1873 wurde…
1873 wurde…
1873 wurde für die Stadt zum entscheidenden Schwellenjahr. Wie der Bau der Ring- straße, symbolisierte die Weltausstellung den Ehrgeiz Wiens, internationale Bedeutung zu erlangen. Sie war die erste globale Leistungsschau, die nicht in London oder Paris stattfand, und man protzte mit Superlativen: Fünfmal größere Fläche als zuvor in Paris, 53.000 Aussteller aus 35 Ländern, 194 Pavillons in extravaganten Baustilen, dazu der Industriepalast mit der 85 Meter hohen Rotunde, damals der größte Kuppelbau der Welt und neues Wahrzeichen für Wien, sowie eine 800 Meter lange Maschinenhalle. Über sieben Millionen BesucherInnen kamen vom 1. Mai bis zum 2. November, doch die Zie- le wurden nur zum Teil erreicht. 1873 war auch das Jahr des großen Börsenkrachs, mit dem eine Phase des Wirtschaftsbooms und des Fortschrittsoptimismus jäh zu Ende ging.
Die Ausstellung im Wien Museum erzählt von großen Bauprojekten und sozialen Auf- steigern der Gründerzeit, von sozialem Elend, Migration und dem Anfang der Massen- parteien, von der Beschleunigung der Mobilität und dem Fortschritt in Medizin und Technik, von den Moden der Zeit und einer Hochblüte der dekorativen Künste. Ein überwiegender Teil der rund 1000 Exponate stammt aus der Sammlung des Wien Mu- seums. Im Zentrum steht der umfangreiche Bestand der Wiener Photographen-Asso- ciation von über 1600 Fotos, von denen viele gezeigt werden. Zu sehen sind auch zahl- reiche Originalobjekte, die auf der Weltausstellung 1873 präsentiert wurden. Die Schau ist nach „Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war“ (2004) und „Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930“ (2009) das letzte Ausstellungs-Großprojekt von Wolfgang Kos im Wien Museum, dessen Direktionszeit nächstes Jahr zu Ende geht.
Ein „Fest des Fortschritts“: Wie es zur Weltausstellung kam 1867 war ein Wendejahr: Nach katastrophalen Jahren erholte sich die Wirtschaft schlagartig. Eine „Wunderernte“ eröffnete Exportchancen, mit der Staatsreform, aus der die Doppelmonarchie resultierte („Ausgleich“ mit Ungarn), stellte man die Handels-, Zoll- und Steuerpolitik auf eine neue Grundlage. Als Motoren des Aufschwungs fungier- ten Eisenerzeugung, Maschinenindustrie und Baubranche. Wien etablierte sich als Fin- anzplatz, bis 1873 schossen unzählige, teils dubiose Aktiengesellschaften aus dem Boden.
Diese „fetten“ Jahre boten die Gelegenheit, um einen von Industriellen, Gewerbetrei- benden und Handelspolitikern sowie von Befürwortern einer Kunstgewerbereform lange gehegten Plan in die Tat umzusetzen: eine Weltausstellung in Wien. Seit der „Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations“ in London 1851 hatte es drei weitere Weltausstellungen (1855 und 1867 in Paris, 1862 in London) gegeben. Diese „Feste des Fortschritts“ fungierten nicht nur als Plattform für den globalen Wissensaustausch zwischen Ingenieuren und Fabrikanten, sondern boten der bürgerlichen Gesellschaft und dem Gastgeberland eine ideale Bühne für Selbstinszenierung und Imagegewinn. Das gründerzeitliche Wien befand sich „auf der Überholspur“ und beabsichtigte, sich der Welt gleichsam im Laborbericht als moderne Großstadt auf dem Weg zur Metropole zu präsentieren.
Erst 1870 – also knapp drei Jahre vor Eröffnung – erließ Kaiser Franz Joseph eine aller- höchste Entschließung zur Abhaltung der Weltausstellung, gegen den Widerstand der Gemeinderäte, der kommunalen Behörden sowie des Wiener Bürgermeisters Cajetan Felder, der vor zu hohen Kosten warnte. Noch war der Einfluss der Kommunalpolitik begrenzt, doch mit dem Ende des neoabsolutistischen Regimes ab den 1860er Jahren erweiterte sich deren Spielraum. Zum weithin sichtbaren Symbol des gestiegenen Selbstbewusstseins der Kommune gegenüber dem Kaiserhaus wurde das monumen- tale neue Rathaus, mit dessen Bau 1873 begonnen wurde.
Die Stadt als BaustelleDie Kommunalpolitiker der liberalen Ära stellten die Weichen für eine technische Infra- struktur, die zur Voraussetzung des ökonomischen Aufschwungs wurden und die Stadt radikal veränderte. Dazu zählte etwa die Donauregulierung, die aufgrund des Hoch- wasserschutzes, aber auch wegen der Stadterweiterung in Angriff genommen wurde. Vom Näherrücken der Donau an die Stadt mittels eines Durchstichs erwartete man sich Handels-, Gewerbe- und Verkehrsvorteile, die Donau sollte zur Wasserstraße werden. Die Idee, den Hauptstrom in ein einheitliches und geradliniges Bett zu fassen, war nicht neu. Doch erst jetzt, mithilfe neuer Dampfmaschinen, konnte dieser Plan innerhalb weniger Jahre – von 1869 bis 1875 – ausgeführt werden.
Das teuerste städtische Infrastrukturprojekt war der Bau der Ersten Hochquellenwas- serleitung (1870-73), die alpine Quellen aus dem Rax-Schneeberg-Gebiet für die Millionenstadt erschloss. Aufgrund von Planungsfehlern sowie rasant steigendem Was- serbedarf kam es jedoch in Folge immer wieder zu Wassermangel. Neben der Wasser- ver- und -entsorgung wurde ein weiteres hygienisches Problem angegangen: Wie die gesamte Stadt mussten auch die ‚kommunalen‘ Friedhöfe zur Jahrhundertmitte drin- gend erweitert werden. 1863 beschloss der Gemeinderat eine zentrale Planung, elf Jahre später wurde der Zentralfriedhof in Simmering offiziell eröffnet. Zur „Begräbnis- frage“ gehörten technische, religiöse und kulturelle Aspekte, die in Wien kontrovers diskutiert wurden.
Nicht zuletzt erlebte das Verkehrswesen in Wien einen tiefgreifenden Wandel: Um 1870 wurden vier der sechs großen Gründerzeit-Bahnhöfe gebaut (Südbahnhof, Nordwest- bahnhof, Franz-Josefs-Bahnhof, Staatsbahnhof (der später Ostbahnhof)), innerhalb von sechs Jahren entstanden fünf Brücken über die neu regulierte Donau, u. a. die Kaiser- Franz-Josefs-Brücke (Floridsdorfer Brücke) sowie die Kronprinz-Rudolf-Brücke (Reichs- brücke). Die Gemeinde ließ aus Anlass der Weltausstellung außerdem Brücken über den Donaukanal und den Wienfluss renovieren oder neu bauen. Nicht als Aufgabe der Kommune sah man den Ausbau des öffentlichen Verkehrs an, den man privaten In- vestoren überließ: Bis 1873 entstand ein Tramway-Grundnetz mit den Ringlinien und ersten Verbindungen in die Vororte, wobei die Züge noch von Pferden gezogen wurden. Auch der Wohnungsmarkt kümmerte die Kommunalpolitik wenig, der freie Markt hatte zur Folge, dass die Stadterweiterung an der Peripherie von „amerikanischer“ Rasterbe- bauung geprägt wurde (Stichwort „Zinskasernen“). Angesichts hunderttausender Ar- beitsmigranten und galoppierender Lebenshaltungskosten verschärften sich das Wohn- ungsproblem und das soziale Elend rasant.
Boulevard der großen Ambitionen: Die RingstraßeNeben der Weltausstellung selbst ist die Ringstraße ein zentrales Thema der Aus- stellung. 1857 hatte der Kaiser den Abbruch der Stadtmauern und die Verbauung des Glacis angeordnet, ein Jahr später brachte ein internationaler Städtewettbewerb den „Grundplan“ hervor, der als Leitbild die wichtigsten Monumentalbauten, Grünflächen, Sichtbezüge und Plätze festlegte. Die Ringstraße war ein staatlich gelenktes, zentralistisches Großprojekt. Die Oberaufsicht lag beim Innenministerium, die Gemeinde Wien war zum Zuschauer degradiert, musste aber das neue Straßen- und Kanalnetz finan- zieren. Der Bau von „Neu-Wien“ wurde zu einem Konfliktfeld zwischen Kaiserhof, Re- gierung, Militärverwaltung und Kommune. Kompromisse wurden unter anderem durch die unentgeltliche Überlassung von Grundstücken für Stadtpark und Rathausplatz er- zielt. Mit den Erlösen aus dem Verkauf von Grundstücken an Private konnte der Staat Repräsentationsbauten wie die Oper finanzieren.
Am 1.Mai 1865 wurde die Ringstraße feierlich eröffnet – obwohl ein Großteil des Boule- vards noch unbebaut und erst in Planung war. Am Opern-, Kärntner- und Schubertring standen allerdings schon größtenteils bewohnte Gebäude, der Wirtschaftsboom führte bis 1873 zu weiterer intensiver privater Bautätigkeit. Aus Lehm wurde „Gold“, wie die Karriere des Ziegelfabrikanten Heinrich Drasche veranschaulicht, der 1869 die Aktien- gesellschaft „Wienerberger“ gründete, dadurch zum reichsten Mann Wiens aufstieg und gegenüber der Oper den riesigen Heinrichhof als Wohnpalast neuen Typs errichten ließ.
1873 waren die wichtigsten öffentliche Bauten bereits in Bau oder in Diskussion, etwa das neue Rathaus, das Parlament oder die Museen. Wiens führende Architekten wie Heinrich Ferstel, Theophil Hansen und Friedrich Schmidt planten die ersten Hauptwerke des „Wiener Stils“, eine besonders reiche Variante der Neorenaissance, die interna- tional Furore machte.
Eine Stadt in der Stadt: Die WeltausstellungNach dem kaiserlichen Beschluss zur Ausrichtung der Weltausstellung entstand in kür- zester Zeit eine eigene Planstadt gewaltigen Ausmaßes im Wiener Prater (als Alter- native dazu war auch der Platz des heutigen Rathauses in Diskussion), was angesichts dessen Entfernung beachtliche Kosten verursachte. Denn es wurden nicht nur gigan- tische Industrie-, Maschinen- und Kunsthallen sowie fast 200 Länder- und Firmenpa- villons errichtet, sondern auch eine moderne Infrastruktur mit Kanalisation, Schienen- trassen und einem eigenen Ausstellungsbahnhof. Gleichsam als Nebenprojekt erfolgte auch der Um- und Ausbau des alteingesessenen Wurstelpraters zum Volksprater.
Die Vorbereitungszeit für die Weltausstellung war denkbar knapp bemessen. Durch die Möglichkeiten des modernen Verkehrswesens und der Kommunikation (Telegrafie) ließen sich allerdings in kurzer Zeit weltweite Beteiligungen organisieren, logistische Probleme bei der Herbeiführung zigtausender Ausstellungsstücke bewältigen und enor- me Besucherströme mobilisieren. Weltausstellungen waren konzipiert als populäre Menschheitsenzyklopädien, die die unterschiedlichsten Aspekte – Industrie, Technik, Wissenschaft, Kunst, Kultur etc. – abdecken sollten. Der Auftrag der Weltrepräsentation mit Attributen wie Fortschritt, Leistung und Geschwindigkeit traf in Wien auf das emotio- nale Erlebnis von Warenvielfalt, Luxus und Exotik. Die Weltausstellung fungierte nicht nur als wirtschaftliche Impulsgeberin, sondern bot auch einem breiten Publikum als glo- bales Schaufenster neue Erlebnisdimensionen: Man „besichtigte“ das Industriezeitalter, bestaunte die lärmenden Dampf-, Web- oder Nähmaschinen, informierte sich über Innovationen in Transportwesen oder Wissenschaft. Eine konsumfreudige Gesellschaft schwelgte in der zusammengetragenen Überfülle von kunstgewerblichen Objekten und frönte dem „guten Geschmack“, wobei aus österreichischer Sicht vor allem jene Luxus- artikel hervorstachen, deren Stil als „Wiener Renaissance“ inter-national gelobt wurde. Künstlerische Entwürfe von Bildhauern und Architekten sowie präzise handwerkliche Ausführung waren Folge der Kunstgewerbereform – und bildeten die Grundlagen für deren Erfolg.
Doch es ging nicht nur darum, das Publikum zu bilden, sondern ebenso um Unterhalt- ung und die Faszination der Ferne. Im Prater konnte man eine architektonische Welt- reise unternehmen, fremde Menschen in exotischer Tracht und authentische Speisen aus aller Welt wurden zum Stadtgespräch, im nordamerikanischen Indianer-Wigwam servierte man Cocktails. Die größte Anziehungskraft übten die orientalischen und asia- tischen Pavillons aus. Sie wurden zu einem besonderen Charakteristikum der Wiener Ausstellung und lösten Trends in Mode, Kunstgewerbe und Lifestyle aus.
Von der Weltausstellung 1873 ist vor allem das riesige finanzielle Defizit in das kollek- tive Gedächtnis eingegangen – 4,2 Millionen Einnahmen standen Ausgaben in Höhe von 19 Millionen Gulden gegenüber. Die Hoffnungen auf Besucherströme und einen be- trächtlichen Kapitalzufluss hatten sich im Spekulationsfieber der Zeit zu völlig überzo- genen Erwartungen gesteigert. Kostenexplosion, Börsenkrach und – nicht zuletzt auf- grund der Choleraepidemie – weniger Gäste als erhofft, führten zu einer starken Er- nüchterung. Positive Bilanz konnten lediglich einzelne Aussteller und Besucher im Hin- blick auf die erfolgreiche Wirtschaftsförderung und den gelungenen Wissenstransfer ziehen. Dessen ungeachtet erreichte es die k. k. Residenzstadt, sich erstmals seit dem Wiener Kongress wieder ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit zu rücken.
Von der Rohrpost bis zur Nordpolexpedition: Weitere Themen der Ausstellung Neben den erwähnten Themen wirft die Ausstellung im Wien Museum Schlaglichter auf Massenvergnügungen der Gründerzeit, Innovationen bei Wohnkultur und Ingenieurs- kunst , auf die Rolle der illustrierten Medien, Erfindungen wie die Rohrpost und nicht zuletzt auf die zeitgenössischen Kunstdiskurse. Als Musikhauptstadt bot Wien um 1870 die Bühne für einen musikalischen „Titatenkampf“ zwischen dem „Vollender“ der Wiener Klassik Johannes Brahms auf der einen und den Neuerern Anton Bruckner und Richard Wagner auf der anderen Seite. In die frühen 1870er-Jahre fällt außerdem Österreichs erste ökologische Kampagne gegen die Abholzung des Wienerwalds, ebenso wie die Nordpolexpedition, die nach zweijähriger Gefangenschaft im Eis 1874 zurückkehrte. Großhotels wie Metropol und Imperial sperrten auf, Lobmeyr brachte die erste Glasserie im „arabischen Stil“ heraus. Die neuesten Moden kamen aus den großen Metropolen, so auch pompöse Kleider mit exzentrischem „Cul de Paris“.
Neben Wolfgang Kos fungiert Ralph Gleis als Kurator der Ausstellung. Der Kunsthisto- riker verantwortete zuletzt die große Makart-Ausstellung im Künstlerhaus (2011) und war einer der Kuratoren bei den Ausstellungen „Gründerzeit. 1848-1871. Industrie & Lebensträume zwischen Vormärz und Kaiserreich“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin (2008) sowie „Bilder im Kopf: Ikonen der Zeitgeschichte“ im Haus der Geschichte in Bonn (2009). Die Gestaltung der Ausstellung übernahmen BWM Architekten, für die Grafik zeichnet das Büro Perndl+Co verantwortlich. Zur Ausstellung erscheint ein 580 Seiten starker Katalog im Czernin Verlag.
Öffnungszeiten:Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 10 bis 18 Uhr24. Dezember: 10 bis 14 Uhr; 25. Dezember und 1. Jänner:v geschlossen
Eintritt:Erwachsene: 8 €. Ermäßigt 6 € (SeniorInnen, Wien-Karte, Ö1-Club, Menschen mit Behinderung, Studierende bis 27 Jahre, Lehrlinge, Präsenz- und Zivildiener, Gruppen ab 10 Personen) Kinder und Jugendliche unter 19 Jahre - Eintritt frei! Jeden ersten Sonntag im Monat für alle BesucherInnen - Eintritt frei!
Katalog zur Ausstellung:Edith Tudor-Hart. Im Schatten der Diktaturen (dt.) Edith Tudor-Hart. In the Shadow of Tyranny (engl.), Hg.: Duncan Forbes im Auftrag des Wien Museums, Hatje Cantz Verlag,152 Seiten, EUR 24,-
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