Always, Always, Others . Unklassische Streifzüge durch die Moderne Kuratiert von Manuela Ammer und Ulrike MüllerIn Ulrike Müllers (*1971 in Brix legg, Tirol, lebt in New York) künstlerischer Arbeit geht es um das Verhältnis von Abstraktion und Körper sowie um einen Malereibegriff, der nicht an Pinsel und Leinwand gebunden ist. Die geometrisch anmutenden Figuren und Farbflächen in ihren Kompositione n sind nie „reine“ Abstraktion; sie rufen erotische und sexuelle Assoziationen wach, sie necken, berühren und durchdringen einander, ohne sich allerdings in einfache Gegensatzpaare auflösen zu lassen . Müller verwendet Abstraktion als ein Vokabular, das – j e nach Kontext und Betrachter_in – gegenständlich besetzt, affektiv aufgeladen und politisch konnotiert sein kann. „Meine Bilder sind Teil eines Begehrens, Alternativen zu traditionellen Geschlechterrollen und Lebensstilen zu denken und zu praktizieren“, s o die Künstlerin. Das mumok freut sich, neben der ersten musealen Einzelpräsentation Ulrike Müllers auch eine von der Künstlerin gemeinsam mit mumok Kuratorin Manuela Ammer zusammengestellte Sammlungsausstellung zu zeigen, in der Werke der klassischen Mo derne in einen Dialog mit Werken der jüngeren Vergangenheit treten.
Müllers Personale im mumok zeigt eine malerische Praxis, die sich nicht über Technik definiert, sondern bewusst Medien und Formate sucht, die Verbindungen zu anderen Lebens - und Produktio nsbereichen herstellen. So führt die Künstlerin ihre Kompositionen etwa in Emaille aus, die sowohl bei der kommerziellen Schilderherstellung wie bei der kunsthandwerklichen Fertigung von Schmuck Verwendung findet. Auch in textile Objekte wie Quilts oder Te ppiche hat sie ihre Entwürfe übersetzt. Müllers malerische Produktion stellt sich außerkünstlerischen Standards und Fertigungsweisen: In den Emaille - Bildern lotet sie die Möglichkeiten einer industriell produzierten Farbpalette aus ; ihre Teppiche greifen a uf die traditionellen Kenntnisse von Weber_innen in Oaxaca, Mexiko zurück , die Müllers Entwürfe umsetzen . Die gezielte Konfrontation mit dem „Anderen“ – mit vermittelnden und regulierenden Instanzen – wirft die Frage nach der „künstlerischen Hand“ auf: dan ach, wie Bilder innerhalb eines solchen Setups „expressiv“ werden , wie subjektiver Ausdruck ins Spiel kommt .
Expressivität in den Zwischenräumen – Müllers performativer Umgang mit Figur und FormDie eigens für die Personale im mumok entstandenen Teppich e, Papierarbeiten, Emaille - und Leinwandbilder machen anschaulich, dass Müller Expressivität in den Zwischenräumen verortet: Ihr Umgang mit Form und Figur ist ein performativer. Kippeffekte, Verschiebungen und Umkehrungen aktivieren das Verhältnis zwischen den Elementen einer Komposition, zwischen den Arbeiten einer Gruppe, zwischen verschiedenen Techniken und Medien – und zwischen Betrachter_in und Werk. In der neuen Gruppe von Emaille - Bildern mit dem Titel Others (2015) beispielsweise tauchen drei Kreise in Rot, Schwarz und Grün , die sowohl als Bestandteile einer Blumenvase wie als abstrakt - geometrische Formen gelesen werden k önnen, noch einmal als Dreiecke auf . Diese wiederum sind in einem weiteren Bild in ihren Komplementärfarben Blau, Weiß und Orange z u finden und setzen darüber hinaus auch auf die Teppiche über. Dort treffen sie auf das Motiv der aus dem Bild blickenden Katze, das die Betrachter_innen auf besonders nachdrückliche Weise in die instabilen Verhältnisse von Form und Figur, von Figur und Gr und, von Abstraktion und Figuration verstrickt: „Nicht oft taucht in der jüngeren Malerei eine Figur auf, die mit geometrischen Formen oder Farbfeldern die Plätze tauscht, so als ob Figur und Form variable Elemente einer Komposition wären“, so Rachel Haidu in ihrem Katalogbeitrag. Das Motiv der Katze, das mit den geometrischen Elementen der Teppiche buchstäblich verwob en ist, veranlasst einen Blickwechsel, in dem Subjekt und Objekt – Betrachter_in und Betrachtetes – momenthaft die Plätze tauschen. Das „Ande re“ wird zum Katalysator einer Malereipraxis, die auf das politische Potenzial des geteilten und nicht regulierten Dazwischen setzt.
Ein an feministischen und queeren Praxen geschulter MalereibegriffMüllers programmatisch offener Malereibegriff erklärt sich von ihrer künstlerischen Praxis „außerhalb“ des Bildes her: Sie ist Mitglied des q ueer - feministischen New Yorker Kollektivs LTTR und initiierte einen Aktzeichenklub für Künstler _i nnen, Friends of the Fine Arts, in dem der körperliche Akt des kollekti ven Posierens ebenso zentral war wie das gemeinsame Zeichnen. Auch das Ausstellungs - und Publikationsprojekt Herstory Inventory, in dem Künstler_innen aufgefordert waren, basierend auf einer Inventarliste der Lesbian Herstory Archives in Brooklyn, New York , Bilder aus der Geschichte des lesbischen Feminismus für die Gegenwart zu aktualisieren, geht auf ihre Initiative zurück.
Vor diesem Hintergrund ist Müllers Auseinandersetzung mit der Formensprache modernistischer Abstraktion auch und vor allem eine Aus einandersetzung mit Körperpolitiken: mit den Logiken der Repräsentation und Reproduktion, denen Körper unterworfen sind und – entscheidender – die sie selbst zu entwerfen imstande sind. Indem die Künstlerin ihre Bilder nicht fixiert, sondern sehr präzise b estimmten Materialien und Kontexten öffnet, provoziert sie neue Allianzen und Verbindungen: „Es geht nicht darum, etwas Neues zu schaffen. Es geht um die Ermächtigung vermeintlich ‚unmöglicher‘ Subjektpositionen und darum, Begehren zu aktivieren, das durch standardisierte Erfahrungsmuster verschüttet wurde.“ (Müller)
Die Sammlungspräsentation Always, Always, OthersParallel zu und in Verbindung mit ihrer Einzelpräsentation verantwortet Ul rike Müller gemeinsam mit mumok Kuratorin Manuela Ammer die Neuaufste llung der Werke der klassischen Moderne aus der Sammlung – eine Sammlung, die weitaus vielfältiger ist, als vergangene Präsentationen dies vermuten lassen. Neben oft gezeigten Positionen wie André Derain, Oskar Kokoschka oder František Kupka finden sich da rin beispielsweise Werke des ungarischen Künstlers Béla Kádár, der Abstraktion und eine folkloristisch anmutende Formensprache verknüpfte, des französischen Künstlers André Beaudin, dessen Tierdarstellungen die Formelhaftigkeit des Kubismus unterliefen , od er der in Wien beheimateten Künstlerinnen Mathilde Flögl und Friedl Dicker, deren Arbeit en im Bereich der angewandten Kunst soziale und politische Realitäten gestalten wollten. Die klassische Moderne im mumok ist vielstimmig.
Um diese Vielstimmigkeit zum Sprechen zu bringen , inszenieren die Kuratorinnen einen Dialog mit einem weiteren selten gezeigten Sammlungsbereich : den eklektischen 1970er - Jahren, deren alternative Körperbilder und Identitätsentwürfe die klassische Moderne plötzlich erstaunlich „unklas sisch“ und verblüffend aktuell erscheinen lassen. Werke der österreichischen Künstler_innengruppe Neue Wirklichkeiten, der Chicago Imagists, des Pattern and Decoration Movement sowie der Gugginger Gruppe stellen auf je unterschiedliche Weise die Frage nach dem „Anderen“ in der Kunst – nach Geschlechterverhältnissen, Populärkultur, Autodidaktik und Handwerk. Sie eröffnen einen Blick, der auch die klassische Moderne als eine Formation von Suchbewegungen ausweist, die maßgeblich vom „Anderen“ bestimmt ist.
Vielstimmigkeit zwischen Abstraktion und FigurationVier Gruppierungen deuten die vielen Zwischentöne an, die zwischen Abstraktion und Figuration liegen: Textil und Tektonik fokussiert auf die stofflichen Dimensionen des Bildkörpers, auf Malerei als Masker ade, als Be - /Verkleidung und als Dekor. Folklorismen fragt nach den Zusammenhängen von Avantgarde und Kreativität als anthropologischer Konstante – das Lokale, das Populäre und das Naive als affektiver Bezugsrahmen. Die Gruppe der Metamorphosen widmet sich dem Spiel mit Ambiguitäten und Zwischenzuständen: Tiere und Landschaften erweisen sich als Motive des Wandels, die auch Material und Form in Bewegung versetzen. Körper unter Druck schließlich befasst sich mit dem Verhältnis des Individuums zu gesellschaft lichen Normen – mit der Spannung, die entsteht, wenn Figur und Struktur miteinander in Konflikt geraten.
Die Titel beider Ausstellungen nehmen Bezug auf die Zeitschrift Others: A Magazine of New Verse , die von 1915 bis 1919 erschien und Gedichte und Text e von Autor_innen wie Djuna Barnes, T.S. Eliot, Mina Loy, Marianne Moore, Ezra Pound und Man Ray veröffentlichte. Others verstand sich als eine experimentelle Plattform, die programmatisch das gesellschaftliche und künstlerische Innovationspotenzial des „ Anderen“ behauptete: vom freien Vers bis hin zu feministis chen und queeren Perspektiven.
KatalogUlrike Müller Always, Always, Others H erausgegeben von Manuela Ammer und Dancing Foxes Press . Mit einem Vorwort von Karola Kraus und Textbeiträgen von Manuela Ammer, Rachel Haidu und Ulrike Müller. Deutsch - englisch, ca. 80 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen. Ausstattung: Softcover . Dancing Fox es Press, Brooklyn/NY.