Alexej von Jawlenskys „Spanische Tänzerin“ kann mit Fug und Recht als Schlüsselwerkbezeichnet werden. 1909, als er das zu seinen großformatigsten Arbeiten (100 x 69,5cm) zählende Gemälde schuf, gestaltet er, wie er später sagen wird, „... mit enormerKraft aus einer inneren Ekstase“. Er bezeichnet die Periode zwischen 1908 und 1910als Wendepunkt in seiner Kunst. Zuvor, während seiner Frankreichaufenthalte, war erden Fauves Matisse, Derain und Vlaminck begegnet, aber auch den ersten kubisti-schen Werken von Georges Braque und Pablo Picasso. Mit nachhaltiger Wirkung, derschließlich eine radikale Neuorientierung folgte. 1908, Wassily Kandinsky, GabrieleMünter, Alexej von Jawlensky und seine Lebensgefährtin Marianne von Werefkin hattendie Gegend um die oberbayrische Marktgemeinde Murnau als Inspirationsquelle ent-deckt, die vor allem Jawlensky zu in Form und Farbe kühnen Interpretationen anregte.1909 schließlich gründete man zusammen mit Malerfreunden die Neue Künstler-vereinigung München aus der 1911 Der Blaue Reiter hervorging.
„Spanische Tänzerin“ ist demnach ein Markstein im Schaffen Jawlenskys und in einerRangordnung mit dem furiosen „Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff“, 1909 (Städtische Galerie im Lenbachhaus) anzusiedeln, mit „Schokko“, 1910 (AuktionSotheby’s London Februar 2008) sowie weiteren Motiven und Kompositionen dieserSchaffensperiode heute überwiegend in internationalen Museen und öffentlichenInstitutionen. Dazu gehören auch Porträts seiner Geliebten Helene mit der er seit 1902einen Sohn hatte. Sie war Dienstmädchen im Haus Jawlensky / Werefkin. Man lebte ineiner nicht immer gemütlichen „Ménage-à-trois“.
Helene, seine spätere Ehefrau, war das Lieblingsmodell des Künstlers. Gerade im Ver-gleich mit den Gemälden „Helene mit buntem Turban“, 1910, im Guggenheim Muse-um, New York und „Dunkelblauer Turban (Helene mit dunkelblauem Turban)“ in derSammlung Merzbacher im Kunsthaus Zürich ist erkennbar, dass es sich bei unsererspanischen Tänzerin um seine Geliebte handelt. Eine ideale Projektionsfläche für seine„Spanienverehrung“, das in jenen Jahren in Künstlerkreisen gepflegte Milieu der Tra-vestie, des tänzerischen Ausdrucks, der frivolen Kostümierung. Die „SpanischeTänzerin“ vereint jedoch, jenseits aller zeittypischen Tendenzen und in einem Höchst-maß an künstlerischer Vollkommenheit, eine prägnant auf Fläche und Konturreduzierte Form mit einer überbordenden Strahlkraft der Farbe. Flamenco, Tempera-ment, Exotik und Erotik stehen rauschhaft in radikalem Gegensatz zu Helenes elegi-scher Pose der Empfindsamkeit. Der geneigte Kopf und die geschlossenen Augensuggerieren Melancholie. Oder doch verträumte Sehnsucht? Ein kostbarer, leicht ex-zentrischer Moment, festgehalten in ideal-expressionistischer Manier.
Ein kraftvoller avantgardistischer Doppelschlag: Die leuchtende, stark stilisierteÖlstudie auf der Rückseite verweist auf die im selben Jahr im kleineren Formatentstandene „Murnauer Landschaft“ von 1909, die sich heute in der StädtischenGalerie im Lenbachhaus in München befindet. Der Vergleich mit Werken von Kandinskyund Münter aus dieser Zeit zeigt, wie viel weiter Jawlensky in seinem freienexpressionistischen Farb- und Formenverständis bereits war.
Kurz nach seiner Entstehung kam das mit 7 bis 10 Millionen Euro taxierte Spitzenwerkin die zwischen dem Ende des 1. Weltkriegs bis in die späten zwanziger Jahre aufge-baute Düsseldorfer Sammlung des rheinischen Industriellen Josef Gottschalk. Er wid-mete sich hingebungsvoll und gut vernetzt in der rheinischen Kunstszene der nicht nurdeutschen Avantgarde. Er trug rund sechzig Werke etwa von Kandinsky, Macke undMunch zusammen. Sie konnten auch nach seinem Tod 1941 über die NS-Zeit gerettetwerden. Bereits 1946 trat die Kunstsammlung Düsseldorf an die Witwe Gottschalk heran, um die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Über neunJahrzehnte verblieb „Spanische Tänzerin“ in Familienbesitz und wurde bislang lediglichin einer Schwarzweiß-Abbildung im Werkverzeichnis publiziert.
„Spanische Tänzerin“ – ein entfesseltes, expressionistisches Meisterwerk höchster Qualität, vergleichbar mit Jawlenskys berühmtem „Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff“ (1909, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München)Gemälde aus dieser kurzen, farbgewaltigen Schaffensphase befinden sich heute nahezu ausschließlich in internationalem MuseumsbesitzBeidseitig aus Jawlenskys bester Schaffenszeit: Die Rückseite zeigt eine leuchtende, stark stilisierte Murnauer Landschaft aus dem Jahr 1909Ein Sonderkatalog erscheint in Deutsch, Englisch und MandarinSchätzpreis € 7 - 10 Mio.
Das zweite in unserem Evening Sale am 7. Juni offerierte Meisterwerk desdeutschen Expressionismus stammt von Ernst Ludwig Kirchner und widmetsich nur zwei Jahre nach Jawlenskys „Spanische Tänzerin“ auf andere nichtweniger hingebungsvolle Weise dem Tanz.
Sein Verbleib war seit Jahrzehnten unbekannt. Wissenschaft und Markt hatten es, wohluntergegangen in den Wirren des letzten Jahrhunderts, schlicht aufgegeben. Seine herausragende Bedeutung im Œuvre des Mitbegründers der Brücke-Vereinigung waraus dem Blickfeld geraten. Es hatte einzelne Publikationen gegeben, Ausstellungs-beteiligungen gab es nachweislich 1912 in der seinerzeit aufsehenerregenden Brücke-Ausstellung der Berliner Galerie Fritz Gurlitt, später, 1923, ebenfalls in Berlin bei PaulCassirer. Nun hat sich die baden-württembergische Familie, die sich über Generatio-nen, genauer, seit achtzig Jahren, an dem Bild – privat, persönlich, ohne jedes Auf-sehen – erfreute, zum Verkauf entschlossen.
„Tanz im Varieté“, mit 121 mal 148 Zentimetern eines der großformatigen Bilder imWerk Kirchners, entstand 1911 noch im Jahr seiner Übersiedlung von Dresden in dieMetropole Berlin, eine Zweimillionen-Weltstadt, ein vibrierender Melting Pot, in demweltläufige Inspiration, freilich auch mehr Marktpräsenz zu erhoffen war. Es beganneine außerordentlich fruchtbare Schaffenszeit; Kirchners Werke, seinerzeit und bis zumBeginn des 1. Weltkriegs geschaffen, befinden sich nahezu ausschließlich in Museenund wenigen bedeutenden Sammlungen. Seit Jahren sind sie nur noch selten auf demMarkt präsent.
Aus dieser Zeit stammen seine berühmten Straßenbilder. Seine Varieté- und Zirkusbil-der jener Jahre sind allesamt schierer Ausdruck großstädtisch freizügiger Lebendigkeit,Lebenslust und Erotik. Der gesellschaftliche und kulturelle Umbruch ist in seinen Moti-ven und Kompositionen greifbar. Gefühl und Härte finden gleichermaßen provokantund überzeugend zusammen. Gleichzeitig ist unser Werk ein überaus charakteristi-sches, außerordentlich gelungenes und maßgebendes Beispiel für Kirchners Bestre-ben, das starke, energiegeladene Element der Bewegung wiederzugeben, in einenMoment zu gießen („Meine Malerei ist eine Malerei der Bewegung“).
Das mit 2 bis 3 Millionen Euro taxierte Gemälde aus der besten Brücke-Zeit ist immaßgeblichen Werkverzeichnis von Donald E. Gordon zusammen mit einem altenSchwarzweißfoto aufgeführt, trägt allerdings den Vermerk „Standort unbekannt“. We-der Nachlass, noch Experten oder Archiv hatten es bislang in Farbe gesehen.
Spektakuläre Wiederentdeckung: seit 80 Jahren in einer deutschen Privat-sammlung verborgen.Gemälde von kapitalem Format aus der besten „Brücke"-ZeitKurz nach Entstehung in der bahnbrechenden „Brücke"-Ausstellung im Berliner Kunstsalon Fritz Gurlitt (1912) präsentiertSchätzpreis € 2 - 3 Mio
Ein Vorbericht zur Jubiläumsauktion mit den wichtigsten Werken aus allen Abteilungenerscheint in Kürze. Informationen und weitere Kunstwerke finden Sie in der Vorschau auf unserer Website.
TERMINE 27. Mai 2024 Auktion Wertvolle Bücher in Hamburg (www.ketterer-rarebooks.de)7. Juni 2024 Contemporary Art Day Sale, Evening Sale in München8. Juni 2024 19th Century, Modern Art Day Sale in MünchenBis 15. Juni 2024 Online Sale – parallel zur Saalauktion
Mo bis Sa 12 – 16 UhrKetterer Kunst, Fasanenstraße 70, 10719 BerlinGezeigt werden Werke u.a. von Josef Albers, Antonio Calderara, Enrico Castellani, Camille Graeser, Gerhard Richter und Victor Vasarely.
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