"Geniale Dilletanten", so wurde 1981 ein Konzert im Berliner Tempodrom angekündigt. Dieser absichtlich falsch buchstabierte Titel steht für die kurze Epoche eines vehementen künstlerischen Aufbruchs in Deutschland zwischen 1979 und 1984. Meist ausgehend von Kunsthochschulen, formierten sich in vielen deutschen Städten subkulturelle Szenen, die mit brachialem Lärm, provokanten Super-8-Filmen, billig zusammenkopierten Fanzines, selbst produzierten Samplern, Design jenseits von ‚Geschmack‘ und einer neuen, wilden figurativen Malerei und Skulptur gegen den herrschenden Zeitgeist in Deutschland opponierten. Es ging nicht um technische Perfektion, sondern um Ausdruck; nicht um Können, sondern um künstlerische Wucht. Mit der gleichen Vehemenz, die sich gegen die offizielle Politik und das Erbe der 68er-Generation richtete, erprobten die Akteure die Möglichkeiten einer Totalopposition. Lautstarker Protest und gezielte Provokation verhalf dieser künstlerischen Altnativszene auch international zu Anerkennung, bevor sie als "Neue Deutsche Welle" im Kommerz versandete.Die große Bandbreite der Subkultur wird in der Ausstellung durch Filme, Kunst, Design, Mode und das Schaffen von sieben Musikbands veranschaulicht:
• "Einstürzende Neubauten" erforschte mit einem aus Schrott und Alltagsgegenständen zusammengestellten Instrumentarium die Grenzen zwischen Musik und Lärm
• "Die Tödliche Doris" experimentierte mit Musik, Film, Fotografie, Objektkunst und Malerei
• "Der Plan" ging aus einer Galerie hervor, die Mitglieder traten mit surrealen Kostümen und ironisch-sarkastischen Texten auf
• "Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.)" formierte sich 1980 und verweigerte sich der Forderung nach ‚Authentizität‘ so konsequent, dass sie zunächst nicht einmal auftreten wollten, höchstens hinter Vorhängen oder Plastikfolien • "Palais Schaumburg" kombinierte Synthesizer und Sampler mit Trompete und skurril-atonal vorgetragenem Gesang • "Ornament und Verbrechen": Die Ost-Berliner Künstler und Musiker dieser Band waren durch Jazz, Industrial und elektronische Musik beeinflusst
• Das Duo "Deutsch Amerikanische Freundschaft (D.A.F.)" verschmolz provokative Texte mit harten Schlagzeug-Beats, Synthesizer-Effekten und einer Bühnenshow zwischen Ekstase und Krawall
Ihren Anspruch, einen radikalen Bruch mit dem Mainstream herbeizuführen, untermauerten die Bands mit dem bewussten Verzicht auf virtuoses Können. Den Musikern und Musikerinnen war es wichtig, sich von herkömmlichen Rockbands abzugrenzen. „Keine schwitzenden Musiker auf der Bühne, nicht die eigene Befindlichkeit zelebrieren, keine Texte über das Innenleben der Mitglieder", so die Maxime von F.S.K.
Die Akteure dieser Bewegung trafen sich in Clubs und Treffpunkten wie dem „Ratinger Hof" (Düsseldorf), dem Plattenladen „Rip Off" (Hamburg), dem „Kumpelnest", dem „SO36" und dem „Risiko" (Berlin) oder dem Friseurladen „Penny Lane" (Köln), um Musik zu hören oder zu spielen, zu trinken und zu tanzen oder neue Ideen zu entwickeln. Mit Video- und Fotomaterial sind die Konzerte, Treffen und Aktionen dokumentiert, z.B. auch die erschwerten Umstände, unter denen "Ornament und Verbrechen" in Ost-Berlin auftrat: ohne Genehmigung und unter wechselnden Decknamen. Ihre Piratengigs fanden bei Kunstevents, Lesungen oder auch Veranstaltungen der FDJ statt. Das filmische Super-8-Dokument ihres allerersten Konzerts wurde eigens für die Ausstellung restauriert.
Zeitgleich brachten Rainer Fetting, Salomé, Markus Oehlen und Jörg Immendorff in ihrer Malerei die enge Verbindung der Musik- und Clubszene mit der Kunstszene zum Ausdruck. Markus Oehlen war selbst auch Musiker und Kassetten-DJ im Ratinger Hof. Die Maler griffen kreativ ins Geschehen ein und machten sich auch unwirtliche Räume zunutze, um der Musik mit bildnerischen Mitteln Geleichwertiges entgegenzusetzen. Bernd Zimmer malte in nur drei Tagen sein Stadtbild von der Warschauer Brücke. Das dreiteilige, 28 Meter breite Werk zeigt den Ausschnitt eines vorbeifahrenden S-Bahn-Zuges. Zimmer konfrontierte am 25. Oktober 1978 im SO36 ein nicht unbedingt an Malerei interessiertes Publikum damit. Schon am nächsten Tag war das Bild wieder abgehängt. Es war von den Beiträgen, mit denen Maler die Nähe der Musikszene suchten, der spektakulärste. Die Präsentation des Bildes im Haus der Kunst erstreckt sich über die Wände von zwei Räumen.
Helmut Middendorf, Walter Dahn und Elvira Bach stillten ebenfalls den damaligen „Hunger nach Bildern" und bezogen sich direkt auf das Musikgeschehen und einzelne Bühnenperformances. Gemeinsam mit Hörbeispielen, Magazinen und Plakaten sind diese Gemälde Teil der Werkauswahl.
Ein eigens produzierter Interviewfilm bietet Einblick in die Netzwerke und die zeitlich parallele Entwicklung in Kunst, Film, Mode und Design. Interviewt wurden u.a. Musiker der Bands, Künstler, Plattenladenbesitzer, Filmemacher, Produzenten, Designer, Modemacher und Fotografen.
"Geniale Dilletanten" ist als Tourneeausstellung des Goethe-Instituts konzipiert und wird für die Präsentation im Haus der Kunst stark erweitert.
Eine Kooperation mit dem Goethe-Institut. Idee und Konzept: Leonhard Emmerling und Mathilde Weh. Kuratiert von Mathilde Weh und Ulrich Wilmes, mit Aline Fieker.
Der Katalog erscheint bei Hatje Cantz, mit Beiträgen von Mathilde Weh, Diedrich Diederichsen, Leonard Emmerling, Ulrich Wilmes, Florian Wüst u.a. „Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland", 144 Seiten mit 80 Farbabbildungen, Deutsch/Englisch. Broschiert, 21 x 28 cm, 30 € [D] ISBN 978-3-7757-4034-0