Die seit alters freundschaftlichen Beziehungen des Kunsthistorischen Museums zu den Florentiner Galerien machen es möglich, ein spätes Werk des Barockmalers Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio (1571−1610), in Wien zu zeigen: Es handelt sich um den berühmten »Schlafenden Cupido« aus der Galleria Palatina (Palazzo Pitti).Der Liebesgott Amor wird seit der Antike in der Gestalt eines kleinen, mit Pfeil und Bogen bewaffneten Knaben wiedergegeben. Darstellungen dieser Art sind auch als Cupido bekannt (lat. für »Begierde«). Dass die Begierde als kleines Kind verkörpert wird, ist kein Zufall, drückt sich darin doch das Spielerische, Unüberlegte und Zufällige aus, das häufig mit dem Gefühl des Begehrens und der Liebe verbunden ist. Wen der Knabe mit seinen Liebespfeilen trifft, der ist unwiderruflich ein Opfer seiner Gefühle. In den Bildkünsten wird die Begierde also häufig als Gefühlsregung inszeniert, die zwischen einem unfreiwillig ausgelösten, gefährlichen Gemütszustand, vor dem kein Entkommen ist, und den positiven Wirkungen des Begehrens und Liebens changiert. Das eigentlich Originelle des Florentiner Werkes besteht darin, dass Caravaggio den kleinen, die Liebesregung verkörpernden Götterknaben im Zustand des Schlafens zeigt. Das Gefühl der Liebe ist also erloschen, oder noch nicht erwacht.
Als besondere Gelegenheit ist das Gemälde anlässlich seiner Ausstellung in Wien auch von der Rückseite zu bestaunen. Die Leinwand trägt dort eine Inschrift, die das Werk in das Jahr 1608 datiert. Damit ist Caravaggios »Amor« eine spannende Ergänzung zu den wohl früher entstandenen Gemälden der Wiener Galerie.
Der dem Malteser-Ritterorden angehörende Literat Fra Francesco Buonarroti, ein Großneffe des berühmten Malers und Bildhauers Michelangelo (1475−1564), belegt in einem Brief nicht nur den Transport des Werkes von Malta nach Florenz, sondern auch den prominenten Auftraggeber: Es handelt sich um Fra Francesco dell’Antella, den Sekretär des Großmeisters der Malteser. Er ließ das Gemälde kurz nach dessen Entstehung von Malta nach Florenz transportieren, wo er es spätestens ab 1611 stolz in Künstler- und Literatenkreisen präsentierte.
Der auf seinen Flügeln und seinem Köcher ruhende Amor ist, neben den Porträts von zwei prominenten Maltesern, das einzige nicht religiöse Bild aus der Zeit Caravaggios auf der Mittelmeerinsel. Kurz nach Vollendung des Werkes wurde der Künstler, der wegen einer tätlichen Auseinandersetzung, bei der sein Gegner zu Tode kam, aus Rom hatte fliehen müssen, nach einem weiteren handgreiflichen Streit eingekerkert. Er konnte zwar aus dem Gefängnis nach Sizilien entfliehen, wurde jedoch in Abwesenheit aus dem Malteser-Orden ausgeschlossen.
Caravaggios »Amor« wird oft mit einer verschollenen Skulptur Michelangelos in Verbindung gebracht, die ebenfalls einen Cupido zeigte. Daraus und aus der dramatischen Lichtregie des Gemäldes haben sich seither religiöse wie profane Deutungsversuche der rätselhaften Darstellung des schlafenden Knaben ergeben. Sie bewegen sich zwischen der Rezeption antiker Quellen, also mythologischer Inhalte, Verweisen auf die Passion Christi – was auch für Michelangelos Skulptur zutreffen mag – und sogar den in Renaissance und Barock beliebten Anspielungen auf die Vergänglichkeit des irdischen Lebens (Tanitas).