Die japanische Kunst ist für die Entwicklung der Moderne von grundlegender Bedeutung. Nahezu alle grossen Meister der französischen Malerei haben sich von japanischen Bildmotiven und Stilmitteln begeistern und inspirieren lassen: Sie stellten aus Japan importierte Kunst in ihren Werken dar, interpretierten japanische Bildsujets und verinnerlichten die Bildsprache des japanischen Holzschnitts. Dieser schöpferische Prozess wirkte weit ins 20. Jahrhundert hinein. Im Fokus der Ausstellung steht der Zeitraum zwischen 1860 und 1910, der Anfangs- und der Hochphase des «Japonisme» in Frankreich. Gemälde und Druckgrafiken der wichtigsten Künstler jener Zeit stehen im Dialog mit Farbholzschnitten und kostbaren Kunstgegenständen japanischer Meister. Reisefotografien, Gefässe, Kimonos, Fächer und Bücher aus weltbekannten Sammlungen wie dem Van Gogh Museum Amsterdam, Metropolitan Museum of Art, Musée d’Orsay, State Pushkin Museum, der Tate, der Stiftung Sammlung E. G. Bührle und dem Tehran Museum of Contemporary Art bilden eine Brücke von der Kunst zum Design, vom Rituellen zum Alltäglichen.
DARSTELLUNG, ÜBERTRAGUNG, VERINNERLICHUNGDer «Japonisme» steht für eine geradezu manische Leidenschaft für die japanische Kunst und Kultur, die sich nach der im Jahre 1854 von den Amerikanern erzwungenen Öffnung Japans in Frankreich zu manifestieren begann. Drei verschiedene Arten der künstlerischen Beschäftigung mit Japan werden vorgestellt: die Darstellung japanischer Gegenstände und Motive in den Werken westlicher Künstler, die Übertragung und Interpretation japanisch inspirierter Bildthemen und Formen sowie die Verinnerlichung japanischer Stilmittel und Techniken.
FRAUEN, BERGE, BLUMEN UND DAS MEERSo zeigt sich die damalige Begeisterung für Japan einmal darin, dass die Künstler aus Japan importierte Kunst, Objekte und Blumen in ihren Gemälden darstellten oder, wie van Gogh, japanische Farbholzschnitte in die Malerei übertrugen. Ihre Art der Darstellung bleibt dabei der europäischen Tradition verpflichtet. Die fremden Sujets und Kompositionselemente der japanischen Holzschnitte zeigten ihnen eine Alternative zu der bislang in der europäischen Kunst gültigen Ästhetik auf. Die Auseinandersetzung mit der raffinierten, hochentwickelten Bildwelt des japanischen Holzschnitts inspirierte die Künstler dazu, für die Darstellung ihrer eigenen Lebenswelt neue Bildformen zu erproben und Entsprechungen für den Reichtum und die Strenge der japanischen Vorbilder zu entwickeln. Sie adaptieren japanische Bildthemen für ihre eigenen Werke (wie Frauen bei der Toilette, Wellen oder Felsen im Meer). Inspiriert von der seriellen Darstellung eines Motivs (Berg Fuji, Brücken, Wasserfälle u. a.) im Werk von Katsushika Hokusai oder Utagawa Hiroshige begannen Künstler wie Gustave Courbet, Claude Monet, Paul Cézanne und Henri Rivière ebenfalls, ein und dasselbe Sujet unablässig darzustellen und im Falle Courbets und Monets auch als Serie auszustellen.
KOMPOSITIONSMITTEL NEU INTERPRETIERTZu den wichtigsten Kompositionsmitteln, die im Westen neu interpretiert wurden, zählen die flächenhafte Gegenüberstellung von Vorder- und Hintergrund, die steile Auf- oder Untersicht, die Beschneidung der Hauptmotive durch den Bildrand, diagonale Bildelemente, die Vereinfachung der Formen durch grosse, kompakte Farbflächen und betonte Konturen, die asymmetrische Anordnung der Bildelemente, eine dekorative Anlage des Bildraumes sowie extrem vertikale oder horizontale Formate. Viele Künstler bewunderten die leuchtend kräftigen, höchst nuancierten Farben der Holzschnitte und übernahmen sie, wie etwa Vincent van Gogh. Auffällig ist, dass die Bildästhetik des japanischen Farbholzschnittes zunächst auf die Malerei angewandt und erst von der nachfolgenden Künstlergeneration auch in die Grafik übernommen wurde. Insbesondere Toulouse-Lautrec, Rivière, Cassatt und Vallotton verhalfen den Drucktechniken in der Orientierung an den japanischen Vorbildern zu neuem Ansehen. Monet schliesslich gestaltete 1893 seinen Garten in Giverny mit Seerosenteich und Brücke nach japanischen Farbholzschnitten. Auch die Bepflanzung war fernöstlich inspiriert: es wuchsen Schwertlilien, Glyzinien, Azaleen und Chrysanthemen. Hier entstanden die Seerosenbilder, die zu den Meisterwerken des frühen 20. Jahrhunderts zählen und nachfolgende Künstlergenerationen geprägt haben. Sie wären ohne die Auseinandersetzung mit der japanischen Kunst nicht denkbar. Entsprechende Bildthemen oder Stilmittel lassen sich zwar auch in der früheren europäischen Kunst finden, doch da die Holzschnitte und Alben in Frankreich omnipräsent waren, kommt den Japanern die Impuls gebende Rolle als «Augenöffner» zu.
WERTVOLLE OBJEKTE VON KÜNSTLERN SELBST GESAMMELTFast alle Künstler, die sich von der fernöstlichen Bildwelt und Formensprache inspirieren liessen, sammelten selbst Kunst aus Japan, insbesondere Farbholzschnitte des «ukiyo-e». Diese waren damals für wenig Geld erhältlich – heute werden sie als Meisterwerke ihrer Zeit für hohe Summen gehandelt. Einige der in der Ausstellung gezeigten japanischen Farbholzschnitte stammen denn auch aus Künstlersammlungen des 19. Jahrhunderts. Parallel zur bildenden Kunst übernahm auch die angewandte Kunst Anregungen von importierten Keramiken, Lackobjekten, Fächern und Wandschirmen. Nicht nur Künstler wie Émile Gallé, François-Eugène Rousseau, Jean Carriès oder Paul Jeanneney schöpften daraus Inspiration für Motivik und Form, sondern auch Edgar Degas, Pierre Bonnard, Maurice Denis, Félix Vallotton und Auguste Rodin. Auch was das Arbeiten mit bislang eher vernachlässigten Materialien wie dem Steinzeug in der angewandten Kunst angeht, spielte Japan im Werk von Künstlern wie Jean Carriès und Paul Jeanneney als Stimulus eine zentrale Rolle.
ERSTE AUSSTELLUNG SEIT 45 JAHRENEin erst seit wenigen Jahren in den Fokus der europäischen Kunstgeschichte gerücktes Thema ist dasjenige des «erotischen Japonisme», dem in dieser Ausstellung in Gestalt einer Gegenüberstellung von hocherotischen «shunga» (Frühlingsbildern) und Pablo Picassos Druckgrafik Platz eingeräumt wird. Der Grossteil der gezeigten japanischen Objekte stammt aus dem Museum Folkwang in Essen – ein Bestand, der fast gänzlich unbekannt ist. Ein Blick in die Ausstellungsgeschichte des Kunsthaus Zürich zeigt, dass man sich schon sehr früh mit japanischer Kunst beschäftigt hat. Wilhelm Wartmann, der erste Direktor, zeigte bereits 1928 japanische Holzschnitte aus der Sammlung Willy Boller aus Baden. Im darauffolgenden Jahrzehnt wurden weitere kostbare Blätter aus der Sammlung von Alfred Baur und erneut aus der Sammlung Boller präsentiert. Die letzte Ausstellung mit Kunstschätzen aus Japan wurde 1969 von Direktor René Wehrli im Kunsthaus Zürich organisiert, in der neben Skulpturen, Keramiken, Gewänder und Masken des No-Theaters auch Hängerollen, Wandschirme und Lackobjekte aus öffentlichen und privaten japanischen Sammlungen zu sehen waren. Fünfundvierzig Jahre sind vergangen, seit im Kunsthaus Zürich Werke aus dem Fernen Osten zu sehen waren. Und während die Meisterwerke der eigenen Sammlung in Tokyo und Kobe ausgestellt werden, begegnet ein an Kunst, Design und Gesellschaft interessiertes Publikum in Zürich nie gezeigten Arbeiten berühmter Künstler dieses Kulturkreises.
FÜHRUNGEN, AUDIOGUIDE AUCH FÜR KINDER UND KONZERTÖffentlichen Führungen: Mittwochs und donnerstags 18 Uhr, freitags 15 Uhr und sonntags 11 Uhr. Japanische Führung: Samstag, 28. Februar, 13 Uhr. Private Führungen auf Anfrage. Kindern steht ein eigener Audioguide zusammen mit einem Malbogen und Stiften zur Verfügung. Ein Konzert des Zürcher Kammerorchesters mit Werken von Debussy, Ravel u.a. findet am 26. April um 11 Uhr statt. Tickets: zko.ch.
REICH BEBILDERTER KATALOGDie Ausstellung wird von einem Katalog in Deutsch und Englisch begleitet (Steidl Verlag, 376 S., zahlreiche Abb.). Mit Essays von Geneviève Aitken, Christoph Dorsz, Sandra Gianfreda, Claire Guitton, Gregory Irvine, Peter Kropmanns, Michiko Mae, Ursula Perucchi-Petri, Belinda Thomson und weiteren Texten. Erhältlich am Kunsthaus-Shop für CHF 45.-.
Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Museum Folkwang, Essen und wurde von Sandra Gianfreda konzipiert. Unterstützt durch die Truus und Gerrit van Riemsdijk Stiftung und weitere Gönner.
EINTRITT INKLUSIVE AUDIOFÜHRUNG IN VIER SPRACHENKunsthaus Zürich, Heimplatz 1, CH–8001 Zürich, Tel. +41 (0)44 253 84 84, www.kunsthaus.ch.
Fr–So/Di 10–18 Uhr, Mi/Do 10–20 Uhr.Feiertage: Ostern 3.–6. April, 1. Mai: 10–18 Uhr.
Eintritt Ausstellung inkl. Audioguide d/e/f/i: CHF 22.-/ 17.- reduziert und Gruppen. Kombiticket inkl. Sammlung: CHF 27.–/20.– reduziert und Gruppen. Bis 16 Jahre gratis.
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