. Dazu kommt, dass es sich um Werke handelt, die nicht im permanenten familiären Kontakt, sondern weit voneinander entfernt, einerseits in Österreich, andererseits in Kanada, entstanden sind.Als Glasmaler und Mosaizist ist Heinrich Tahedl, geb. 1907 in Wien-Oberlaa, in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt geworden. Für kirchliche und profane Bauten schuf er in Wien und Niederösterreich mehr als 80 Werke. Dass daneben ein umfangreiches malerisches und graphisches Œuvre entstand, blieb zu Tahedls Lebzeiten so gut wie unbeachtet, da der Künstler diese Arbeiten zum großen Teil der Öffentlichkeit vorenthielt. Erst seit den 60er Jahren begann Heinrich Tahedl mit Acrylfarben zu experimentieren. Nach den weitgehend noch von Naturvorbildern dominierten früheren Arbeiten fand er nun zu farbintensiven, in ihrer Leuchtkraft den Glasfenstern verwandten abstrakten Kompositionen, deren konstruktive Grundformen (z.B. Kreise, Dreiecke, Quadrate) er ohne den Zwang der exakten Geometrie vielfältig variierte. Erst 1982 wurden diese in ihrer koloristischen Qualität unverwechselbaren und eigenständigen Tafelbilder erstmals ausgestellt. 1985 ist Heinrich Tahedl in Krems (Niederösterreich) gestorben.
Seine Tochter Ernestine, 1940 in Oberösterreich geboren, stand als frühes künstlerisches Talent in Kindheit und Jugend natürlich unter dem Einfluss ihres Vaters. Nach ihrem Studium an der Akademie für Angewandte Kunst in Wien wanderte sie 1963 nach Kanada aus. Sie wurde dort, durchaus noch in der Tradition ihres Vaters, durch ihre monumentalen Glasfenster zu einer hochgeschätzten Künstlerin.
Auch sie wandte sich wieder der konventionellen Malerei mit dem Pinsel zu. Seit etwa 1985 entstehen großformatige, oft vielteilige Bilder und Zyklen, in denen sich vorerst in monumentaler Weise ein intensives Gefühl für Natur und Landschaft manifestiert. Es sind dies weiträumige, menschenleere Landschaften, über denen sich in wildem Crescendo atmosphärische Phänomene entwickeln, Szenerien, die für Opern Richard Wagners als Kulissen dienen könnten. In den letzten Jahren verliert sich der landschaftliche Aspekt, und mit den Mitteln der freien abstrakten Assoziation versucht ErnestineTahedl nunmehr, Musik und die sich daraus ergebenden Emotionen zu visualisieren. Ihre gemalten Interpretationen umfassen Werke von Bach, Bruckner und Bartok, Wagner und die sinfonischen Dichtungen von Franz Liszt. Zu Franz Schmidts „Buch mit den Sieben Siegeln“ und in der jüngsten, 2015 entstandenen Folge zu den großen Requien der Musikgeschichte (Mozart, Brahms, Verdi, Dvořák) transferiert sie Klänge in flimmernde, abstrakte Kompositionen. Farben und Töne bilden eine neue Einheit. Zum gegenwärtigen Kunstkontext haben Ernestine Tahedls Musikassoziationen nur wenig Berührungspunkte, auch wenn die europäischen Wurzeln dieser Kunst unverkennbar sind (Altdorfer, Turner, Monet).
Um diese über Kontinente hinweg bestehende geistige Verbindung von Vater und Tochter zu dokumentieren, wurde für die Ausstellung „Heinrich und Ernestine Tahedl“ der Untertitel „Versammelte Werke“ gewählt. Dass dieser Aspekt möglich wurde, ist allein der Initiative von Dr. Alfred Brogyányi, einem österreichischen Wirtschaftsprüfer und früheren Kammerpräsidenten der Wirtschaftstreuhänder zu verdanken. Als leidenschaftlicher Kunstfreund sammelt er seit vielen Jahren die Arbeiten von Vater und Tochter Tahedl. Brogyányi konnte einen Großteil des Nachlasses von Heinrich Tahedl erwerben und er besitzt - einzigartig in Europa - zahlreiche der großformatigen Arbeiten von dessen Tochter.
Die Ausstellung sollte uns auch lehren, die derzeit in gravierendem Maße gefährdeten ästhetischen Aspekte der zeitgenössischen Kunst wieder schätzen zu lernen.
Wolfgang Hilger